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Das Finden einer Wimper als existenzielle Erfahrung - Deutsche Oper Berlin

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Das Finden einer Wimper als existenzielle Erfahrung

Dramaturg Sebastian Hanusa im Gespräch mit Dead Centre – den Regisseuren Bush Moukarzel und Ben Kidd –, Bühnen- und Kostümbildnerin Nina Wetzel und Videodesigner Sébastien Dupouey.

Sebastian Hanusa Was war euer erster Eindruck, als ihr das Libretto von LASH – ACTS OF LOVE bekommen habt?

Bush Moukarzel Zunächst einmal habe ich verstanden, was Rebecca an Eds Sprache so angesprochen hat. Es ist dies bewusst Enigmatische und dass es dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der Bedeutung gibt. Man wird auf eine Suche nach dem Sinn der Worte gelockt und findet ihn nie ganz. Und das ist etwas, das analog auch auf die Musik zutrifft. Dort ist zunächst einmal die Form der Musik der zentrale Bedeutungsträger. Und das ist etwas, das Ed als konzeptionell und visuell arbeitenden Künstler auch an der Sprache interessiert. Deren direkte klangliche, sinnliche Qualität. Und es geht ihm nicht so sehr um eine durchgehende Erzählung.

Zugleich habe ich die Frage direkt zu Beginn der Oper „I wanted to ask if finding an eyelash under your skin was significant?“ als Provokation verstanden. Denn darin findet sich die Frage, ob es möglich sei, eine einzelne Wimper zum Ausgangspunkt für eine abendfüllende Oper zu machen. Kann etwas scheinbar so Unbedeutendes wie ein Stück Haar einen Menschen an die wichtigsten Momente seines Lebens erinnern? An Liebe, Sex, Tod – und damit an die großen Themen der Oper?

Rebecca hat einmal sehr schön gesagt, dass es ihr in LASH darum gehe, „Sinnlichkeit wahrnehmbar“ zu machen. Und das fasst, wie ich finde, sehr gut den Ansatz des Librettos von Ed und ihr zusammen: anzusetzen mit dieser Provokation, dann aber doch damit begonnen zu haben, Verbindungslinien zwischen unmittelbarer Sinneswahrnehmung und einem möglichen Gehalt zu spinnen, ausgehend von den Emotionen und Stimmungen der Sprache. Das waren unsere ersten Eindrücke und Gedanken, als wir das Material des Librettotextes kennengelernt haben.

Sebastian Hanusa Wie hast du, Nina, als Bildende Künstlerin, Bühnen- und Kostümbildnerin, auf diesen Text reagiert? Was hat dich interessiert?

Nina Wetzel Zunächst einmal dachte ich, wie großartig es doch ist, dass hier eine Frau eine Oper für vier Frauen komponiert. Denn dass vier Frauen in den Hauptrollen auf der Bühne sein würden, war etwas, das sehr früh schon feststand. Ich dachte, es muss auf jeden Fall darum gehen, zu zeigen, dass da starke und selbstbewusste Frauen auf der Bühne stehen – und dass es dazu hier die Chance gibt. Auch sollte das Bühnenbild ein Echoraum für die Sinnlichkeit der Sprache und der Musik sein.

Zugleich haben mich die behandelten Themen unmittelbar angesprochen. Diese existenziellen Themen, Liebe, Sex, Tod, die uns alle beschäftigen. Und dafür wollte ich etwas schaffen, das diesen Frauen, diesen Themen einen Raum gibt. Eine Art Labor, in dem man an diesen Themen arbeiten und experimentieren kann.

Sebastian Hanusa Ich mag diese Formulierung des „Katz und Maus-Spiels“ sehr, da damit sehr schön beschrieben wird, wie die Sprache sich entlang der Bedeutungsgrenze bewegt. Das Medium der Musik ist dagegen ohnehin größtenteils nicht-bezeichnend im Sinne einer konkreten Bedeutung. Aber Bilder auf der Bühne, Körper auf der Bühne und ihre Aktionen sind dagegen viel konkreter. Und ich denke, hier beginnt die große Herausforderung eurer Arbeit als Regieteam.

