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Annika Schlicht: Mein Seelenort … Das Museum - Deutsche Oper Berlin

Annika Schlicht: Mein Seelenort … Das Museum

Die Mezzosopranistin Annika Schlicht singt Fricka in Wagners DAS RHEINGOLD. Bei alten Kunstwerken sucht sie Zugang zu ihren Rollen – und findet Figuren von zeitloser Gültigkeit

Mein Seelenort sind Museen. Egal wo ich bin auf der Welt – immer besuche ich Gemäldegalerien, Sammlungen, zeitgenössische Ausstellungen. Seit einem Jahr ist das nur noch sehr eingeschränkt möglich und ich bin völlig ausgehungert. Sobald in Berlin Besuche wieder möglich waren, habe ich mir Tickets reserviert und war in einer Woche in vier Häusern. Museen sind Orte der Ruhe, hier kann ich abschalten. Gleichzeitig sind sie Orte der Inspiration, die ich gezielt zum Recherchieren für meine Rollen benutze, an denen ich mich in meine Figuren hineinfühle.

Als ich 2019 die Fenena in Verdis NABUCCO gesungen habe, besuchte ich oft das Pergamonmuseum. Ich stand immer wieder vor dem Ischtar-Tor und habe fast körperlich gefühlt, wie es ist, als Fenena fünfhundert Jahre vor Christi Geburt über die babylonische Prozessionsstraße zu laufen. Gerade studiere ich den Vaterländischen Saal im Neuen Museum in Berlin. Ich kenne diesen Ort, seit ich 2009 für mein Studium an der Hanns-Eisler-Hochschule nach Berlin kam. Seit ich an Wagners RING DES NIBELUNGEN arbeite, hat er für mich eine neue Bedeutung: Der Vaterländische Fries zeigt die Figuren und Geschichten der nordischen »Edda«, einer altisländischen Sagensammlung aus dem 13. Jahrhundert. Auf die »Edda« bezog sich Wagner in seinem RING – und ich singe im Zyklus die Fricka, Wotans Frau, die Göttin der Ehe, des Herdes und Haushalts. Ich stehe in dem opulenten Saal und schaue mir die Wandgemälde aus dem 19. Jahrhundert an: Da ist Odin, der nordische Göttervater, der im RING Wotan genannt wird; dort stirbt sein Sohn Baldur; da ist ein Trinkgelage auf Walhall.

Ein Ausschnitt aus dem Vaterländischen Fries im neuen Museum in Berlin: Das ist Odin, der nordische Göttervater, der in Wagners RING als Wotan auftaucht © Max Zerrahn

An der Stirnseite des Frieses liegen zwei germanische Krieger in einem Hügelgrab, der Schmuck, den sie auf den Gemälden tragen, ist von historischen Fundstücken inspiriert, die wiederum bei der Eröffnung des Saals ausgestellt wurden. Nur der für mich wichtigste Teil fehlt: Ausgerechnet die Fricka ist im Vaterländischen Fries nicht erhalten. Noch etwas anderes fehlt, und diesmal fehlte es dem Publikum. Pandemiebedingt konnte der RING-Zyklus nicht mit dem RHEINGOLD beginnen, dem Vorabend, in dem unter anderem Frickas besorgte, weichere Seite etabliert wird. So aber stiegen wir im September direkt mit der WALKÜRE ein. Dort tritt Fricka dominant auf, hat es satt, permanent von Wotan betrogen und bloßgestellt zu werden, stellt ihn zur Rede und zwingt ihn, nach ihrem Willen zu handeln. Damit zeigt sie ihre Prinzipien: Sie kann dieses Verhalten als Göttin der Ehe nicht akzeptieren – sich aber auch nicht einfach von Wotan scheiden lassen. Ich bin quasi kalt in diesen Höhepunkt eingestiegen. Es war nicht leicht, den inneren Bogen ohne Vorgeschichte zu spannen, weil Singen ein Ganzkörpererlebnis ist. Ich habe physisch gefühlt, wie sehr mir DAS RHEINGOLD für mein Debüt fehlte.

Fricka hat menschliche Züge – aber sie bleibt eine Göttin. Auf eine Weise ist sie mir trotzdem ähnlich: Auch ich bin jemand mit Prinzipien, wenn auch nicht so extrem wie Fricka. Mir sind Werte wie Ehrlichkeit, Treue und Hilfsbereitschaft wichtig. Auch in meinem Beruf helfen mir Prinzipien: Ich trinke etwa keinen Alkohol am Tag vor einer Vorstellung oder während der stressigen Endproben. Ich verstehe Fricka, auch in ihrer schwierigen Beziehung zu Wotan. Ich bewundere sie für ihre verbale Stärke, sie kontert jede seiner Spitzen. Ich singe gern in der deutschen Sprache, die so eigene Wortkreationen hervorbringt wie Waldeinsamkeit und Fernweh. Im Deutschen kann ich mit Sprache malen. Wagner mischt in seine Werke alt- und mittelhochdeutsche Wörter wie Klinze (ein schmaler Spalt), kiesen (wählen) oder Mähre (altes Pferd) und kreiert sogar eigene Worte wie böslich und neidlich. Seine Stabreimliebe kommt besonders bei den Rheintöchtern zur Geltung: »Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weialaweia!« Dieser Reim wird oft parodiert, aber er ist genau erklärbar und alles andere als willkürlich: »Wag« ist ein bewegtes Wasser und »waian« ein germanisches Verb für »wehen«.

