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Die Aufnahme der Ausnahme - Deutsche Oper Berlin

Ulrich Gutmair

Die Aufnahme der Ausnahme

Ein Essay von Ulrich Gutmair, aus Tischlerei-Zeitung No.3, September, 2014

Ulrich Gutmair ist Kulturredakteur der taz. Im vergangenen Jahr ist seine Geschichte der frühen Neunziger in Berlin erschienen: „Die ersten Tage von Berlin. Der Sound der Wende“. Drei Houseplatten von Matthew Herbert befinden sich in seiner Plattensammlung.

Heutzutage kann jeder Komponist sein: alle 24 Stunden wird eine unmessbare Menge an Musik produziert. Daher fragt der britische Klangkünstler Matthew Herbert: sind wir immer noch in der Lage zuzuhören? Welche Rolle in unserem alltäglichen Leben? Und kann Musik soziale oder politische Veränderungen beeinflussen, kann sie etwas bewegen? Herbert lädt zur Beantwortung dieser Fragen das Publikum ein, sich mit dem kreativen Prozess auseinanderzusetzen und daran auch aktiv teilzunehmen. Sieben Tage werden Matthew Herbert und seine Band Artists-in-Residence sein, in einem eigens hierfür eingerichteten Tonstudio in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Ihr Ziel: innerhalb von einer Woche ein Album from scratch zu komponieren, aufzunehmen und zu mischen, in erster Linie gemeinsam mit dem Publikum. Am achten Tag wird dann gefeiert: THE RECORDING kulminiert in einer Record-Release-Party.

Matthew Herbert ist ein prototypischer zeitgenössischer Künstler. Scheinbar mühelos überschreitet er die althergebrachten Grenzen zwischen Pop, „ernster Musik“ und bildender Kunst. Man kann Matthew Herbert in einem Künstlergespräch in der Tate Gallery in London hören, aber auch als DJ auf Ibiza. Matthew Herbert steht mit seiner Big Band auf der Bühne, komponiert aber auch eine Oper. Dazwischen macht er Filmmusik. Wer sich auf seiner Website seine Werkliste ansieht, blickt verblüfft auf eine schwer übersehbare Masse an Projekten, die innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre entstanden sind.

So überbordend das Werk und so vielfältig die Aktivitäten Herberts sind, so ist seine Künstlerpersona jedoch mit einem klar umrissenen Programm verbunden. Herbert legt höchsten Wert auf Ortsverbundenheit, Gegenwärtigkeit und Ergebnisoffenheit künstlerischen Handelns. Es ist gar kein so weiter Weg, den Matthew Herbert von House Music zur Oper geht. Dass Matthew Herbert ein radikaler Künstler ist, konnte man schon auf seinen frühen House-Tracks hören. Die anfangs unter den Namen Wishmountain, Doctor Rockit und Herbert firmierenden Singles und EPs wurden in Technoplattenläden verkauft und in Clubs gespielt.

Das war Musik, die sich an die Regeln hielt, die im Großen und Ganzen eingehalten werden müssen, damit sie im Partykontext funktionieren kann: Ein Housebeat etwa stampft mit rund 120 Schlägen pro Minute im Viervierteltakt vor sich hin, wobei Synkopierungen erwünscht sind, weil das Tanzen dann mehr Spaß macht. Das war aber auch Musik, die aus Klängen zusammengebastelt war, die nicht aus den üblichen elektronischen Klangerzeugern stammten, die in diesen Genres üblich sind. Bei seinem ersten Auftritt als Wishmountain im Jahr 1995 nutzte Matthew Herbert Berichten zufolge eine Tüte Chips als Instrument, andere Quellen sprechen von einem Pfefferstreuer. Herberts Werk hat seine eigenen Mythen hervorgebracht, obwohl es doch nur mit dem zu arbeiten scheint, was da ist.

Auf Matthew Herberts zweitem Album mit dem programmatischen, den Titel eines bekannten Hollywoodstreifens auf den Kopf stellenden Namen „The Music of Sound“ von 1996 findet sich ein Stück, dessen Name verrät, was den Hörer erwartet: „Granny Delicious“ heißt es. Es besteht aus nichts weiter als einer kurzen Aufnahme, die festhält, wie jemand in einen Apfel beißt. Das Sample wird wiederholt, in seine Einzelteile zerlegt, durch Filter verfremdet und wie in einem kubistischen Gemälde hin und her gewendet, gewissermaßen von vielen Seiten und Perspektiven aus betrachtet. Auf der Innenhülle der Schallplatte findet sich dazu die Angabe: „Remixed sample originally recorded at Monks Road, Exeter, summer ’91. Eaten by the Doctor.“ Der Hörer soll wissen, wann, wo und mit welchen Mitteln die Musik entstand.

Diese Vorgehensweise hat Matthew Herbert einige Jahre später in seinem Manifest „The Personal Contract for the Composition of Music [Incorporating the Manifest of Mistakes]“ festgehalten, das sich aus elf Regeln zusammensetzt. Die wichtigste ist die erste, sie lautet: „Die Benutzung von bereits existierenden Klängen ist nicht erlaubt, insbesondere: Keine Drumcomputer. Keine Synthesizer. Keine Voreinstellungen.“ Verboten ist es außerdem, die Musik anderer zu sampeln, während Fehler und Zufälle nicht nur explizit als Teil der Musik anerkannt werden, sondern als Quelle musikalischer Schönheit genutzt und weiterentwickelt werden sollen, der dieselben Rechte zustehen wie die vom Künstler vorgenommenen kompositorischen Entscheidungen. Herbert hat sein Manifest mit dem Hinweis versehen, es handle sich dabei um einen persönlichen Leitfaden und beschreibe keineswegs den einzigen Weg, Musik zu komponieren.

