Machtallianzen zwischen Kirche und Politik - Deutsche Oper Berlin

Ein Interview mit Jörg Königsdorf

Machtallianzen zwischen Kirche und Politik

Giacomo Meyerbeers Grand Opera DIE HUGENOTTEN schildert eines der düstersten Kapitel der europäischen Geschichte: den Massenmord an den französischen Protestanten in der Bartholomäusnacht des Jahres 1572. Eine zentrale Figur dieser Oper ist der hugenottische Soldat Marcel, der in der Neuproduktion der Deutschen Oper Berlin von Ante Jerkunica verkörpert wird. Der kroatische Bass gehört seit 2006 zum Ensemble des Hauses und verkörpert hier wie an den großen Bühnen des In- und Auslands die wichtigsten Partien seines Fachs.

Herr Jerkunica, Sie sind in den neunziger Jahren in Kroatien aufgewachsen – zu einer Zeit, als sich das Land nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens im Krieg mit Serbien befand. Sehen Sie Parallelen zu dem Bürgerkrieg, den Meyerbeer in DIE HUGENOTTEN schildert?
Ich glaube, da gibt es einige Gemeinsamkeiten. Zwar war der Krieg zwischen Serben und Kroaten primär ein nationalistischer und kein religiöser wie die Hugenottenkriege, aber hinter diesen beiden Nationen stehen auch zwei unterschiedliche Religionen: die Serben folgen der griechisch-orthodoxen Konfession, während die Kroaten katholisch sind. Und wenn man sich die Geschichte anschaut, erkennt man, dass Religionen meist dazu tendieren, sich mit rechtsorientierten, nationalistischen Parteien zu verbünden, um die eigene Macht zu sichern. Insofern sind Machtpolitik und Religion untrennbar miteinander verbunden.

Die Hugenotten © Bettina Stöß
 
Die Hugenotten © Bettina Stöß
 

Die Parallele ist also das Schüren von religiösem Fanatismus zu Machtzwecken?
Ja, in Kroatien erleben wir gerade genau das: Die Religion versucht, die Menschen voneinander zu trennen, statt sie einander näher zu bringen und Verständnis zu wecken.

Wie haben Sie den Krieg erlebt?
Ich selbst war zum Glück zu jung, um eingezogen zu werden. Aber mein Vater und mein Bruder wurden im Rahmen der Generalmobilmachung eingezogen. Zum Glück sind sie heil wieder zurückgekommen. Heute sind übrigens in Kroatien fast alle der Meinung, dass dieser Krieg nur auf Betreiben Weniger angezettelt wurde. Denn auch wenn die Kroaten sich in der Ära Jugoslawiens immer von den Serben ungerecht behandelt gefühlt hatten, so hatte doch kaum jemand mit einem Krieg gerechnet. Ebenso wenig wie wir heute glauben könnten, dass Spanien je versuchen könnte, die Abspaltung Kataloniens mit Waffengewalt zu verhindern.

Ist bei Ihnen, bei Ihrer Familie, Hass auf die Serben geblieben?
Nein, überhaupt nicht. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass unsere engsten Nachbarn eine serbische Familie waren. Und während viele Serben Kroatien während des Kriegs verlassen haben, sind unsere Nachbarn geblieben, und trotz der Kämpfe haben wir uns immer gegenseitig unterstützt.

Ante JerkunicaDie Hugenotten © Bettina Stöß

In den HUGENOTTEN singen Sie Marcel, einen alten hugenottischen Kriegsveteranen, der voller fanatischem Hass gegen seine alten Gegner ist. Solche Menschen dürften Ihnen in Ihrer Heimat auch öfter über den Weg laufen…
Klar, da muss man nicht lange suchen. Ich finde die Charakterisierung dieses alten Soldaten durch Meyerbeer sehr treffend. Wir bemerken schon im ersten Akt der Oper, dass Marcel unter einem posttraumatischen Stress-Syndrom leidet. Das bricht förmlich aus ihm heraus, als ihn die katholischen Kavaliere reizen. Eben noch hat er seinen Luther-Choral gesungen, dann verliert er in seiner „Piff-Paff“-Arie, in der er sich den Kampf um La Rochelle vergegenwärtigt, völlig die Kontrolle. Insofern ist Marcel für mich eine tragische Figur, bei der ich kaum die komischen Züge sehe, die ihm manchmal verliehen werden.

Ohnehin ist er in der Oper derjenige, der den stärksten Wandel durchmacht.
Ja, wir erleben zu Beginn, wie er Frauen als Inbegriff von Sünde und Verführung sieht, doch dann, wenn er Valentine trifft, ändert sich sein Weltbild komplett. Er fragt sich mehrfach: „Ist das möglich?“ – dass eine Frau so gut und selbstlos sein kann. Und am Ende umarmt er sie sogar! Ich glaube, es war durchaus Absicht von Meyerbeer, gerade bei Marcel so einen Wandel zu zeigen. Denn schließlich war der Protestantismus eine Bewegung, die etwas ändern wollte und die ein Weltbild in Frage stellte.

Wo liegt die größte gesangliche Herausforderung dieser Partie?
Die Hauptschwierigkeit von Meyerbeers Schreibweise liegt darin, dass man den Text extrem genau lesen muss, um die Musik zu verstehen. Ein pauschaler Opernzugang nützt einem da überhaupt nichts. Bei Meyerbeer hat jedes Detail eine ganz präzise Bedeutung. Nehmen Sie eine Stelle wie den Moment nach dem Duett im dritten Akt, in dem Valentine Marcel vor dem Komplott gegen Raoul gewarnt hat. Da singt Marcel a cappella, also ganz allein, seine Warnung an Raoul in chromatischen Linien, die zunächst seltsam wirken. Aber gerade diese Irritation bewirkt, dass er uns wie ein einsamer Prophet erscheint, der auf eine unheimliche, verstörende Weise in die Zukunft sieht.

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