Götterkampf 2.0 - Deutsche Oper Berlin
Götterkampf 2.0
Das Künstlerpaar Harriet Maria und Peter Meining inszeniert Ole Hübners „Die Irrfahrten des Odysseus“
Von Max Müller / Aus dem Opernjournal Oktober 2015 der Berliner Morgenpost.
Hätte Odysseus bloß nicht den einäugigen Polyphem, den Sohn Poseidons, verspottet, ihm wäre viel Leid erspart geblieben. Doch so zog er den Zorn des Meeresgottes auf sich, der die Rückkehr des Königs von Ithaka insgesamt zehn Jahre hinauszögern sollte.
Es ist diese schier endlose Reise, die Harriet Maria und Peter Meining zum Auftakt der neuen Spielzeit fokussieren. In über 12 000 Versen behandelt das monumentale Werk des antiken Dichters Homer die lange Fahrt des Titelhelden, der nach seinem Sieg über die Trojaner die Heimreise zu seiner Frau Penelope antritt, aber durch menschenfressende Riesen, teuflische Zauberinnen und liebestolle Nymphen kontinuierlich aufgehalten wird. Dieser märchenhafte Teil wird vom Regie-Duo aufgegriffen und für Heranwachsende ab zehn Jahren zeitgemäß adaptiert. Da werden etwa der Zyklop als dümmliches Monster und die Phaiaken als fortschrittliches Volk gezeichnet, das bereits in der Antike über Motorboote verfügt – die Odysseus dennoch nicht voranbringen. Erst Göttervater Zeus sichert ihm die Heimkehr nach Ithaka. Da man ihn dort jedoch längst für tot hält, buhlen Freier um die vermeintliche Witwe und die mit ihr verbundene königliche Macht. Odysseus, der das Treiben als Bettler verkleidet eine Zeitlang ansieht, schart heimlich Verbündete um sich und metzelt die Treulosen zuletzt erbarmungslos nieder.
In der Version des Künstlerpaares endet das Epos ohne Blutbad. Die Götter mischen sich ein letztes Mal ein und halten Odysseus vom überflüssigen Massaker ab. Nicht nur in diesem Punkt wurde das Stück aktualisiert und mit neuen moralischen Grundsätzen unterlegt. Auch die Götter haben ihr Image ändern müssen. Statt des himmlischen Berges dient nun eine griechische Taverne im Herzen Berlins als Heimstätte. Nur der stänkernde Poseidon lässt sich abseits bei den lüsternen Nymphen im Whirlpool nieder. Der moderne Götterkampf, er kann so menschlich wirken. Dass die Götter nicht mehr die Alten sind, bestätigt auch Komponist Ole Hübner, der „Die Irrfahrten des Odysseus“ neu vertont hat: „Mit Hornbrille, zugeknöpfter Bluse und altmodischem Rock gleicht Athene einer stereotypischen Sekretärin, während Zeus als reicher Schnösel auftritt.“ Die Distanz zu den Normalsterblichen bleibt jedoch gewahrt: Die Götter sprechen nur über die Leinwände des Videokünstlers René Liebert zu den Zuschauern.
Der Einsatz von reichlich Videomaterial zeigt bereits, dass die Performance alles andere als eine klassische Oper verspricht. „Die völlig überzogenen Koloraturen im letzten Drittel persiflieren die klassisch-romantische Opernkultur. Andere Teile des Stückes sind wiederum eher Sprechtheater mit Musik. Musik, die reagiert, sich mal nur im Hintergrund abspielt, Soundkulisse bildet, an anderer Stelle aber auch wieder ganz autark agiert“, konstatiert Hübner. Der Komponist, Jahrgang 1993, hat ein ebenso junges Team versammelt, das mit ungewohnter Besetzung aufwartet: Schlagwerk trifft auf E-Gitarre, Saxophon auf Kontrabass und Keyboard. Hübner selbst steuert einige Instrumente über einen Joystick und kann deren Klänge in jeder Vorstellung live verzerren. Die Musik changiert zwischen sanften Klassiktönen und ausufernden Klangteppichen, die sich überlagern und die ehemalige Tischlerei der Deutschen Oper ordentlich zum Beben bringen. Die Vokalperformerin Frauke Aulbert passt ihre Stimme gekonnt der jeweiligen Szenerie an. Mal klingt sie ganz lyrisch, an anderer Stelle fiept, zischt und schreit sie oder erzeugt mit einer indischen Obertontechnik sogar Zweistimmigkeit. Zu den klassischen Motiven gesellen sich Elemente der Neuen Musik sowie kleine Popeinlagen, die dem heranwachsenden Publikum zwischen all den fremden Tönen ein bisschen die eigenen Hörgewohnheiten vorführen.
Wichtig ist Ole Hübner, dass die Inszenierung sich nicht nur an Jugendliche richtet „Wir haben ein paar Schmankerl eingebaut, etwa einen Bachchoral, ein Heiner Müller-Zitat und wir treiben ein Motiv aus ‚Isoldes Liebestod’ aus der Oper ‚Tristan und Isolde’ in Dauerschleife in schwindelerregende Höhe, bis das Klavier nicht mehr kann.“ Höchstens die Götter könnten die Klaviatur verlängern, doch die sind in ihren Konflikt verstrickt.