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Macht und Manipulation - Deutsche Oper Berlin

Macht und Manipulation

Notizen zu MACBETH von Marie-Ève Signeyrole und Louis Geisler

Ein Organismus mit zwei Gesichtern

MACBETH handelt in erster Linie von Machthunger und Ehrgeiz. Macbeth wird von einem unersättlichen Verlangen nach Macht getrieben und Lady Macbeth von nüchternen Ambitionen, derer wegen sie ihren Gatten in seinem Tun bestärkt. Mit nur wenigen Worten entfachen die Prophezeiungen der Hexen die Gemüter der Macbeths. Das übrige Stück konzentriert sich darauf, diese Prophezeiungen Schritt für Schritt zu erfüllen – dafür zückt Macbeth jedes Mal die Klinge und Lady Macbeth stachelt ihn dabei an. Shakespeare schuf mit diesem beispiellosen Paar einen Organismus mit zwei Gesichtern und zwei Herzen, bewaffnet mit zwei Messern. Eine menschliche Bestie, die zu zweit operiert. Die Frau gibt vor, der Mann handelt. Er schlägt zu, sie verwischt die Spuren. Er fällt, sie richtet ihn auf. Er wird heimgesucht, sie rationalisiert. So gleiten sie in einen Strudel der Grausamkeit ab, die immer mehr Grausamkeit fordert – Blut kann nur mit Blut abgewaschen werden. Wie grässlich dieses Paar auch sein mag, fühlen wir doch mit ihnen, was maßgeblich an der Musik liegt, die für sie komponiert wurde. Wenn uns die Musik berührt, berühren uns auch die Charaktere. Sie werden dadurch nicht automatisch gut und liebenswert, aber wir erkennen ihre Menschlichkeit, die buchstäblich in uns nachklingt.

Würde Macbeth als reine Personifizierung des Bösen gelesen, gäbe es keinen Platz für Dramatik. Für uns ist es viel interessanter, seinen einsamen Weg zu beleuchten, der ihn unweigerlich dem Untergang entgegenführt. Macbeth glaubt aus sich heraus zu agieren, doch ist er nur ein Spielball unter den Einflüssen der Hexen, seiner Frau und der Gesellschaft. Wenn er nicht so erbittert versucht hätte, die Prophezeiungen zu erfüllen und nach ihnen zu handeln, wäre er dann trotzdem König geworden? Hätte er Söhne gehabt, die ihrerseits Könige geworden wären? Ich mag die Tatsache, dass wir diese Fragen nicht einfach lösen können, genauso wenig wie Macbeth, der unermüdlich versucht, Antworten zu finden.

Die Frage nach dem Erbe

Die Frage der Nachkommenschaft ist insgesamt ein zentrales Thema des Werks. Die Hexen sagen Banquo voraus, dass er selbst zwar kein König sein wird, seine Erben aber schon. Macbeth wird diese Prophezeiung immer wieder hinterfragen und versuchen, alle Personen zu beseitigen, die seiner Herrschaft ein Ende setzen könnten. Banquo ist bereits Vater, während Macbeth es nicht ist, oder besser gesagt, nicht mehr ist. Der große Schwachpunkt der Macbeths besteht darin, keine Nachkommen zu haben, und dieser Mangel nährt ihre Gewalt. Statt den Schmerz von innen heraus zu stillen, kehren sie ihn nach außen. In Shakespeares Drama deutet Lady Macbeth an, dass sie einmal ein Kind hatte: „Ich hab gesäugt und weiß, / Süß ists, das Kind zu lieben, das ich tränke“. In der Oper wird die Kinderlosigkeit nicht thematisiert, was das Thema regelrecht als Tabu erscheinen lässt, als offensichtliche Tatsache über die streng geschwiegen wird. In unserer Inszenierung wird dieses Tabu thematisiert, die Frage nach dem Erbe ist omnipräsent.

