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Die Götter müssen verrückt sein – Die Irrfahrten des Odysseus - Deutsche Oper Berlin

Die Götter müssen verrückt sein – Die Irrfahrten des Odysseus

Harriet Maria Meining und Peter Meining folgen den Spuren von Homers Helden

Ein Essay von Patrick Wildermann, erschienen im Magazin Deutsche Oper als Beilage zum Berliner Tagesspiegel, September 2015

Und dieser Typ soll ein Held sein? Unentwegt prahlt Odysseus damit, „was für ein toller Hecht er ist“, schüttelt Peter Meining den Kopf. „Und zwar nur, um noch mehr Geschenke zu bekommen“, erklärt Harriet Maria Meining. Ein kapitalistischer Angeber also. Und ein Jammerlappen sei der antike Irrfahrer obendrein, finden die beiden.

Ließe sich auf sonnigen Inseln von schönen Frauen einölen, aber beklage sich unentwegt. Pure Dekadenz. Das schlimmste an Homers berühmtem Versepos, darin sind sich die Meinings einig, sei jedoch die Moral von der Geschicht’. Während seiner mehrjährigen Abwesenheit haben sich bei Odysseus daheim die Freier breitgemacht, haben sein Wildschwein gegessen und seinen Wein getrunken. Weswegen er die Schmarotzer nach seiner Rückkehr kurzerhand alle niedermetzelt. Im Namen der Götter, versteht sich. Die Mägde müssen die Leichen wegräumen, dann werden sie selbst am Türrahmen aufgeknöpft. „Ein richtiges Massaker“, stöhnt Harriet Maria Meining. „Ein einziges Schlachtengemälde“, bestätigt Peter Meining. Nichts jedenfalls, was die Regisseure Menschen ab zehn Jahren im Musiktheater vorsetzen wollen.

Wobei die unverblümte Odysseus-Aversion – auch wenn es paradox klingen mag – die beste Voraussetzung für ihre aktuelle Arbeit ist. Harriet Maria und Peter Meining, die sich im Theater unter dem Label norton.commonander.productions einen Namen gemacht haben, laufen verlässlich zu Hochform auf, wenn sie einen Stoff umkrempeln oder gegen den Strich lesen können. Am Theater an der Parkaue, das auch Koproduzent ihrer IRRFAHRTEN DES ODYSSEUS in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin ist, haben sie auf diese Weise schon Klassiker wie „Peter und der Wolf“ als staunenswerte Comic-Extravaganz, oder „Robinson Crusoe“ als wilden Ritt durch die Rezeptionsgeschichte des Insel-Abenteuers auf die Bühne gebracht. Überbordend fantasievoll, aber nie über die Köpfe des jungen Publikums hinweg erzählt. Ob sie für Kinder oder für Erwachsene inszenieren, ist dem Regie-Paar ohnehin einerlei. Oberstes Gebot bleibt: nicht mit Gewohntem, Erwartbarem oder sonst wie Abgeschmacktem langweilen.

Harriet Maria Meining und Peter Meining
 

Was die Meinings durchaus auch auf sich selbst beziehen. Deswegen begeben sie sich, im Verbund mit dem Komponisten Ole Hübner, jetzt ja auch freudig aufs unerprobte Terrain der Neuen Musik. Nicht, dass die beiden Opern-Banausen wären. „Mein Vater war Opernsänger“, erzählt Harriet Maria Meining, klassische Musik habe zu Hause zum Alltag gehört. „Aber eine Wagnerianerin ist aus mir trotzdem nicht geworden“, lacht sie. Und Peter Meining entstammt einer Familie mit langer Tradition in Sachen Orchestermusik – nicht zuletzt, weil es in der DDR einer der wenigen Berufe mit Reiseerlaubnis auch über die Grenzen des Sozialismus hinaus war. Großmutter und Mutter waren Klavierlehrerinnen, ein älterer Bruder ist Geiger, der andere Pianist geworden. „Die eigene Orchesterkarriere habe ich allerdings mit 9 Jahren eigenmächtig abgebrochen“, erzählt Meining. Trotzdem, oder gerade deswegen, haben die beiden nicht gezögert, als der Parkaue-Intendant Kay Wuschek mit dem Vorschlag an sie herantrat, an der Deutschen Oper Berlin zu arbeiten. Und gleich den Stoff vorschlug, den Odysseus, ein Herzensprojekt von ihm.

