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Eine Oper, die am Ast sägt, auf dem sie sitzt - Deutsche Oper Berlin

Eine Oper, die am Ast sägt, auf dem sie sitzt

Brechts und Weills MAHAGONNY-Projekt zwischen Reform und Selbstzerstörung. Ein Essay von Arne Stollberg

„Amerika, du hast es besser / Als unser Kontinent, das alte, / Hast keine verfallene Schlösser / Und keine Basalte.“ – Was Johann Wolfgang von Goethe 1827 den „Vereinigten Staaten“ ins Stammbuch geschrieben hatte, gewann um 1920 den Stellenwert einer regelrechten Weltanschauung. Nach dem Bankrott der bürgerlichen europäischen Kultur, die im Ersten Weltkrieg zuschanden gekommen war, schien das Land jenseits des großen Teiches für die junge Generation eine verheißungsvolle Perspektive pulsierenden Lebens zu bieten. Bertolt Brecht und Kurt Weill machten davon keine Ausnahme. Am 18. Juni 1920 notierte der 22-jährige Brecht in sein Tagebuch: „Wie mich dieses Deutschland langweilt! Es ist ein gutes, mittleres Land, schön darin die blassen Farben und die Flächen, aber welche Einwohner! Ein verkommener Bauernstand, dessen Rohheit aber keine fabelhaften Unwesen gebiert, sondern eine stille Vertierung, ein verfetteter Mittelstand und einige matte Intellektuelle! Bleibt: Amerika!“ Und Kurt Weill bekannte sich, gleich vielen seiner Kollegen, musikalisch mit Aplomb zu demjenigen, was unter dem Sammelbegriff „Jazz“ firmierte, letztlich amerikanische Modetänze wie Shimmy, Foxtrott oder Charleston, in denen der Komponist nichts anderes als den „Rhythmus unserer Zeit“ zu vernehmen glaubte: „Die Amerikanisierung unseres ganzen äußeren Lebens, die sich langsam aber sicher vollzieht, findet hier ihren merkwürdigsten Niederschlag. Die Tanzmusik […] spiegelt den Instinkt der Masse. Und ein Blick in die Tanzsäle aller Kontinente beweist, dass der Jazz genauso der äußerliche Ausdruck unserer Zeit ist wie der Walzer der des ausgehenden 19. Jahrhunderts.“

Zu den vielen Ambivalenzen des MAHAGONNY-Projektes, das Brecht und Weill von 1927 bis zur Neufassung der Oper für die Berliner Erstaufführung 1931 in zunehmend spannungsvoller Kooperation miteinander verband, gehörte aber, dass das USA-Bild dort nach und nach unter andere Vorzeichen geriet: Aus der einstmaligen Utopie wurde eine Dystopie. Nachdem Brecht im Zuge der Vorbereitung eines ab 1924 geplanten Stückes mit dem Titel „Jae Fleischhacker in Chikago“ erstmals ökonomische Studien betrieben und Karl Marx gelesen hatte, nahm er Amerika anders wahr: als Inbegriff der glitzernden Warenwelt des Kapitalismus, eines vermeintlichen „Paradieses“, das in Wahrheit aber die „Hölle“ sei (so eine spätere Formulierung aus den in Los Angeles verfassten „Hollywood-Elegien“). Die erste Spur davon findet sich in jenen fünf Gedichten, die zum Nukleus des zusammen mit Weill realisierten Bühnenwerkes werden sollten. Es handelt sich um die „Mahagonnygesänge“, die „vierte Lektion“ einer parodistisch auf christliche Erbauungsbücher anspielenden Sammlung im Stil von Martin Luthers 1521 entstandener „Haus- und Kirchenpostille“, zunächst, 1925, privat als „Taschenpostille“, 1927 schließlich als „Bertolt Brechts Hauspostille“ im Berliner Propyläen-Verlag publiziert. Teilweise in rudimentärem Pidgin-Englisch verfasst („Alabama Song“, „Benares Song“), deuten die Texte vage einen Handlungszusammenhang an: Am Beginn steht der Aufbruch in eine imaginäre Vergnügungsstadt („Auf nach Mahagonny“), gefolgt von der Beschreibung des dortigen Lebens („Wer in Mahagonny blieb / Brauchte jeden Tag fünf Dollar“). Der Besuch Gottes in Mahagonny („An einem grauen Vormittag / Mitten im Whisky / Kam Gott nach Mahagonny“) bildet den Umschlagspunkt: Dem Befehl, sofort in die Hölle zu gehen, verweigern sich die „Männer von Mahagonny“, da sie ohnehin „immer in der Hölle waren“. Verfall und Zusammenbruch greifen um sich, schließlich der Wunsch nach einer Alternative, der Stadt Benares („Let’s go to Benares / Where the sun is shining“). Doch daraus wird nichts: Ein Erdbeben hat Benares in Schutt und Asche gelegt („Worst of all, Benares / Is said to have perished in an earthquake!“).