Bush Moukarzel Das ist die große Herausforderung. Man arbeitet sehr konkret als Regisseur. Aber wie wird das Konkrete dann wieder abstrakt? Und wie nimmt es Bezug auf die Welt? Selbst wenn für Nicht-Muttersprachler das Libretto schwer zu verstehen ist; auch als Muttersprachler empfinde ich einen gewissen Schwindel, wenn ich den Text lese. Und das hat nicht mit dem Verständnis einzelner Worte zu tun. Es gibt ein paar wenig geläufige Worte, wenn Ed sämtliche Register des Poeten zieht. Grundsätzlich sind aber alle Worte für mich verständlich. Doch durch ihre Verbindung werde ich immer wieder dazu gebracht, nicht zu wissen, wo es hinführt. Ähnlich geht es mir mit Kompositionen der musikalischen Avantgarde. All die Töne, die dort verwendet werden, gibt es schon. Niemand erfindet ein H neu. Aber wenn diese Töne in eine neue Ordnung gebracht werden, bringt dies mich zu neuen Orten. Und so ist es auch bei Ed. Die Worte, die er benutzt, kann man auch in einem Kinderbuch finden. Aber durch die Art, wie er mit ihnen arbeitet, erschließt er mir völlig neue Orte.

Wobei wir als Inszenierungsteam auch mit ganz praktischen Herausforderungen zu tun hatten. Wir mussten einen Teil der Inszenierungskonzeption über ein Jahr vor der Uraufführung erstellen. Und damit lange, bevor wir die Musik hören konnten oder auch das Libretto in seiner endgültigen Form vorliegen hatten.

Nina Wetzel Immerhin gab es ja schon einiges an Texten, es gab die Themen des Stückes. Und der nächste Schritt war der zu einem Material. Ich hatte mir im Modellbaubedarf verschiedene Spiegel besorgt, habe sie dann in das Bühnenbildmodell gelegt und so ist die Idee eines Spiegelraums entstanden. In diesem befinden sich wiederum vier verspiegelte Boxen, die individuell fahrbar sind und in denen die vier Protagonistinnen, aber auch einzelne Settings, platziert und bewegt werden können.

Das hat dann zum Thema der Echos und Reflexionen geführt. Ganz konkret durch die verspiegelten Flächen. Aber auch im metaphorischen Sinne. Echos der Körper, der Liebe, der Menschen. Hinzu kam die Möglichkeit, Live-Video einzusetzen, das in so einem Raum sehr gut funktioniert. Und so entstand eine spezifische Art von Sinnlichkeit. Obwohl die Materialien an sich, vier motorbetriebene, fahrbare Spiegelboxen, erst einmal nicht als das Sinnlichste wahrgenommen werden dürften, was es auf der Welt gibt. Aber ich glaube, dass sie unseren Versuch, Sinnlichkeit als Ausdruck von Menschlichkeit zur Darstellung zu bringen, unterstützen und dem insbesondere Raum geben, um etwas zu erzählen, dass, wenn überhaupt, nur in Fragmenten als Geschichte greifbar ist.

Bush Moukarzel Normalerweise hat man als Regisseur ein Szenario und darauf basierend entstehen die Entwürfe für Bühne und Video. Doch in diesem Fall war es umgekehrt. Sébastien und Nina haben uns in der Bauprobe ihre Entwürfe für Bühne und Video präsentiert und in den gemeinsamen Gesprächen darüber entstand dann allmählich das Szenario. Also ausgehend von der Materialität, von der Nina gesprochen hat, den Spiegeln, aber auch Nebel und die Video-Close-Ups, die sich so auch im Libretto, in seiner Sprache und seiner Emotionalität finden. Es ist ein Szenario, in dem es darum geht, dass Identität durchlässig ist, als im Fluss erlebt wird zwischen diesen vier Frauen auf der Bühne, bei denen es sich vielleicht um die gleiche Person handelt, vielleicht um vier verschiedene. Und das ist in einer Art Feedback-Loop mit dem Bühnenbild entstanden, in dem es die schimmernden, reflektierenden Oberflächen gibt, in denen sich Menschen und ihre Identitäten spiegeln. Dann hat sich zum Probenstart hin das Szenario aus dem Set-Design heraus konkretisiert. Als eine Reihe von Fragmenten eines Lebens, an dem wir in dieser Bruchstückhaftigkeit teilhaben und in dem es zu fließenden Übergängen, Konfusionen und Irritationen innerhalb eines Spiels mit Identität kommt. So würde ich das Stück auch dem Publikum erklären: Ich weiß auch nicht mehr als das, was das Publikum sieht, weiß oder auch erfahren wird. Also auf die Frage hin „Was ist überhaupt los? Was hat diese Frau getan, wer ist sie überhaupt?“ kann ich nur antworten: Ich bin mir nicht sicher. Und auf die Frage hin „Ist alles in Ordnung, ist ihr etwas passiert?“ muss ich entgegnen: Ich hoffe, nichts ist passiert. Aber vielleicht ist hier nichts in Ordnung und ihr ist etwas widerfahren.