Nun werden die Götter in einer „ranzigen griechischen Taverne“ sitzen, wie Peter Meining beschreibt, und beratschlagen, was sie zur Aufbesserung ihres Images unternehmen könnten. Schließlich liege der Kassenschlager „Troja“ mit Brad Pitt auch schon über zehn Jahre zurück. „Weil die Kassen aber leer sind, beschließen sie, ein modernes Musiktheater aufzuziehen“, führt Harriet Maria Meining fort, „schließlich kostet das wenig, weil da nur unbekannte Leute am Werk sind.“ Falls es noch nicht erwähnt wurde: Selbstironische Reflexionen ihres Schaffens und der eigenen Rolle im Kunstbetrieb sind bei den Meinings ebenso Standard wie bestürmend-verspielte visuelle Welten und erzählerische Volten.

Jedenfalls wird in ihrer „Odysseus“-Deutung ein Casting für die Götter veranstaltet, zu dem sich lauter Mimen mit zweifelhafter Erfolgsbiografie bemühen. Einer hat im Anschluss an das Antiken-Projekt eine Rolle als Weihnachtsmann im Einkaufszentrum, ein anderer geht als Alleinunterhalter auf eine Bohrinsel. Kein Wunder bei dieser traurigen Truppe, dass der erste, der im fröhlichen Rollen-Reigen den Odysseus verkörpern darf, in einer Ritterrüstung angescheppert kommt, weil er im Kostüm-Fundus nichts Besseres gefunden hat. Überhaupt hängt über dem Unternehmen Irrfahrt permanent das Damokles-Schwert des Scheiterns.

„Sobald man ein Scheitern auskomponiert, wird es Behauptung“

„Zwischendrin“, beschreibt Regisseurin Meining vergnügt, „wird das gesamte System auch mal lahmgelegt.“ Von einem – logisch – Trojaner. Das Reisen wie das Scheitern in Musik zu übersetzen, ist Aufgabe des Komponisten Ole Hübner, Jahrgang 1993. Der ist ein Hochbegabter seines Fachs und schon mit 14 Jahren als Jungstudent an der Musikhochschule in Hannover aufgenommen worden. Mittlerweile studiert er Komposition in Köln. Hübner nennt als prägende Einflüsse im Bereich der Neuen Musik Martin Schüttler, Johannes Kreidler, den Dänen Simon Sten Anderson oder seinen Professor in Köln, Michael Beil. „Alles Komponisten, die den Elfenbeinturm verlassen haben, in dem die Neue Musik in vielerlei Hinsicht noch immer steckt.“ Eine Gegenwartsabgewandtheit des Genres, die Hübner in der schönen Frage zuspitzt: „Es heißt zwar Neue Musik – aber wo sind die Neuerungen?“ Er selbst schaut sich auf der Suche nach Inspiration jedenfalls eher im popkulturellen Bereich oder in der Performance um, als im traditionellen Fach. Schwärmt für das innovative Potenzial der Musikvideokunst und arbeitet in Köln schon lange auch mit professionellen Filmschaffenden zusammen. Ein „fetter Synthie-Bass“, bringt der junge Komponist sein Sound-Credo auf den Punkt, sei ihm im Zweifelsfall immer lieber „als eine Flöte mit Luftgeräusch“.

Genau diese Offenheit hat die Meinings für Hübner eingenommen, als sie sich auf die Suche nach einem passenden Komponisten begaben. Das immer noch verbreitete Handwerkertum der Orchestermusik, wo viele nur vom Blatt spielen könnten, habe Hübner schon mit der Besetzung seines siebenköpfigen Ensembles erfrischend aufgebrochen, findet Peter Meining: „Er bringt vorwiegend Musiker mit, die an der Schnittstelle zur Neuen Musik im Jazz- oder Freejazzbereich unterwegs sind und entsprechendes Improvisationstalent besitzen.“ Was auch Harriet Maria Meining gefällt, die als eigene musikalische Prägung aus jazzaffinen Jugendtagen einen Exzentriker wie den Schweden Sven-Åke Johansson benennt. Der heute über 70-Jährige sei im Kopf stets frisch geblieben – und spiele beispielsweise mit Gurken Schlagzeug. Verzehr inbegriffen.

