Mein Seelenort … Klaus Florian Vogt - Deutsche Oper Berlin
Mein Seelenort … Klaus Florian Vogt
Klaus Florian Vogt ist einer der bekanntesten Wagner-Tenöre. In Berlin sänge er nun TANNHÄUSER und PASIFAL. Im Hafen von Barcelona träumt er davon, Kapitän zu sein
Häfen sind Orte der Verbindung. An diesen Knotenpunkten trifft die große weite Welt das Festland, hier verbindet sich das Abenteuer auf dem Meer mit dem Schutz der Hafenmauer, das Fernweh mit der Reise. Der Hafen in Barcelona ist in besonderer Weise ein Verbindungsort: Er ist sehr eingebunden in das Stadtleben, denn die Rambla, die Ader der Stadt mit ihren Geschäften, Cafés und auch dem Theater, in dem ich probe, führt direkt zum Hafen: Barcelonas Hafen ist mitten in der Stadt. Ich mag Häfen solange ich denken kann. Aufgewachsen bin ich an der Nordsee, direkt an der Elbmündung in Brunsbüttel. In meiner Kindheit war ich oft in kleinen Fischereihäfen und habe dort die einlaufenden Fischkutter beobachtet. Oder ich stand am Ufer und habe den Containerriesen nachgeschaut, wie sie aus der Elbe in die Welt hinausfahren – oder vom offenen Meer in die Mündung einliefen. Ich hab mich gefragt, woher die wohl kommen. Was die wohl geladen haben?
Hier in Barcelona gehe ich gern über die Stege, das Gebälk knarrt, das Wasser gluckert, es schwankt. Ich schaue mir die Yachten an, hier liegen Megayachten, diese fetten Dinger faszinieren mich. Manche sind unvorstellbar riesig, gut achtzig, neunzig, hundert Meter lang. Wem die wohl gehören? Haben will ich sowas nicht. Ich steuere ein Boot gern selbst, das kann ich mit diesen Riesen nicht. Als Jugendlicher bin ich gesegelt, erst die kleinste Regattaklasse, den Optimist, dann einen Pirat, eine fünf Meter lange Jolle. Wir sind direkt in der Mündung gesegelt, im Brackwasser, nicht mehr Fluss und noch nicht Meer. Heutzutage segele ich allerdings nicht mehr so häufig, meist bin ich mit einem kleinen Motorboot unterwegs, auf dem ich auch übernachten kann.
Häfen sind Orte des Handelns und der Kommunikation. Als Kind habe ich Fisch und Krabben direkt vom Kutter gekauft, hier kaufe ich fangfrischen Lachs, Bacalao, Doraden und Langustinos auf dem Markt unweit des Hafens. Darf ich Ihnen mein Lieblings-Lachsrezept verraten? Ich rühre eine Soße aus Paprika, Zucchini, Möhren, Tomaten und ein paar Kräutern und lege die rohen Filets direkt in diesen Sud. Zusammen lasse ich das köcheln, Parmesan drauf, fertig. Aber wer in einen Hafen einläuft, bringt nicht nur frischen Fang nach Hause, der hat auch etwas zu erzählen. Das Meer ist immer in Bewegung, wer anlegt, hat eine Reise hinter sich. Und die Leute im Hafen wollen diese Geschichten hören: von den Winden, den Wellen, fernen Orten. Die Abenteurergeschichten, das Seemannsgarn.

Häfen sind Orte der Erholung und der Fantasie. Wer in einen Hafen einläuft, ist sicher. Häfen bedeuten: Heimkehren vom Abenteuer, sich sicher fühlen, zur Ruhe kommen. Hier kann ich abschalten. Und manchmal stehe ich einfach auf dem Steg und stelle mir vor, wohin ich jetzt fahren könnte. Wie lange würde ich mit dem Boot von Barcelona nach Hamburg brauchen? Mit Wetterpausen wäre ich wahrscheinlich gute zwei Wochen unterwegs. Ich stelle mir vor, wie ich durch das Mittelmeer zur Straße von Gibraltar fahre, dann durch die Biskaya in den Ärmelkanal. Ob ich da durchkommen würde? Durch die starke Strömung, den Seegang, den rauen Sturm? Wenn mir jemand vier Wochen und ein geeignetes Boot schenken würde: Ich würde an Deck springen, die Leinen lösen und los.

Segel setzen und los: Wenn ihm jemand vier freie Wochen und ein Boot schenken würde, sagt Vogt, dann würde er bis Hamburg schippern © Tim Adorf, 2020
Aber nun steuere ich erstmal die Deutschen Oper Berlin an. Ich singe die Titelrollen in Wagners PARSIFAL und TANNHÄUSER. In Barcelona singe ich den Lohengrin, eine Rolle, die ich seit fünfzehn Jahren sehr gut kenne. Diese drei Männer sind sehr unterschiedliche Charaktere im Wagner-Universum. Man könnte sagen: Der Parsifal wird vom Schiffsjungen zum Kapitän. Der Lohengrin ist Kapitän, erleidet aber Schiffbruch. Und der Tannhäuser möchte Steuermann sein, kriegt das aber nicht so hin, der hat keinen klaren Kurs vor Augen. Für den PARSIFAL muss ich geduldig sein. Die Musik braucht Zeit, um sich zu entwickeln, genau wie der Parsifal Zeit braucht, um sich vom dummen Jungen zum Anführer zu entwickeln. Wenn ich nach dem aufwühlenden 2. Aufzug im ruhigen 3. ankomme, fühle ich mich, als wäre ich nach einem Sturm im Golf von Biskaya in einem sicheren Hafen gelandet: Ich spüre tiefe Ruhe und Entspannung. Tannhäuser ist zerrissen und verzweifelt, er ist viel aggressiver als Parsifal und Lohengrin, ist forsch und provozierend. In seiner Venus hatte er eigentlich einen Hafen gefunden, aber es treibt ihn weiter, er sucht wieder was anderes.
Das ist vielleicht, was diese drei Wagner-Figuren eint: Sie sind Suchende, sie wollen neue Häfen ansteuern, an fremden Stegen anlegen – nur, um wieder in See stechen. Ich glaube, Wagner selbst war so ein Reisender. Wie sonst hätte er dieses unerschöpfliche Universum kreieren können? Ihn zu singen ist zumindest jedes Mal ein Abenteuer, als würde ich aufs offene Meer hinaussegeln. Manchmal denke ich: Aus mir wäre auch ein guter Kapitän geworden.