Das ist die Qualität des Librettos wie auch von Rebeccas Komposition. Dinge kommen zur Darstellung und werden dann gleich wieder in Frage gestellt. Man denkt, dass man weiß, woran man ist, und dann muss man das Gegenteil annehmen. Das betrifft unmittelbar unsere Arbeit. Wir können auf der Bühne immer nur das zeigen, was auch das Publikum in einer bestimmten Situation von einer Figur erfährt. Und daraus speist sich das Unbehagen, das sich im Herzen des Librettos verbirgt. Diese Reihe von Fragen, die mit „I wanted to ask …“ beginnt, ist eine Folge von unbeantworteten Fragen. Weil man nie die Person versteht, die man zu verstehen hofft. Und aus dieser hier anklingenden, grundsätzlichen Begrenztheit darin, einen anderen Menschen wirklich verstehen zu können, kommt ein Grundimpuls der Inszenierung. Das ist der wahre Grund, warum man nicht vollständig wissen kann, was passiert ist. Weil man nicht vollständig in ein anderes Leben hineinschauen kann.

Sebastian Hanusa Immerhin gibt es im Libretto einige Sätze, die sehr konkret an jemanden adressiert sind. Dort wird gesagt: „I love you.“ Oder es wird direkt ein geliebter Mensch angesprochen. Aber es ist offen, ob dort ein anderer adressiert wird. Oder ob nicht jemand in einem solipsistischen oder auch narzisstischen Loop gefangen ist.

Bush Moukarzel Dieses „to you“ kommt wie ein Refrain mehrfach in der Oper vor. Und natürlich fragt man sich, wer spricht und zu wem. Das ist ein wunderbarer Kunstgriff innerhalb des Stückes, um diese Grenze des gegenseitigen Verstehen-Könnens zu zeigen. Und das findet sich dann auch auf der Videoebene wieder als das Spiel mit Körper als einer Grenze. Man kann extrem nah an ein Auge, die Haut oder den Mund heranzoomen. Aber man kommt nie „nach innen“ in den Mund, in den Augapfel. Du kannst jemandes Lippen küssen. Aber niemandes Seele. Die Oberflächen des Körpers sind daher die zentrale Metapher für diese Grenzerfahrung.

Und natürlich ist das der Grund für die Verbindung von Sex und Tod. Der Tod ist ein „Refraiming“ des Körpers. Durch den Tod wird der Körper zu etwas skandalös Absurdem. Es lässt uns erschaudern, dass all das, was wir mit einem Menschen verbunden haben, nun definitiv nicht mehr da ist. Das ist das Unheimliche an toten Körpern, dass sie nicht mehr der Mensch sind, dem sie zugehört haben. Aber auch wenn jemand noch lebt, stellen wir uns diese Frage. Du bist jemandem körperlich sehr nahe. Aber trotzdem fragst du ihn: Wo bist du? Selbst, wenn man sich direkt Gesicht an Gesicht gegenübersteht.

Sebastian Hanusa Der erste Satz im Vorwort des Librettos lautet „A woman is suspended in the immediate aftermath of a death” und auch hier findet sich dieses Moment des Übergangs, des liminalen Raumes der Todeserfahrung.

