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Diese Begegnung von Tod, Sex und Liebe - Deutsche Oper Berlin

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Diese Begegnung von Tod, Sex und Liebe

Komponistin Rebecca Saunders im Gespräch mit Dramaturg Sebastian Hanusa

Sebastian Hanusa Lass uns mit der Frage nach dem Entstehungsprozess von LASH – ACTS OF LOVE beginnen. In einem Gespräch vor einigen Wochen hast du auf die Frage, warum du nach über dreißig Jahren erfolgreicher Arbeit als Komponistin erst jetzt den Auftrag für deine erste Oper angenommen hast – als Dietmar Schwarz im Sommer 2022 als Intendant der Deutschen Oper Berlin dich wegen des Kompositionsauftrags angefragt hat –, geantwortet, dass vorher dazu noch nicht die Rahmenbedingungen gegeben waren.

Rebecca Saunders Es war insgesamt eine lange Reise, einen Weg zu finden, mit Text zu arbeiten. 2015 habe ich „Skin“ für Sopran und Ensemble geschrieben. Die Haut dient als Metapher für die Vergänglichkeit – den kontinuierlichen Prozess des Abwerfens abgestorbener Haut und des Nachwachsens neuer. Der Text von „Skin“ stammt von mir und hat sich im Laufe des langen Kompositionsprozesses nach und nach herauskristallisiert. Später schrieb ich 2017 „Yes“, eine räumliche und musikalische Polyphonie von 83 Minuten. „Yes“ bezieht sich auf Molly Blooms Monolog, das letzte Kapitel von James Joyces „Ulysses“. Dieser Monolog lässt sich als eine Art literarische Collage betrachten, ein Netz aus unzähligen Pfaden von Geschichten, Gedanken, Assoziationen und Momenten in einem kontinuierlichen, unerbittlichen Strom energiegeladener Emotionen: eine Momentaufnahme, ein Seinszustand vor und während des Einschlafens.

2017 habe ich dann Ed Atkins kennengelernt. Ich stellte schnell fest, dass er sich mit Themen befasst, die mich mein Leben lang beschäftigt haben und die auf einer sehr tiefgreifenden Ebene meiner ganzen Musik unterlegt sind. Der Text von Ed Atkins, auf dem LASH basiert, ist eine berauschende, virtuose Beschäftigung mit dem Körper, mit dem Fleisch, mit Vergänglichkeit und Flüchtigkeit. Ein Bewusstseinsstrom, der manchmal greifbar, nah, intim und beängstigend gegenwärtig ist, um den Leser dann in seine drängenden, dichten Tiefen zu katapultieren – eine atemlose Sinnlichkeit, die zugleich hinreißend und schockierend ist. Die Oper befasst sich mit den grundlegenden menschlichen Erfahrungen von Sex, Liebe, Tod und Verlust, mit dem teuflischen, intimen Tanz von Liebe und Tod. Es ist eine Auseinandersetzung mit all diesen Themen durch die Wahrnehmung und Erfahrung des Körpers.

Sebastian Hanusa Diese erste Begegnung von dir mit Ed Atkins lässt sich exakt datieren. Es war ein Podiumsgespräch am 10. September 2017 im Rahmen des Musikfest Berlin und in Zusammenarbeit mit dem „Monat der zeitgenössischen Musik“ von field notes und der initiative neue musik berlin e. V. Damals fand im Musikfest die Uraufführung deiner Komposition „Yes“ statt und im Martin-Gropius-Bau war Eds große Einzelausstellung „Old Food“ zu sehen. Bei diesem Gespräch, dessen Mitschnitt man auch immer noch im Internet findet, ist scheinbar direkt der Funke zwischen euch übergesprungen. Wie ist eure Zusammenarbeit dann aber weiter verlaufen?

Rebecca Saunders Ich habe daraufhin die Komposition „Us Dead Talk Love“ auf einen Text von Ed aus seinem 2016 erschienenen Buch „A Primer for Cadavers“ komponiert. Das Stück entstand für Noa Frenkel und das Ensemble Nikel und wurde 2021 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Als die Anfrage wegen der Oper kam, war mir klar, dass ich diese unbedingt zusammen mit Ed schreiben wolle.

