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Als Politik zur Show wurde - Deutsche Oper Berlin

Als Politik zur Show wurde

John Adams’ NIXON IN CHINA gilt als Meisterwerk der Minimal Music. Jetzt ist die Oper erstmalig für ein Berliner Publikum zu erleben, in der Inszenierung des Musiktheaterkollektivs »Hauen und Stechen«

Am 21. Februar 1972 landet die Air Force One in Peking. Zur besten amerikanischen Sendezeit betritt Richard Nixon als erster Präsident der USA den Boden der Volksrepublik China – der Beginn eines einwöchigen Staatsbesuchs. Und eines politischen Medienereignisses der Superlative. Später wird es heißen, das Medieninteresse sei größer gewesen als bei der Mondlandung drei Jahre zuvor. Inhaltlich besprochen wird wenig. Es gibt Fototermine mit Mao Tse-tung und Vier-Augen-Termine mit Premierminister Chou En-lai. Die Weltöffentlichkeit aber muss sich mit Bildern begnügen. Es entbrennt eine Propagandaschlacht, die am Ende als diplomatischer Erfolg verbucht wird: Nixons Besuch markiert den Ausgangspunkt von Chinas Annäherung an den Westen.

Etwa 15 Jahre später wird das Medienspektakel zum Opernstoff. Den Dreiakter NIXON IN CHINA wollte der Komponist John Adams als »heroische Oper« verstanden wissen, keinesfalls als Karikatur oder plumpe politische Satire. Das Libretto von Alice Goodman orientiert sich am Protokoll des atemlosen Tourismusprogramms, das Nixon zusammen mit seiner Frau Pat und dem Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger absolviert: Sie besuchen die Chinesische Mauer, eine Vorzeige-Schweinezucht, eine Fabrik, die Miniatur-Elefanten herstellt, eine revolutionäre Modelloper und das abendliche Staatsbankett in der Großen Halle des Volkes.

Wie bringt man so etwas ein halbes Jahrhundert später auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin? Die Regisseurinnen Julia Lwowski und Franziska Kronfoth vom Musiktheaterkollektiv »Hauen und Stechen« haben keine historisch-realistische Abbildung Chinas der 1970er Jahre im Sinn. Zum einen, weil sie sich Fragen nach der überzeitlichen Dimension einer weltumspannenden Auseinandersetzung wie dem Ost-West-Konflikt stellen, zum anderen, weil sich die Oper selbst nicht so leicht verorten lasse, wie es scheint: »Wir müssen mitbedenken, dass wir die konkreten historischen Schauplätze durch eine amerikanische Brille betrachten. NIXON IN CHINA ist ein zutiefst amerikanisches Stück, beginnend bei der Musik, die immer wieder fast broadwayhafte Züge trägt, über die Sprache bis hin zur Zeichnung der Figuren«, sagt Lwowski.

Julia Lwowski, Yassu Yabara, Franziska Kronfoth und Christina Schmitt (v.l.) übernehmen Regie, Bühnen- und Kostümbild © Max Zimmermann
 

Dass die Oper ein Welterfolg werden konnte, lag wohl auch an dieser musikalischen Öffnung. Adams, einer der großen Vertreter der Minimal Music, gelingt ein Spagat zwischen dem strengen Minimalismus mit seinen typischen repetitiven Melodie- und Rhythmusfiguren, Jazz, Musical-Drive und großer romantischer Oper. »Die Musik ist phänomenal«, so Lwowski, »sie macht große Bilder auf. Trotz ihrer Vielseitigkeit wird sie nie sperrig, bleibt immer großzügig, inklusiv. Für mich steckt in dieser musikalischen Geste der Umarmung eine große Lust und Erotik.«

Zusammen mit Franziska Kronfoth gründete Lwowski 2012 Hauen und Stechen, ein Kollektiv, das durch die enge Zusammenarbeit mit einem konstanten Stab an Sängerinnen, Musikern, Bühnen- und Kostümbildnerinnen und Videokünstlern wie ein kleines Opernhaus funktioniert. »Zusammen haben wir nach und nach unsere eigene Sprache entwickelt. Zu der gehört auch die Videokunst, der bei NIXON IN CHINA eine besondere Rolle zukommt. Große Teile des Geschehens werden wie in der historischen Vorlage von einem Kamerateam begleitet«, erzählt Kronfoth.

Fünfzig Jahre nach der historischen Stippvisite hat sich die politische Situation radikal verändert, China ist längst zum Hauptkonkurrenten der USA aufgestiegen. Wieso steht die Oper ausgerechnet jetzt wieder vermehrt auf den Spielplänen? Kronfoth sieht Parallelen zur Gegenwart: »Die Vorzeichen haben sich geändert, aber wir befinden uns auch heute in einer Phase der kollektiven Verunsicherung. Wir sprechen wieder davon, dass die Weltordnung neu verhandelt werden müsse, haben Angst vor einem Machtvakuum – die sozialpsychologischen Mechanismen funktionieren ähnlich wie damals, als Nixon weitgehend unbekannten chinesischen Boden betrat. Und vielleicht herrscht auch trotz enger wirtschaftlicher Beziehungen eine ähnliche Sprachlosigkeit zwischen den beiden Systemen und Philosophien. Das macht die Oper zeitlos.«

Aufgezeichnet von Tilman Mühlenberg

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