Wo liegt Mahagonny?

Woher hatte Brecht den Namen „Mahagonny“, und was verbirgt sich dahinter? Auch hier lässt sich, wie bei fast allen Aspekten des Werkes, in seinen verschiedenen „Aggregatzuständen“ zwischen Gedichtsammlung und Oper, keine eindeutige Antwort geben. Einerseits schwingt noch die alte Begeisterung für einen utopisch-hedonistischen Gegenentwurf zum ermüdeten, krisengeschüttelten Europa mit: „Seh ich manchmal / in stiller Qual / wie hier die Dinge stehn, / da möcht ich mal / dies Jammertal / von rückwärts mir besehn.“ Diese Zeilen entstammen einem seinerzeit sehr populären Schlager, genauer gesagt einem „Afrikanischen Shimmy“ aus dem Jahr 1922 von O. A. Alberts (Text) und Leopold Krauss-Elka (Musik), dessen Titel und Refrain dem für „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ notorisch bekannten Brecht das Stichwort geliefert haben dürften: „Komm nach Mahagonne“. Für Juli 1923 ist Brechts erste Verwendung des fiktiven Stadtnamens belegt, jedoch auf eine Weise, die den Akzent bereits entscheidend anders setzte. Wenn Brecht damals an Arnolt Bronnen schrieb: „Mahagonny weist alle Bayern aus“, so bezog sich dies auf München, konkret auf das bereits von den Nationalsozialisten in Beschlag genommene München, wobei die in „Mahagonny“ verborgene Farbe Mahagoni – laut Bronnen – die „Massen braunbehemdeter Kleinbürger“ assoziieren lassen sollte. Mitte oder Ende Dezember 1923 nutzte Brecht in einem Brief an Helene Weigel die Formel „Auf nach Mahagonny“ dann jedoch unmissverständlich zur Kennzeichnung Berlins, hier wieder im Sinne einer „amerikanisierten“, vergnügungssüchtigen Metropole, des sprichwörtlichen „Babylon Berlin“. Als wäre dies nicht schon verwirrend genug, gab Kurt Weill schließlich nonchalant zu Protokoll: „Der Name ‚Mahagonny‘ bezeichnet lediglich den Begriff einer Stadt. Er ist aus klanglichen (phonetischen) Gründen gewählt worden. Die geographische Lage der Stadt spielt keine Rolle.“

„Mahagonny – das gibt es nicht“

Damit bezog sich Weill bereits auf die erste Stufe der musiktheatralen Bearbeitungen des Mahagonny-Stoffes, die sich aus den „Gesängen“ der „Hauspostille“ entwickeln sollten: das von ihm und Brecht so bezeichnete „Songspiel“. Anlass war der Auftrag, für das Festival „Deutsche Kammermusik Baden-Baden 1927“ eine neue Kurzoper zu schreiben. Weill, der Brecht vielleicht schon 1925 bei einem Treffen der „Novembergruppe“ kennengelernt hatte, einer linksgerichteten Künstlervereinigung, sich aber, wie seine euphorische Besprechung für die Zeitschrift „Der deutsche Rundfunk“ dokumentiert, spätestens nach der Radioproduktion von „Mann ist Mann“ im März 1927 für den Dichter zu interessieren begann, schlug vor, die „Mahagonnygesänge“ hierfür als Grundlage zu nehmen. Offenbar ohne nähere Absprache mit Brecht änderte der Komponist allerdings die Reihenfolge, indem „Alabama Song“ und „Benares Song“, ursprünglich die Schlussnummern, an zweite bzw. vierte Stelle gerückt wurden. Zudem erbat Weill von Brecht ein ergänzendes Finale, dessen Worte am Ende lauteten: „Aber dieses ganze Mahagonny / Ist nur, weil alles so schlecht ist, / Weil keine Ruhe herrscht / Und keine Eintracht, / Und weil es nichts gibt, / Woran man sich halten kann. / Denn Mahagonny – das gibt es nicht. / Denn Mahagonny – das ist kein Ort! / Denn Mahagonny – ist nur ein erfundenes Wort!“ Die letzten drei Verse sind es, die zu der Aussage passen, dass Mahagonny lediglich den „Begriff einer Stadt“ impliziere, ohne geographische Lokalisierung. Das damit gegebene Moment des Spielerischen, Luftnummernartigen („nur ein erfundenes Wort“) sollte in der Oper wieder entfallen, während die ersten sechs Verse dort nicht das Fazit, sondern den Auftakt, gewissermaßen das Motto bilden, gesungen von Leokadja Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses als abschließender Höhepunkt der ersten Szene.