Sebastian Hanusa Neben Ed Atkins als künstlerischem Partner stand, bevor das Libretto geschrieben wurde, schon die Besetzung der vier Solistinnen Noa Frenkel, Sarah Maria Sun, Anna Prohaska und Katja Kolm fest. Ihnen hast du die Partien auf den Leib geschrieben und die vier Rollen des Stückes sind mit dem Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen benannt. Aber wie verlief der weitere Kompositionsprozess?

Rebecca Saunders Die Verkörperung von Klang fasziniert mich, und wenn man mit einer Sängerin oder einem Sänger eng zusammenarbeitet, gelangt man zu seinem Wesen – dem enormen Spektrum der ausdrucksstarken Eigenheiten der Stimme. Und das nicht nur in den lyrischen Gesangslinien, sondern auch bei Rezitationen und Gesangsweisen, die den Klang oder die Körnigkeit der Stimme erforschen. Gleichzeitig war mir klar, ich möchte Melodien schreiben.

Ich habe mich mit den Darstellerinnen getroffen und mit ihnen einzeln gearbeitet. Für jede Protagonistin habe ich eine präzise und besondere Palette von Klängen ausgearbeitet, ausgehend von ihrem besonderen Klang, Atem, Körper und ihren Ausdruckmöglichkeiten – die Musik ist stark inspiriert von der Arbeit mit diesen großartigen Frauen. Und ich habe Eds Text studiert und in mich aufgenommen, ihn beinahe eingeatmet. Auch konzeptionell gab es schon klare, grundlegende Ideen: die Verräumlichung im dritten Akt oder der dramaturgische Verlauf im zweiten Akt.

Dann kam ich aber erst einmal kompositorisch nicht weiter, weil ich Eds Text nicht in der Form eines Librettotextes bekommen hatte. Es war etwas zwischen einem dramatischen Text und einem Monolog. Der Text und die Sprache war inspirierend und großartig, aber es fehlte eine Struktur. Ich habe daher die Aufteilung der drei Akte, der einzelnen Szenen und die Charakterisierung der Figuren herausgearbeitet, sowie den Text zusammen mit Ed ganz wesentlich gefiltert und reduziert. Wir haben regelmäßig gesprochen und er hat die Entwicklung jedes Akts eng verfolgt. Als ein Akt fertig komponiert war, hat Ed dann mit seiner großartigen, poetischen Sprache das noch einmal poliert und Regieanweisungen hinzugefügt zur Farbigkeit, zum Licht und zu den Szenen. Mit der eigentlichen Komposition habe ich dann im September 2023 begonnen.

Sebastian Hanusa Wenn du auf den Entstehungsprozess zurückschaust: Findest du die Bilder, die du dir während des Komponierens vorgestellt hast, nun, einige Tage vor der Uraufführung, in der Regie von Dead Centre wieder?

Rebecca Saunders Ich habe mich sehr gefreut, dass zu Beginn der Oper der Mund aus der Nähe zu sehen ist. Ich habe 2020 die Komposition „The Mouth“ für Stimme und Zuspiel geschrieben. Der Mund ist die Schwelle zwischen zwei Welten, der inneren und der äußeren. Es gibt die innere Stimme, die jeder von uns in sich trägt – einen inneren Monolog, eine unaufhörliche Erzählung, unterdrückt und unter der Oberfläche verborgen. Und dann ist da noch die Stimme, die wir in die Welt senden – flüchtige Äußerungen, ein beredter Diskurs oder ein stolperndes, unverständliches Gemurmel. Diese klingende Stimme ist verletzlich, von äußerster Zerbrechlichkeit – ein Teil von uns, der freigelegt und aus uns hinaus in einen Abgrund projiziert wird. Und da ist die Kluft zwischen Innen und Außen: eine Dichotomie zwischen der inneren und der äußeren Stimme, zwischen unserem geheimen inneren Monolog und der Stimme, die in die Welt hinausgesandt und gehört wird. Und das ist ein Element, das ebenfalls Eingang in LASH gefunden hat. Ich finde es schön, wie Dead Centre mit dem Bild des Auges arbeiten. Auch das Auge ist dieser Übergangsraum zwischen Außen und Innen und die Lashes, die Wimpern, fungieren wie ein Vorhang zwischen Innen- und Außenwelt. Außerdem wünschte ich mir in LASH einen Raum der Poesie, wobei Text, Musik und Bild ineinander verwoben sind, intensiv bis zum letzten Ton. Wie klingt die Sinnlichkeit?