Gequält vom Verlust des eigenen Kindes und konfrontiert mit den Schwierigkeiten, weitere Nachkommen zu zeugen, ermorden die Macbeths auf grausame Weise die Kinder ihrer Rivalen. Zugleich versuchen sie weiterhin beharrlich, ein eigenes Kind zu bekommen, um der Prophezeiung entgegenzuwirken. Ob das Ausbleiben von Nachkommen an Unfruchtbarkeit, Impotenz, Schicksal oder einer Art Rache der Natur liegt, ist dabei irrelevant, aber es nährt das „doppelköpfige Monster“, das die Ehe der Macbeths darstellt. Die Unfruchtbarkeit des Paares wird zur zentralen dramatischen Triebfeder in dieser Geschichte, die unweigerlich darauf zusteuert, dass sich Macbeth und Lady Macbeth ihren eigenen dunklen Abgründen und der Tatsache ihrer Endlichkeit als Menschen stellen müssen.

Lange gelingt es den Macbeths zusammenzuhalten, doch irgendwann entfremden sie sich voneinander – nicht aus Mangel an Liebe, sondern aus Abscheu vor ihren eigenen Monstrositäten: Das Paar, das nicht in der Lage ist, Leben zu schenken, hat es sich zur Aufgabe gemacht, anderen das Leben zu nehmen. Ihr gemeinsames Schlafzimmer weicht zwei getrennten Schlafzimmern. Ihre letzten beiden Arien ähneln einem Gespräch ohne Gesprächspartner. Jeder wendet sich an den anderen, der nicht anwesend ist. Als Macbeth vom Tod seiner Frau erfährt, ist seine einzige Antwort: „Das Leben, was liegt daran?“, als ob auch ihn das Leben schon verlassen hätte und die Verwirklichung ihres blutigen Plans nur zu zweit und aus Hingabe des einen an den anderen einen Sinn gehabt hätte.

Oper als Polit-Thriller

Der „Macbeth“-Stoff inspirierte zahlreiche Filme, Romane und in jüngster Zeit auch Serien wie „House of Cards“, wo das zentrale Ehepaar an den Macbeths angelehnt ist. So haben auch wir uns dazu entschieden, die Oper wie einen Polit-Thriller in mehreren Episoden zu erzählen, die jeweils durch einen Titel, ein Zitat als Leitspruch und eine kurze Kontextualisierung eingeleitet werden. Die Struktur von Verdis MACBETH eignet sich hervorragend dafür: Partitur und Libretto lassen sich in fünf verschiedene dramatische Bilder unterteilen, die durch mehr oder weniger lange zeitliche Abstände voneinander getrennt sind: die Prophezeiungen der Hexen – die Ermordung Duncans – die Ermordung Banquos – die zweite Zusammenkunft der Hexen – der Untergang der Macbeths.

Die Handlung spielt bei uns in einer dystopischen Welt, einer alternativen Realität. Schottland hat sich aus dem Vereinigten Königreich gelöst und seine Unabhängigkeit erklärt. Seine finanzielle Autonomie sichert das Land durch die Verstaatlichung und Ausbeutung der Öl- und Gasressourcen in der Nordsee – ein Szenario, das von den schottischen Unabhängigkeitsbefürwortern heute tatsächlich in Betracht gezogen wird. Vor dem Hintergrund einer akuten Energiekrise wird die Kontrolle über diese Ressourcen, deren Vorkommen sich auf halbem Weg zwischen Schottland und Norwegen befinden, zum Streitpunkt eines Krieges zwischen den beiden Ländern. Mit dem Ende dieses Krieges, den Macbeth für Schottland gewinnt, beginnt die Oper. Diese politische Lage steht im Dialog mit der persönlichen Situation des Paares Macbeth und Lady Macbeth, das sich mit der Unmöglichkeit konfrontiert sieht, ein Kind zu bekommen.