Matthew Herbert hat in einer Zeit künstlerisch zu arbeiten begonnen, als die Digitalisierung der Archive begann, die nach und nach den gesamten Bestand jemals aufgenommener Musik zugänglich zu machen trachtet. Zugleich erlebte das Internet mit dem frühen World Wide Web und der Verbreitung von E-Mail einen ersten Boom, während das Mobiltelefon sich vom kastenförmigen Managerutensil zum Massenprodukt wandelte.

Ortlosigkeit und Mobilität sind seither die zentralen Paradigmen von Arbeit und Leben geworden. Man kann Matthew Herberts Herangehensweise an den Kompositionsprozess als Antwort auf diese Lage interpretieren. Wo eine unendliche Fülle musikalischen Materials zur Verfügung steht, erarbeitet er es sich selbst. Wo der globalisierte Mensch prinzipiell überall sein kann und doch lückenlos in seine professionellen und privaten Netzwerke eingebunden ist, besteht Herbert auf der Einzigartigkeit von Ort und Augenblick. Seine Prinzipien hat Matthew Herbert in sehr unterschiedlichen Kontexten angewandt. Dabei geht es auf die eine oder andere Weise aber immer darum, die Welt ins Studio hereinzuholen.

Matthew Herbert hat seinen Blick auf die konkrete Lebenswelt immer weiter ausgedehnt. 2010 erschien der erste Teil einer Trilogie, „One One“, in dem er ausschließlich selbst gespielt und gesungen hat. Teil zwei, „One Club“, besteht aus Samples eines Abends im Offenbacher Tanzclub Robert Johnson, die er aufgenommen hat. Teil drei, „One Pig“, widmet sich schließlich dem Leben eines Schweins von der Geburt bis zum Verzehr, wobei nicht nur Feldaufnahmen benutzt wurden, sondern auch Instrumente, die aus den Überresten des Schweins hergestellt wurden. Herbert hat eine eigene Form des musikalischen Realismus geschaffen, und er ist selbstbewusst genug zu sagen: „Ich glaube, dass meine Musik die einzige Musik ist, die zu reflektieren versucht, was es bedeutet, heute am Leben zu sein.“


„sieben Tage der Schöpfung“

Auch Matthew Herberts Projekt in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin widmet sich der Gegenwart, wobei die Frage von Demokratie und Partizipation auf den künstlerischen Prozess angewandt werden soll. Heutzutage könne jeder Komponist sein: alle 24 Stunden werde eine unmessbare Menge an Musik produziert. Matthew Herbert fragt sich daher, ob wir noch in der Lage sind zuzuhören. Was kann Musik bewirken? Kann man Musik demokratisch herstellen? Sieben Tage lang wird die Tischlerei zum offenen Aufnahmestudio, geladene Gäste und die Zuschauer sollen daran beteiligt werden, ein Album entstehen zu lassen. Am Ende dieses offenen Prozesses wird gemeinsam Record-Release-Party gefeiert. Ziel ist nicht in erster Linie die Aufnahme, sondern die Ausnahme, die mittels dieses Projekts gemacht werden soll.

Jeder dieser „sieben Tage der Schöpfung“ wird einem System, bzw. Thema gewidmet sein. Hacking und Coding sind das Thema des ersten Tages, danach werden die Komplexe Hedonismus, Wissenschaft und Religion, Musik im Spannungsverhältnis zwischen Körper und Geist, sowie Architektur und Städteplanung verhandelt und kompositorisch umgesetzt. Aber auch die Musik als solche wird zum Gegenstand von Betrachtung und Aktion. Dem Musikinstrumententag wird der Gesangstag folgen, an dem psychologische Aspekte der Stimme besprochen werden, bevor gesungen wird. Schließlich werden einzelne Besucher in die Stadt geschickt, um Klänge „einzukaufen“ und ins Studio zurückzubringen. Ohnehin sind die Besucher an jedem Tag aufgefordert, etwas anderes mitzubringen, mal ist es ein Hund, mal die Großeltern und mal ein Musikinstrument. Dabei folgt jeder Tag derselben Struktur, die um 16.30 Uhr mit einer Phase des Sammelns beginnt und zur Komposition übergeht. Nach der Essenspause wird zusammen mit Herberts Band aufgenommen. Der Tag endet mit einer Diskussionsrunde und dem gemeinsamen Hören der an diesem Tag aufgenommenen Musik. Jede kann kommen und gehen, wann sie will. Nur während der Aufnahmen sind die Türen geschlossen. Wer dabei ist, ist dabei.

Es versteht sich von selbst, dass der Prozess am besten begleitet, mitgestaltet und erlebt werden kann, wenn man sich mehrere Tage in Matthew Herberts Studio einfindet: Das Ereignis ist immer im Fluss. Der Prozess ist wichtiger als das Ergebnis. Und jede nimmt davon etwas anderes mit nach Haus.

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