Sebastian Hanusa Gibt es Kunstwerke, die wichtige Inspirationsquellen für dein Komponieren für Stimme waren?

Rebecca Saunders Vor zehn Jahren waren es – und sind es bis heute – die großartigen „Récitations“ von Georges Aperghis. Diese kurzen Solostücke für Stimme sind wie Miniatur-Theaterstücke. Andere starke Inspirationsquellen waren die kurzen Theaterstücke und TV-Plays von Samuel Beckett, und, insbesondere in Bezug auf LASH, „Not I“. Diese körperlose Stimme, der Mund in Dunkel gehüllt, die Ekstase. Die Stimme, immer wieder in den Abgrund getrieben, bricht ab und setzt noch einmal von vorne an.

Und auch hier freut es mich sehr, dass diese Beckett-Assoziationen Eingang in die Regie gefunden haben in diesem Multimedia-Kunstwerk, das wir gemeinsam als großes Team auf die Bühne bringen. Auf der einen Seite ist dieses Gefühl der Einsamkeit und der Isolation des Körpers im leeren Raum, für das metaphorisch der Mund und das Auge stehen. Und auf der anderen Seite diese Versuche, in Verbindung zu treten über den Abgrund zwischen Ich und Welt hinweg. Was die Kunst letztlich leisten kann: Dass man miteinander in Verbindung tritt, auch wenn nur für einen Augenblick. Außerdem habe ich mich in Monteverdis ORFEO vertieft und die Kunst der Verzierung, in die Musik von Rameau und weiteren Barockkomponisten.

Sebastian Hanusa Innerhalb dieses Erfahrungsraumes, der sich in der Oper öffnet, ist das Spiel der vier Protagonistinnen in einem Bühnengeschehen zu erleben, das sich zwischen einem non-narrativen, postdramatischen Theater und erzählenden Momenten, einzelnen, teils auch recht konkreten Szenen und Bildern bewegt.

Rebecca Saunders Es geht in dem Stück um diese vier Facetten einer Protagonistin – verkörpert durch die vier Darstellerinnen –, die ich aber auch gern als Stränge oder Linien bezeichnen würde, die sich durch das Stück ziehen. Es geht für mich nicht um eine Frau, die von Trauer aufgesplittert oder zerrissen wird. Wir alle haben eine aus vielen verschiedenen und sehr unterschiedlichen Facetten bestehende Persönlichkeit. Jede der vier Frauen zeigt und erforscht zugleich diese unterschiedlichen Perspektiven.

Dead Centre haben ein zentrales Element aufgegriffen: Die sich wiederholenden Fragen, die die Oper durchziehen, deuten ein mögliches Geschehen an. Was ist passiert? Befinden wir uns in einem Traum, aus dem die Protagonistin am Ende erwacht? Gibt es dort Liebesbeziehungen zwischen vier verschiedenen Frauen? Oder sind es die Fantasien oder Erinnerungen eines einzigen Menschen? Erlebt man ein narzisstisches Spiel? Hat sich dort in der Vergangenheit ein Drama ereignet und man durchlebt es noch einmal, verschwommen, verzerrt und irgendwie unzusammenhängend, in Gedanken oder im Schlaf? Hat sie den Kontakt zur Realität verloren, oder befindet sie sich in einem Ausnahmezustand, in einem Außer-Sich-Sein?