Bush Moukarzel Und es bleibt auch hier offen, wessen Tod es ist. Zugleich bleibt offen, in was für einer Form von Zeitlichkeit sich jemand hier befindet. Jeder kennt diese Erfahrung, dass in Momenten der Trauer scheinbar Raum und Zeit aufgehoben sind, wie im Traum. Das ist der Moment, an dem wir ansetzen, denn etwas Ungewöhnliches ereignet sich dort in und durch diese Erfahrung.

Sebastian Hanusa Wie macht man als Videokünstler diese Erfahrung von unmittelbarer körperlicher Nähe in einem Saal wie dem der Deutschen Oper erfahrbar, in dem das Publikum auf große Distanz und mit einem Blick von außen auf die Bühne schaut? Wie macht man Nähe sichtbar?

Sébastien Dupouey Die erste Herausforderung bestand für mich darin, auf der Bühne eine Welt zu erschaffen, in der sich ständig die Dimensionen von Nähe und Distanz verschieben. Und das multisensorisch, zwischen den verschiedenen Medien und Sinnen, zwischen Momenten reiner Sinnlichkeit und Bildern, die mit Bedeutung aufgeladen sind. Und die nächste Herausforderung war die, über die einzelnen Momente des Stückes etwas Verbindendes zu finden. Und auch hier ging es darum, verschiedene Dimensionen miteinander zu verbinden. Dieses Prinzip bedingt, dass die Figuren – und mit ihnen das Publikum – ständig in etwas hinein- und aus etwas heraustreten, dass es diese ständigen Perspektivwechsel gibt. Wir arbeiten daher ständig mit Distanzveränderungen und unterschiedlichen Skalierungen, die sich auf verschiedenen Ebenen überlagern und miteinander verschmelzen.

Sebastian Hanusa Mit dem Kostüm der Darstellerinnen kann aber sehr konkret etwas über ihre Figuren ausgesagt werden. Was erzählen die Kostüme über die vier Darstellerinnen?

Nina Wetzel Ich komme ja eigentlich mehr vom Schauspiel und arbeite daher mit dem Ansatz, persönlich und individuell für die Darstellerinnen etwas gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. Zugleich sollte es aber etwas geben, das die vier Figuren miteinander verbindet und zeigt, dass sie ja eigentlich ein und dieselbe Frau sein könnten. Und so entstand die Idee der Overalls. Ich selber habe mein Leben lang Overalls getragen. Sie geben Sicherheit, zumindest habe ich es so erlebt, als ich als Bühnenbildnerin in dieser sehr patriarchalen und männlich bestimmten Welt des Theaters begonnen habe. Und zugleich konnte ich diese Overalls sehr individuell und persönlich gestalten, vom Schnitt her, in ihrer Materialität und Farbe, so dass jede der vier Frauen ein wenig anders ist. Und dann gibt es Abendkleider, die etwas sehr Glamouröses haben und die den Protagonistinnen, aber auch uns im Publikum, eine gewisse Sinnlichkeit vermitteln. Es geht ja in dem Stück um Liebe, Betrug, Sinnlichkeit, und ich hoffe, dass sich dies über diese glitzernden Stoffe und den Glamour vermittelt.

Sebastian Hanusa Wenn du von Glamour in Verbindung mit einer Bühnenfigur sprichst, kann das ja zweierlei meinen. Zum einen beschreibt es die Eigenschaft eines Kostüms in dem Moment, wo wir es sehen. Als eine sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft dieses Kostüms, die durch dieses in dem Moment, wo man es wahrnimmt, zur Darstellung gebracht – und damit unmittelbar erfahren werden kann. Und zugleich bedeutet ein glamouröses Kostüm etwas. Es ist zum Beispiel Zeichen für eine Situation, in der wir die Darstellerin, die es auf der Bühne trägt, erleben, es zeigt ihren sozialen Status an oder ist Zeichen für ihre Gefühlslage.