Intrigenspiel statt Fantastik

Sowohl in Shakespeares Vorlage, noch stärker aber in Verdis Adaption nimmt das Fantastische eine zentrale Position ein. Im Geiste der Zeit werden historische Grundlagen mit fantastischer Fiktion vermengt. Die Hexen können nicht als reines Produkt von Macbeths Fantasie gesehen werden, da auch Banquo zu Beginn der Oper mit ihnen spricht, sich über sie lustig macht und ihnen gleichzeitig misstraut. Sie müssen also sehr wohl real sein. Wir haben uns dafür entschieden, die Hexen nicht als Zauberwesen anzulegen, sondern als Akteure, die Intrigen spinnen und Einfluss nehmen. Die Visionen Macbeths erklären wir zu Halluzinationen: Unter dem Einfluss der Hexen, die seine Machtgier schüren, verfällt er zunehmend dem Wahnsinn und verkommt zu einem blutrünstigen Monster. Von der Erinnerung an seine Opfer geplagt, sieht Macbeth, wie die Gemälde in seinen Gemächern zum Leben erwachen und Blut aus den Wänden hervortritt. Ein zentrales Motiv, das sich durch unsere Inszenierung zieht, ist der Hirsch, der gleichzeitig als König des Waldes gilt, aber auch Fruchtbarkeit, Männlichkeit und Wiedergeburt symbolisiert. Diese vitale, lebensbejahende Vision verwandelt sich bald schon zu einem todbringenden Albtraum.

MACBETH stellt die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Kommt es von außen, wie ein unabwendbares Schicksal, gegen das wir nichts tun können? Oder lauert es tief in uns allen, bereit, unter bestimmten Umständen hervorzubrechen? Mit anderen Worten: Ist Macbeth ein Gefangener des von den Hexen prophezeiten Schicksals oder setzt er selbst mehr oder weniger bewusst um, was ihm angetragen wurde? Den Worten der Hexen nach scheinen sie Macbeth genau zu kennen, insbesondere seine Stärken und Schwächen. Sie entfachen sein Streben nach Macht, indem sie ihm in Aussicht stellen, König zu werden, wovon er vielleicht nie zu träumen wagte, und bringen Macbeth so unter ihre Kontrolle.

Die Hexen als Ränkespieler

Die Beeinflussung von Personen durch die Verwendung intimer Informationen, um Wünsche zu prognostizieren oder Neigungen zu fördern, ist eine Art der Manipulation, der wir heute alle willig zum Opfer fallen. Die persönlichen Daten, die wir überall auf Websites und in sozialen Netzwerken hinterlassen, werden von leistungsstarken Algorithmen verarbeitet, um gezielt für uns relevante Werbung anzubieten oder automatisch Inhalte vorzuschlagen, die unserem Geschmack entsprechen. Unsere Nutzung des Internets verrät viel über unsere Interessen, Ängste, Fantasien und Träume. Was ist heutzutage persönlicher und sensibler als der Verlauf unserer Internetsuchen oder unsere Cloud mit Fotos und Nachrichten? Schon heute werden solche persönlichen Daten von Lobbygruppen und Interessennetzwerken in Wirtschafts- und Handelskriegen abgeschöpft und verwendet. Bei Shakespeare und Piave töten die Hexen Schweine und beschwören Stürme herauf, um Schiffbruch zu verursachen. In unserer Inszenierung geistern sie als skrupellose Lobbyisten, deren strenge Kostüme eine Anspielung auf die der amerikanischen Pilgrims und Quäker sind, durch die Korridore der Macht. Sie vertreten Interessen einflussreicher, mehr oder weniger anonymer Investmentgesellschaften, die große finanzielle Vermögenswerte verwalten, strategisch Anteile an zahlreichen Unternehmen in allen Wirtschaftssektoren besitzen, Green Washing betreiben, Embargos um - gehen und politische Persönlichkeiten beeinflussen.