Wenn man sich mit Wagner und seinem Werk befasst, stößt man automatisch auf die deutsche Geschichte, auch auf dunkle Teile, etwa seinen Antisemitismus. Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, Deutsche zu sein. Stolz ist mir sowieso eher fremd. Ich fühle eher lokal und global: Ich komme aus Stuttgart und für diese Stadt und meine Familie dort hege ich Heimatgefühle, gleichzeitig freue ich mich, Europäerin und Weltbürgerin zu sein. Was ist schon deutsch? Das Nationale ist ja ohnehin eine Konstruktion – Kulturen, Sprachen, Menschen sind immer in Bewegung. Und genau das dokumentieren nicht zuletzt auch Museen. Sicher, ich könnte auch ohne diese intensive Beschäftigung mit der Geschichte, mit Gemälden und Artefakten meine Figuren singen – aber die Streifzüge durch die Museen helfen mir, meine Rollen umfassend, körperlich, ja, dreidimensional zu erfassen.

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DEZ

Advents-Verlosung: Das 21. Fensterchen

Am 12. April 2025 feiern wir im Rahmen unserer „Richard Wagner im April“-Wochen die Wiederaufnahme von DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG in der Inszenierung von Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock, dann mit Thomas Johannes Mayer als Hans Sachs, Elena Tsallagova als Eva, Magnus Vigilius als Walther von Stolzing und Chance Jonas-O'Toole als David. Heute aber verlosen wir erst einmal unsere DVD, die in Zusammenarbeit mit dem Label NAXOS in der Premierenserie im Frühsommer 2022 aufgezeichnet wurde.

Im heutigen Adventskalender-Fensterchen verlosen wir 2 Mal eine DVD von DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner. Wenn Sie eine der zwei DVDs gewinnen möchten, schreiben Sie bitte heute eine E-Mail mit dem Betreff „Das 21. Fensterchen“ an advent@deutscheoperberlin.de.

Populär wie kaum ein anderes Bühnenwerk Richard Wagners sind DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG geliebt und gehasst zugleich. Das Stück verbindet eine heiter-fassliche Komödienhandlung mit sommernachts-trunkenem Spiel um Wahn und Wirklichkeit der Liebe, erhebt aber zugleich den Anspruch eines Gründungsmanifests deutschnationaler Kunst und ist damit in seiner Rezeption historisch belastet wie kaum ein anderes Werk Richard Wagners. Zugleich und an allererster Stelle sind DIE MEISTERSINGER jedoch ein Stück über die Musik und das Musikmachen.

DIE MEISTERSINGER in einer Welt zu erzählen, die sich der Musik verschrieben hat, ist auch der Ausgangspunkt für die Regiekonzeption von Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito. Darin erzählen sie von den Regeln wie erstarrten Dogmen, die diese Welt bestimmen und die damit Beispiel für zahlreiche Lebenszusammenhänge werden, in denen Menschen sich Regeln setzen, sich unterordnen und bei ihnen Zuflucht finden oder aber ausbrechen und entkommen wollen. Sie bringen ein Stück auf die Bühne, in dem zudem Sänger*innen Sänger*innen spielen, um singend eine Geschichte über das Singen zu erzählen. Und sie zeigen Figuren wie die des Hans Sachs, der als alternder Mann zugunsten eines Jüngeren auf seine Liebe zu Eva verzichtet und zugleich das System reformieren will, dabei aber auch vor Demagogie und Populismus nicht zurückschreckt – während ab und an der Atem der Geschichte die Geister der Meistersinger-Vergangenheit hereinweht.

Musikalische Leitung John Fiore; Inszenierung Jossi Wieler, Anna Viebrock, Sergio Morabito; Mit Johan Reuter, Albert Pesendorfer, Gideon Poppe, Simon Pauly, Philipp Jekal, Thomas Lehman, Jörg Schörner, Clemens Bieber, Burkhard Ulrich, Stephen Bronk, Tobias Kehrer, Byung Gil Kim, Klaus Florian Vogt, Ya-Chung Huang, Heidi Stober, Annika Schlicht u. a.; Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin



Einsendeschluss: 21. Dezember 2024. Die Gewinner*innen werden am 23. Dezember 2024 per E-Mail informiert. Die DVDs gehen anschließend auf dem Postweg zu. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.