Die neue Gattungsbezeichnung „Songspiel“ unter dem schlicht MAHAGONNY lautenden Titel wies in zwei verschiedene Richtungen: einerseits zurück auf die Tradition des deutschen „Singspiels“, andererseits auf dessen „Amerikanisierung“ durch „Songs“. Die Grenzen zwischen Hommage und Parodie waren durchaus fließend: Dass die Phrase „Schöner grüner Mond von Mahagonny“ im ersten „Mahagonny-Song“ auf verzerrte Weise den Jungfernkranz-Chor aus Carl Maria von Webers DER FREISCHÜTZ aufruft („Schöner grüner Jungfernkranz“), mag angesichts dessen, was hier besungen wird, nämlich Prostitution und „Weiberfleisch“, von bitterbösem Sarkasmus zeugen, wie es auch leicht ist, die Stelle als Travestie spießbürgerlichen Opernwesens zu verstehen. Doch sollte man mit derlei Kurzschlüssen vorsichtig sein: 1926 nannte Weill gerade Weber „eine[n] der größten Musiker der Welt, eine[n] der bedeutendsten deutschen Geister“; und die Erwähnung der „ungeheuren Popularität, die das Lied vom Jungfernkranz“ nach der Uraufführung 1821 erlangt habe, dürfte in diesem Zusammenhang eher die respektvolle Verbeugung eines Komponisten darstellen, dem es hundert Jahre später genau um dasselbe ging: mit dem Musiktheater „weiteste Publikumskreise zu erfassen“ und „den Gefühlen und Anschauungen breitester Bevölkerungsschichten“ Rechnung zu tragen. Aus dieser Perspektive gewinnt die FREISCHÜTZ-Anspielung trotz aller Boshaftigkeit doch den Charakter einer verkappten Reverenz. Nicht zufällig hatte Weill, wie Briefe an seinen Verlag, die Wiener Universal Edition, belegen, die Auskopplung und separate Vermarktung von „Schlagern“ als Vorteil der locker gefügten, revuehaften Struktur des „Songspiels“ von vornherein fest im Blick.

Verbunden wurden die Gesangsnummern der MAHAGONNY-Urfassung mit Zwischenspielen des zehnköpfigen Instrumentalensembles, wobei Titel wie „Kleiner Marsch“ und „Choral“ ein weiteres Vorbild anklingen ließen: Igor Strawinskys HISTOIRE DU SOLDAT, deren episch-distanzierende Dramaturgie in maximaler Entfernung vom Wagner’schen Gesamtkunstwerk jene Richtung eingeschlagen hatte, die auch Weill für sich anvisierte. „Das neue Operntheater, das heute entsteht, hat epischen Charakter. Es will nicht schildern, sondern berichten. Es will seine Handlung nicht mehr nach Spannungsmomenten formen, sondern es will vom Menschen erzählen, von seinen Taten und dem, was ihn dazu treibt.“ Wie nahe dieses Konzept der mit dem Namen Brecht untrennbar verbundenen Idee des „epischen Theaters“ kommt, braucht kaum eigens gesagt zu werden. Hier eine Hierarchie oder Chronologie der Urheberschaft zu konstruieren, wäre vergebliches Bemühen, auch wenn Brecht und Weill aus derselben Prämisse unterschiedliche Schlüsse zogen, genau jenen Disput ausfechtend, der ihre Zusammenarbeit schließlich zerbrechen ließ: Während Weill mit dem „epischen“ Modell des Musiktheaters die Zukunft der Gattung Oper sichern wollte, betrachtete Brecht ihr Projekt letztlich als eine Art trojanisches Pferd, um das Genre und die Institution von innen heraus zu vergiften. Wie so oft in der Geschichte des Musiktheaters – man denke an Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss – glückten zwei Autoren große Würfe auf der Basis tiefgreifender Differenzen und Missverständnisse, die produktiv werden konnten, solange sie unausgesprochen blieben. Gegenüber Felix Joachimson (bzw. später, in den USA, Felix Jackson) äußerte Weill in besagtem Sinne: „Musik hat einen größeren Einfluss als Worte. Brecht weiß das und er weiß, dass ich das weiß. Aber darüber sprechen wir nicht. Würde dies zum Thema werden, könnten wir nicht mehr zusammenarbeiten.“ Als die Risse schließlich immer stärker aufzuklaffen begannen und sich irgendwann nicht mehr kitten ließen, bei der Berliner MAHGONNY-Produktion im Theater am Kurfürstendamm 1931, verlor Brecht die Contenance und schalt Weill, nach dem Zeugnis von Ernst Josef Aufricht, einen „falschen Richard Strauss“. Damit war das Tischtuch zerschnitten, selbst wenn sich Brecht und Weill in Paris am Beginn ihres Exils 1933 für das „Ballett mit Gesang“ DIE SIEBEN TODSÜNDEN noch einmal zusammentun, besser: zusammenraufen sollten.