Bush Moukarzel Diese Ebene der Bedeutung ist interessant. Wir können immer erst, nachdem etwas geschehen ist, darüber sprechen, was es zu bedeuten hat. Im Rückblick oder in Analysen, die in die Zukunft voraus zu schauen versuchen, um von dort die Gegenwart zu betrachten. Im Moment, in dem sich etwas ereignet, ist die Frage nach der Bedeutung aber ausgesetzt. Wenn man zum Beispiel Musik hört, fühlt man unmittelbar etwas. Man fragt sich in diesem Moment aber nicht, was man fühlt. Man weiß unmittelbar darum, was man fühlt. Und erst im Rückblick fragt man nach der Bedeutung dieser Erfahrung. Analog hierzu verhält es sich mit dem Leben. Man lebt und fragt sich erst im Rückblick, was man erlebt hat, was etwas zu bedeuten hat.

In LASH wird genau diese Frage nach der Bedeutung Gegenstand kommunikativen Handelns. Ganz im Sinne der „Acts of Love“. Liebe ist – im traditionellen Sinne und in ihren verschiedensten Spielarten – ein Akt der Verständigung zwischen zwei Menschen. Interessanterweise ist auch LASH ganz konkret aus Paarbeziehungen heraus entstanden. Rebecca und Enno verbindet eine langjährige Arbeitsbeziehung, sie bringen zusammen dieses Stück auf die Bühne. Sie hat es komponiert und er dirigiert es. Die Bühnenbildnerin und der Videodesigner leben zusammen. Und wir zwei Regisseure führen eine Art professioneller Ehe und die Regie entsteht aus unserem Dialog heraus. Die Struktur solcher Symbiosen prägt ganz wesentlich den Schaffensprozess.

Ben Kidd Das kann man auch über Rebecca und Ed sagen. Die beiden haben schon vor LASH zusammengearbeitet und ihre Arbeitsbeziehung war der Ausgangspunkt für die Oper. Meistens haben Komponist*innen ja bei einem Opernprojekt ein bestimmtes Sujet, eine bestimmte Geschichte, einen Text oder einen Film, den sie gerne für die Opernbühne adaptieren wollen. Bei Rebecca war es aber die Arbeitsbeziehung mit Ed Atkins. Und aus dieser Beziehung heraus ist das ganze Stück entstanden. In der Geschichte der Oper geht es letztlich fast immer um das Erzählen von Geschichten. Rebecca aber versucht, nah an die menschliche Erfahrung an sich heranzukommen. Wenn man eine Geschichte auf der Bühne erzählt, entsteht immer eine Distanz, allein dadurch, dass dem Publikum die Figuren und ihre Geschichte auf der Bühne vorgeführt werden und es mit einem Außenblick draufschaut. Rebecca und Ed versuchen aber, eine ästhetische Erfahrung zu ermöglichen, in der es unmittelbar um Sinnlichkeit und die Erfahrung zu Leben an sich geht.

Bush Moukarzel Sie versucht Körperlichkeit als solche auf die Bühne zu bringen. Die Oper selber ist ein Körper. Die Figuren auf der Bühne wachsen aus diesem Körper heraus. Und auch die ersten vokalen Äußerungen des Stückes treten erst allmählich aus der Tiefe dieses Körpers hervor. Anfangs sind sie noch unverständlich und erst allmählich nimmt die Sprache Form an und wird verständlich. Aus dieser Idee der Oper als eines Körpers heraus ist auch die Idee für den dritten Akt entstanden, wenn die Musik ganz konkret, mit im Zuschauerraum platzierten Musiker*innen, in den Zuschauerraum hinein expandiert.

Sebastian Hanusa Es ist diese Idee, nicht aus einer Distanz heraus auf eine Musik „heraufzuhören“ – so, wie man von außen betrachtet –, sondern die Erfahrung zu haben, innerhalb des Körpers der Musik zu sein. Und dahin ging auch meine Frage bezüglich der visuellen Künste wie der Regie. Hören ist immer intimer und näher an einem dran als das, was man sieht.