Findet hier ein Prozess innerhalb einer bestimmten Zeitspanne statt oder geschieht das in einem Augenblick? In einem Traum, innerhalb eines Tages oder eines Wimpernschlags? Es gibt damit in dem Stück neben der Frage danach, wie aus dem Körper heraus Klang und Sprache als Medien der Kommunikation und Verständigung in die Welt kommen, auch immer wieder dieses Changieren hin zu möglichen Geschichten, die auf der Bühne erzählt werden. So in den sehr starken sprachlichen Bildern des Librettos. Zum Beispiel die Geschichte von der toten Maus am Beginn des dritten Akts. Da entsteht plötzlich etwas konkret – und verschwindet dann sofort wieder –, ein Moment von Klarheit und Verständlichkeit.

Sebastian Hanusa In dieser „Geschichte von der toten Maus“ geht es um die allererste Erfahrung eines Kindes mit dem Tod und damit die Konfrontation mit der Tatsache der eigenen Sterblichkeit. Und es geht um das Begehren, als etwas, das vor dem Hintergrund des Bewusstseins um die eigene Vergänglichkeit als ein „Anbegehren“ gegen den Tod verstanden werden muss.

Rebecca Saunders Das wird in LASH über den Körper vermittelt. Dieser abstrakte Gedanke wird sinnlich erfahrbar: der Körper, die Wimper, die Haut, der Augapfel, die Oberfläche der Haut, eine Wunde in der Haut, die Haare, der Mund – und wie dort Sprache entsteht. Ed hat sinngemäß geschrieben, dass die Frau durch die Nähe ihres eigenen Körpers ihre Sterblichkeit entdeckt. Und diese ist wiederum Voraussetzung für die Liebe und das Leben. Diese Begegnung von Tod, Sex und Liebe, die Intimität des Todes.

Sebastian Hanusa Und damit geht es natürlich um Erfahrungen, die man teilt. Du hast in dem eingangs erwähnten Interview gesagt, dass es für dich im Kern um die Frage geht, wie Sinnlichkeit klingt. Und zugleich bedeutet es, dass man, wenn man mit einem Kunstwerk auf diese Frage antwortet, dies nicht primär diskursiv macht, sondern mittels sinnlicher Erfahrung. Einer Erfahrung, für die das Publikum offen und bereit sein muss, sich einzulassen und sich vom Kunstwerk verführen zu lassen.

Rebecca Saunders Es geschieht für mich über den Klang. Diese erste, winzige Bewegung, ein Hauch von Klang, wird in den Raum gesetzt, und der Raum öffnet sich. Als Komponistin ziehe ich an diesem Strang, halte die Spannung, führe den Klang und folge ihm und seiner Spannung gleichzeitig. Man wird in die Musik hineingezogen, folgt den Transformationen und Bewegungen des Klanges, auch so, dass man spürt, wie die Zeit angehalten wird und dann wieder plötzlich nach vorne fällt. Und zwar nicht in dem Sinne, dass ich dem Publikum ermögliche, durch ein Schlüsselloch in einen anderen Raum zu schauen und damit den Bildausschnitt und die Perspektive definiere, in dem es auf etwa einen Menschen in diesem Raum schaut. Sondern indem ich die Tür öffne, so dass man in diesen Raum hineingehen kann, um zu diesem Menschen zu gelangen. Mir geht es nicht um ein quasi voyeuristisches Hören und Schauen, sondern um Begegnung mittels der Kunst. Und wenn das gelingt, ist es für mich ein Moment von unfassbarer Poesie.

Peter Brooks sagte in seinem Werk „Der leere Raum“: „Der Musiker arbeitet mit einem Gewebe, das dem Unsichtbaren so nahekommt, wie der Mensch es nur erreichen kann.“ Und an anderer Stelle schreibt er, dass „Musik das Theater des Unsichtbaren ist.“ Ich fand das wunderschön. Musik ist nicht Mittel zum Zweck. Sie transportiert weder Botschaft noch Bedeutung. Sie ist die Sache selbst. Musik ist außergewöhnlich und einzigartig, da sie auf fast magische Weise etwas andeuten und suggerieren kann. Poesie. Sie gibt dem Raum, was sprachlich so schwer zu artikulieren ist.

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