Kommunismus oder Anarchie?

Die Entzweiung geschah freilich nicht abrupt, sondern schleichend, vor dem Hintergrund eines Stückes, das durchaus nicht von Anfang an auf eine bestimmte Tendenz festgelegt war. Paradigmatisch hierfür ist die Schlussszene in beiden Fassungen, „Songspiel“ und Oper: Schon bei der Uraufführung des „Songspiels“ am 17. Juli 1927 in Baden-Baden hatte Brecht als Regisseur das Ende Mahagonnys dadurch dem Abgleiten in Anarchie gleichgestellt, dass er die Personen – hier ohne jeden Ansatz zur Individualisierung Charlie, Billy, Bobby, Jimmy, Jessie und Bessie getauft – mit zum Teil absurd anmutenden Slogans auf hochgehaltenen Schildern zu einer chaotischen, ziellosen Protestaktion antreten ließ („Für die Sterblichkeit der Seele!“, „Gegen die Civilis!“, „Für irdischen Lohn!“, „Für die natürliche Unzucht!“). Dass das letzte Instrumentalzwischenspiel von Weills Partitur auch Bruchstücke der „Internationalen“ enthält, gespielt von zwei im Terzabstand geführten Trompeten mit Dämpfer, sollte dem Baden-Badener Publikum keineswegs die politische Lösung vor Ohren führen, sondern schlicht illustrieren, was eine Überschrift in den Noten an dieser Stelle besagt: „Aufruhr in Mahagonny“. Weill wandte sich explizit gegen jede „einseitige Festlegung wie bei Piscator“, dagegen also, das „Songspiel“ für sozialistisch-marxistischen Agitprop zu instrumentalisieren. Und dies entsprach ohne Weiteres der Intention seines Librettisten: Auf dem Weg zum Marxismus, aber vorläufig noch kein Marxist geworden, verstand Brecht MAHAGONNY zwar als Dekuvrierung der Mechanismen kapitalistischer Warenwelt, zielte jedoch keineswegs darauf ab, die Selbstzerstörung der fiktiven Metropole – gemäß dem konsequent von Bibelanspielungen durchzogenen Text gleichsam die Aktualisierung des Untergangs von Sodom und Gomorrha – mit dem Gegenbild einer alternativen Gesellschaftsform zu konfrontierten. Der Schluss des „Songspiels“ wie der Oper bleibt abgrundtief nihilistisch. In der Opernversion fehlt denn auch das – möglicherweise zu politischer Fehldeutung einladende – Zitat der „Internationalen“, was aber nicht verhindern konnte, dass das Publikum der skandalumwitterten Leipziger Uraufführung am 9. März 1930 die anarchischen Demonstrationszüge des Finales als kommunistische Propaganda wahrnahm. Dabei hatte der Regisseur und Bühnenbildner Caspar Neher das Ende des Stückes durch das auf dem Schlussprospekt angedeutete Bombengeschwader über brennenden Großstadthäusern ganz anders konkretisiert, nämlich als Fanal eines kommenden Krieges, Brechts Überzeugung zum Ausdruck bringend, dass der Kapitalismus jederzeit in Faschismus umschlagen könne. Doch einen Ausweg konnte oder wollte Brecht nicht bieten: Der Kollaps von Mahagonny sollte den unausweichlichen Kollaps jenes Systems spiegeln, dem die Oper als bürgerliche Kunstform selbst angehörte – das Werk lief für Brecht, mit anderen Worten, darauf hinaus, seine eigene Liquidierung zu betreiben. Genau in diesem Punkt aber ging Weill nicht mit.