Bush Moukarzel Das übersetzen wir, indem immer wieder Dinge aus diesem „Körper“ der Bühne herauskommen. Zum Beispiel diese Boxen, die aus dem Bühnenboden heraus erscheinen. Wir spielen mit Oberflächen und Dingen, die daraus erscheinen. Es gibt diese Gaze, die wie eine Haut die Bühne bedeckt und auf die das Video projiziert ist so wie auf eine Epidermis.

Sébastien Dupouey Es geht immer um Oberfläche und Innen und es wird sehr viel mit Symbolen gespielt. Mit diesen Boxen auf der Bühne, aber auch innerhalb der einzelnen Spielszenen. Was wir zeigen wollen, sind die verschiedenen Arten des Sehens und zwar simultan, ganz besonders im dritten Akt. Wir gehen sehr nah an Oberflächen heran. Und dann gibt es einige Tricks, wo man denkt, dass man eine Oberfläche sieht und eigentlich sieht man tief in etwas hinein. Damit spielen wir. Und es laufen auch verschiedene Dinge auf den unterschiedlichen Ebenen kontrapunktisch zueinander. Manchmal versuchen wir, organisch die verschiedenen Medien und Materialien zusammen zu bringen und miteinander zu verschmelzen, manchmal laufen Dinge aber auch mehr parallel.

Bush Moukarzel Ein Schlüsselsatz des ganze Stückes ist für mich dabei das „What the fuck happened?“ Diese Frage wird nicht beantwortet. Und das nicht, weil es in einem Versteckspiel für Erwachsene zu einem Geheimnis wird, das man nicht verraten möchte. Statt dessen soll hier Raum gelassen werden für ein Nachdenken über die zahlreichen Möglichkeiten, auf diese Frage zu antworten.

Sebastian Hanusa Und damit kommen wir wieder zu dieser „Erfahrung im Moment eines Todes“, des „suspended in an aftermath of a death“. Im Moment eines Todes kann man nicht sagen, was dort gerade Existenzielles passiert. Und man kann auch nicht sagen, was die Erfahrungen waren, die ein sterbender Mensch in seinem Leben gemacht hat, die durchlebt wurden und sich eingeschrieben haben. Man kann nicht ein ganzes Leben in drei bis fünf Sätzen zusammenfassen.

Bush Moukarzel Aber am Ende schließt der Abend mit einem Lullaby für Erwachsene. „Come to bed and fucking die, add some light to a small pink star.“ Und es wiederholt sich. Ich habe mit Rebecca, die ja eine große Verehrerin von Beckett ist, darüber gesprochen: Grundsätzlich besteht der Sisyphos-Charakter eines Schlaflieds darin, ein Baby in den Schlaf zu singen und damit an einem Abend Erfolg zu haben – am nächsten Tag muss man es wieder machen. Und der Gedanke hinter einem Schlaflied für Erwachsene ist, dass wir, wenn wir aufwachen, nicht mehr weinen dürfen. Wir müssen weitermachen. Aber innerlich ist uns zum Weinen zu Mute. Auch wir brauchen ein Schlaflied. Und auch das ist eine unendliche Aufgabe.

Ben Kidd Und dann gibt es den Moment, in dem das nicht mehr nötig ist. Wenn man stirbt, macht es keinen Sinn mehr zu fragen, was verdammt noch einmal passiert ist. Das ist der erste Moment, in dem man akzeptieren kann, dass es eine unbeantwortbare Frage gibt, die nicht mehr gestellt wird.

Bush Moukarzel Ich denke, der letzte Akt von LASH heißt nicht „Loss“ | „Verlust“, aus einer Art von morbidem Todestrieb, mit dem wir alle ins Grab rasen. Es geht in dieser großen Meditation um den Gedanken, dass Verlust die Grundvoraussetzung für Liebe ist. Dass der Preis, den man für all die Dinge zahlt, die einem wichtig sind, darin besteht, dass man akzeptieren muss, dass man sie verlieren wird. Diese beiden Erfahrungen sind unmittelbar miteinander verbunden. Der Verlust ist der Liebe nicht äußerlich, die Erfahrung von Verlust ist integral mit der der Liebe verbunden. Und damit zurück zur Wimper und der Frage, ob man davon ausgehend eine Oper schreiben kann: Ja.

 

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