Geistige Beweglichkeit der unkonventionellen Art bringt auch Ole Hübner zweifellos mit. Muss er auch. Schließlich gilt es nicht nur, musikalische Übersetzungen für das ziemlich krude Figuren-Ensemble zu finden, mit dem Homer seine Fabel bevölkert hat, darunter Riesen, Zyklopen und Meeresungeheuer. Sondern auch das von den Meinings angesteuerte Untergangs-Moment irgendwie in Klang zu bringen. „Sobald man ein Scheitern auskomponiert, wird es Behauptung“, gibt Hübner zu bedenken. „Wenn es sich aus dem Moment ergibt, ist es authentischer.“ Gut also, sich auf die Impro-Fähigkeit der Band verlassen zu können. Gewiss ist bei dieser Irrfahrt nur eins: So hat man die Geschichte des „Odysseus“ noch nicht gesehen. Oder gehört. Die Geschichte, die im Original mit Hang zur Rückblende strapaziert, wird zwar im Sinne der besseren Allgemeinverständlichkeit chronologisch erzählt, als Stationendrama mit klarem Anfang und Ende. Aber dazwischen ist die einzige Grenze das technisch Machbare. Das Regieteam mit Heimatbasis in Dresden-Hellerau findet seine Ideen dazu an den entlegensten Orten. Das kann auch eine Flughafenhalle in Asien sein, durch die ein Kind mit Schuhen stapft, die ein absurdes, elektronisch erzeugtes Quietschgeräusch bei jedem Schritt machen. Oder, auf der visuellen Ebene, die App mit Strudel und Zerr-Effekten, die standardmäßig auf dem iPad installiert ist. Und für die „Digital Natives“-Jugend von heute andockfähig.

Ohne zuviel verraten zu wollen: Ein Skype-Gespräch mit Menelaos, der in der tristen Plattensiedlung in Marzahn mit seiner abgehalfterten Helena hockt, ist im Kosmos der Meinings eher Selbstverständlichkeit als ausgefallene Idee. Und dass die im Text erwähnten Rinder des Helios auf einer pinkfarbenen Wiese vor gelbem Himmel grasen, sollte auch nicht zu übermäßig verwundertem Augenreiben führen.

Bei diesem Spiel-im-Spiel ist alles möglich. Und die Tischlerei der Deutschen Oper Berlin beweist einmal mehr, dass ihr Anspruch, Experimentierraum zu sein, nicht bloß Behauptung ist. „Wenn die ‚Odyssee’ ein reines Theaterprojekt gewesen wäre, hätten wir sie nicht gemacht“, stellt Harriet Maria Meining dazu klar. Denn die Theaterarbeit will das Paar – das mittlerweile sein Label norton.commander.productions abgelegt hat – zugunsten der bildenden Kunst, beziehungsweise von Filmvorhaben in Zukunft hintanstellen. Raus aus der Tretmühle des Betriebs, weg von den leidigen Projektanträgen, die einem aufnötigen zu wissen, „was man im kommenden Jahr denken wird“, so Meining.

Ole Hübner
 

Die künstlerische Frischblut-Infusion durch die Oper kam jedenfalls genau zur richtigen Zeit. Wobei es ja eine wechselseitige Bereicherung ist. Auch zwischen Komponist Ole Hübner und den Meinings. Ein Abend wie „Tanz den Tod!“ in Dresden – Abschluss einer dreijährigen Beschäftigung von norton.commander mit den Zehn Geboten – sei in seiner multimedialen Herangehensweise „genau die Richtung, die mich interessiert“, beschreibt der Komponist. Beim Odysseus-Projekt gebe es, das betonen alle drei, fernab von Höflichkeitsfloskeln, „eine tolle gemeinsame Basis“. Die braucht es natürlich auch, um aus einem Unsympathen wie Odysseus einen Helden zu machen, mit dem man mitfühlen kann. Und um eine moralisch fragwürdige, weil blutrünstige Botschaft in eine Message zu verwandeln, die man Kindern guten Gewissens mit auf die Reise geben kann und die Peter Meining ganz unpathetisch zusammenfasst: „Das Leben ist wie eine Odyssee. Es nimmt keinen geraden Weg, aber man kann es meistern.“

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