Neuerung versus Erneuerung

Über die Umarbeitung des „Songspiels“ zu einer Oper schrieb Kurt Weill seinem Verleger Hans Heinsheimer von der Universal Edition am 18. November 1927, das Textbuch werde „tatsächlich nach rein musikalischen Gesichtspunkten gestaltet“. Im Vorwort zum Regiebuch zu AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY formulierte er entsprechend, dass die Dramaturgie eine „stufenartige Aneinanderreihung von Zuständen“ bilde, die es erlaubten, „in geschlossener Form musiziert [zu] werden“. Mit anderen Worten: Das „epische“ Prinzip, demgemäß die Handlung nicht eine fortlaufende Darstellung durch „dramatische“ Dialoge erfährt, sondern mit Hilfe von Texttafeln bzw. Projektionen „in Sprüngen“ vorgeführt wird, war für ihn, anders als für Brecht, weniger ein Mittel der „Verfremdung“, sondern sollte primär dazu dienen, die Szenenfolge ganz nach den Bedürfnissen der Musik einzurichten, um ihr einen „konzertanten Charakter“ zu bewahren – eben die Möglichkeit, „geschlossene Formen“ auszuprägen. Dies betraf einerseits die „Songs“, andererseits aber auch die Anverwandlung von Modellen älterer Musikstile im Sinne einer Idiomatik, die sich als „neoklassisch“ oder „neobarock“ beschreiben ließe. Händel, Bach und Mozart boten hierfür entsprechende Anknüpfungspunkte, zum Teil nur mittelbar, wie gleich in der Orchestereinleitung zum ersten Akt mit ihrer strengen Kontrapunktik oder im „protestantischen“ Choral der Hurrikan-Szene („Wollet nicht verzagen, / Was hilft alles Klagen“), zum Teil ganz direkt, etwa, in derselben Szene, beim Männerchor „Haltet euch aufrecht, fürchtet euch nicht“, der dem Gesang der Geharnischten aus Mozarts ZAUBERFLÖTE nachgebildet scheint („Der, welcher wandert diese Straße“). Weill nannte solch traditionsgebundenes Komponieren „verantwortungsbewusst“: Die Leichtfertigkeit des „Songspiels“ transzendierte in das Bemühen, das Musiktheater aus dem Geist vergangener Epochen zu reformieren, es auf diesem Weg – paradoxerweise – wieder zeitgenössisch zu machen und dem fruchtlosen Wagner-Epigonentum zu entreißen.

Brechts Absicht ging in eine andere, subversivere Richtung – so zumindest stellen es die 1930 zusammen mit Peter Suhrkamp verfassten „Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ dar, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie implizit (auch) gegen Weill gerichtet waren. Kern des Textes ist die These, dass ein Stück, das für den „Apparat“ der bürgerlichen Oper geschrieben sei, gar nicht anders könne, als diesen „Apparat“ zu bedienen: „Eine Oper kann man nur für die Oper machen.“ Damit aber blieben selbst Werke, die „Erneuerung“ und inhaltliche Aktualisierung böten, zwangsläufig immer Stabilisatoren des Systems: „In der jetzigen Gesellschaft ist die alte Oper […] nicht ‚wegzudenken‘. Ihre Illusionen haben gesellschaftlich wichtige Funktionen. Der Rausch ist unentbehrlich; nichts kann an seine Stelle gesetzt werden.“ MAHAGONNY sei daher so „kulinarisch“, wie eine Oper eben sein müsse, nur mit dem Unterschied, dass sie das „Kulinarische“ gleichzeitig „zur Diskussion“ stelle, und zwar „in seiner gegenwärtigen historischen Gestalt […]: als Ware“. Das Stück „greift die Gesellschaft an, die solche Opern benötigt; sozusagen sitzt es noch prächtig auf dem alten Ast, aber es sägt ihn wenigstens schon (zerstreut oder aus schlechtem Gewissen) ein wenig an … Und das haben mit ihrem Singen die Neuerungen getan.“ Die Anspielung auf Heinrich Heines Loreley-Gedicht („Das hat mit ihrem Singen die Loreley getan“) gibt das eigentliche Programm vor: Die verführerische, betörende Kraft der Oper, von MAHAGONNY gleichzeitig entfaltet, vorgeführt und bloßgestellt, soll die bürgerliche Kunst so in den Abgrund ziehen, wie es „Schiffer und Kahn“ bei Heine widerfährt. An die Stelle des nur „erneuerten“ Alten müsse danach etwas tatsächlich „Neues“ treten, letztlich die Abschaffung der Institution Oper: „Für Neuerungen – gegen Erneuerung!“ Da Weill aber genau auf diese „Erneuerung“ zielte, war er für Brecht am Ende doch nur ein „falscher Richard Strauss“.

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