Von der Fiktion zur Wirklichkeit

Eine real existierende Vorlage für solche Wirtschaftsmacht ist das amerikanische Unternehmen BlackRock, dessen Name schon an Hexerei und schwarze Magie erinnert. BlackRock hat mit einem automatisierten Vermögensverwaltungsprogramm namens Aladdin ein wahres Imperium aufgebaut. Der Name Aladdin steht einerseits als Akronym für Asset Liability, Debt and Derivatives Investment Network, andererseits wird durch die Assoziation mit der Märchengestalt mit der Wunderlampe magisches Potenzial suggeriert. Tatsächlich hebt BlackRock Vermögensverwaltung mit dieser künstlichen Intelligenz auf ein neues Level, indem eine gewaltige Menge an Daten ausgewertet wird, um automatisch Investitionen auf dem Markt zu tätigen. 2013 stellte BlackRock Aladdin in einem Werbespot als quasi allwissendes Werkzeug vor, mit dem sich mögliche Zukunftsszenarien detailliert berechnen ließen. Wie dieses Programm beworben wird, inspirierte zum Teil die von uns ergänzten Monologe der Oberhexe, die wir dem ersten und dritten Akt vorangestellt haben. Doch die Bezüge zu Magie und Zauberei bestehen in der Wirtschaftswelt nicht erst, seit es Supercomputer gibt: Als „Tripple witching hour“ im anglo-amerikanischen Raum bzw. als „Hexensabbat“ im deutschen Börsenjargon werden spezielle Tage im Jahr bezeichnet, an denen viele Derivate auslaufen, was zu einer erhöhten Volatilität, also erhöhten Schwankungen, auf den Weltmärkten sorgt. Dass die Oberhexe bei uns zudem ein kybernetisch erweitertes Hybridwesen zwischen Mensch und Maschine ist, erinnert an reale Phänomene wie Ms. Tang Yu, eine künstliche Intelligenz, die als Geschäftsführerin des milliardenschweren chinesischen Unternehmens NetDragon Websoft fungiert. Derartige aktuelle Beispiele bieten nur einen Vorgeschmack darauf, was uns in den nächsten Jahrzehnten erwarten könnte.

Die Gesellschaft, in der MACBETH spielt, zeigt einerseits die Hexen, die eine okkulte fantastische Sphäre repräsentieren, andererseits den Hof des Königs, an dem politische Entscheidungen gefällt werden, und schließlich das widerständige Volk, das sich hauptsächlich auf Gott verlässt und in einer sehr manichäischen Weise Gut und Böse, Himmel und Hölle unterscheidet. In unserer Inszenierung haben wir es dagegen mit einem Regierungs- und Verwaltungsapparat zu tun, der weder gut noch böse ist. Während die Hexen als Lobbyisten die Entscheidungsfindung beeinflussen, leben alle anderen im Rhythmus der Entscheidungen der Macbeths. Damit ist die Gesellschaft, die wir auf der Bühne zeigen, unserer eigenen sehr nahe. Die Menschen nehmen ihr Schicksal weniger selbst in die Hand, als dass sie auf die zahlreichen Reize der digitalen Welt reagieren. Wir sind sowohl Anstifter als auch Opfer dieser Manipulation. Wir füttern die „Bestie“ mit jedem unserer Klicks, wenn wir unsere Fotos und Vorlieben teilen, wenn wir online von unseren Verletzungen und Wünschen erzählen. Diese „Bestie“ kennt uns schließlich in- und auswendig, beeinflusst unser Begehren, schleicht sich böswillig in unseren Willen ein, bastelt uns Träume, verändert unseren Geschmack und weckt unsere Wut. Auch unsere Politik wird von Einzelpersonen gemacht und beraten, die ihrerseits in sozialen Netzwerken interagieren. Macbeth befragt die Hexen als Orakel, in ähnlicher Weise befragen wir ständig unsere sozialen Netzwerke, um dort Antworten zu finden. Dabei vergessen wir, dass diese Netzwerke genauso gefährlich und heimtückisch sein können wie die Hexen in MACBETH.

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