Revisited – The Little Elf of Christ in 1933 - Deutsche Oper Berlin
Blick zurück – „Das Christ-Elflein“ 1933
Während HÄNSEL UND GRETEL oder LA BOHÈME zu den absoluten Spielplanklassikern des Dezembers gehören, wird Hans Pfitzners Spieloper DAS CHRIST-ELFLEIN nur noch selten gegeben. Am 30.11.1933 erlebte dieses 1917 uraufgeführte Werk seine Berliner Erstaufführung an der Städtischen Oper. In der vorletzten Szene umringen Knecht Ruprecht und eine Engelschar das eben durch den Zauber des Christkinds von schwerer Krankheit genesene Trautchen. Für den letzten Szenenwechsel öffnet sich gleich die Hinterwand, »man sieht das große Himmelstor, davor Skt Petrus mit dem Schlüssel. Knecht Ruprecht mit dem leeren Sack geht hinein. Zuletzt das Christkindchen an der Hand das Elflein führend.«
Das Jahr 1933 ist an der Städtischen Oper nicht spurlos vorübergegangen. Am 11. März 1933 wird das Haus durch ein SA-Kommando besetzt, Intendant Carl Ebert als SPD-Mitglied und Protagonist der Theatermoderne abgesetzt. Langjährige Sänger*innen, Orchestermusiker*innen, Tänzer*innen, Bühnenarbeiter, Rudolf Bing, Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros, der musikalische Assistent Berthold Goldschmidt, Kapellmeister Fritz Stiedry und zahlreiche andere, darunter der Korrepetitor Kurt Sanderling, werden entlassen.
Eberts Nachfolger, der erst Ende März zum Intendanten der Städtischen Oper bestimmte Dirigent Max von Schillings, stirbt bereits am 24. Juli an den Folgen einer Darmkrebsoperation, seitdem ist die Intendanz vakant. Nun spekuliert auf diesen Posten kein geringerer als Hans Pfitzner: Fünf Jahre jünger als Richard Strauss (und im gleichen Jahr wie dieser verstorben) war der verwitwete Mittsechziger und vormalige musikalische Leiter des Straßburger Opernhauses nicht nur vom eifrigen Musikjournalisten und nationalsozialistischen Stimmungsmacher Fritz Stege, sondern auch von der überregionalen Presse als würdiger Nachfolger ins Gespräch gebracht worden.
Pfitzner hatte zwar in den Jahren seit der Uraufführung seiner Oper PALESTRINA 1917 in München, wo Thomas Mann 1918 zu den Mitbegründern des „Hans Pfitzner-Vereins für deutsche Tonkunst“ gehören würde, v. a. in Süddeutschland einen beträchtlichen Ruf erworben, war jedoch im Umgang mit möglichen neuen Dirigenten und Regisseuren seiner Werke oft ebenso ungeschickt, wie 1923 bei seiner Begegnung mit dem „kleine[n] Volksredner“ Adolf Hitler, der den auf dem Krankenbett gelegenen Pfitzner nunmehr als „Juden“ und „alten Rabbiner“ erinnern wird.
Der konservative Nationalist und ideologische Antisemit Pfitzner wird – Hitlers persönlicher Abneigung zum Trotz – zu einer Galionsfigur für Alfred Rosenbergs 1929 gegründeten „Kampfbund für deutsche Kultur“, der sich vehement gegen die „kulturelle Krise“ der Weimarer Republik und die künstlerische Avantgarde richtete. Als kurioser Auswuchs der Identifikation Pfitzners mit ‚deutscher‘ Kultur informiert die Süddeutsche Sonntagspost am 19. Dezember 1926 darüber, dass das Lied „Alle Englein freuen sich“ aus seinem CHRIST-ELFLEIN zum Weihnachtslied der SS ausgewählt wurde.

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Eine Weihnachtskarte um 1900, unbekannter Maler
Mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ scheint die Chance gekommen, Pfitzner mit einem ideologisch motivierten Karriereschub zu seinem ‚rechtmäßigen‘ Platz zu verhelfen. Nachdem im April 1933 Fritz Stege in seiner Zeitschrift für Musik (ZfM) einen „Hans Pfitzner Boykott in Berlin“ wittert („Frühjahrsfestspiele in Berlin ohne eine Pfitzner-Oper sind eine Sünde wider den Geist der deutschen Nation!“; auf der folgenden Seite erscheint übrigens eine Nachricht zur Emigration Bruno Walters, Pfitzners langjährigem Weggefährten, Freund und der erste Dirigent des PALESTRINA), folgen im Mai dann der Appell an die Öffentlichkeit und eine Nachricht in der Rubrik „Erfüllte Anregungen und Wünsche der ZFM“:


Die erfolgte Entlassung Klemperers „aus rassischen Gründen“ wird dabei von Stege kurzerhand als ‚Errungenschaft‘ der ZfM reklamiert.

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Auf dem Foto: Hans Pfitzner, Januar 1905 © Moritz Nähr
Im Juli ist es dann Pfitzner, der das Gedenkkonzert für Max von Schillings an der Städtischen Oper dirigiert, was Stege dazu verleitet, ihn noch einmal prominent als ‚einzig möglichen‘ Nachfolger des Verstorbenen ins Spiel zu bringen:

Nun, zunächst setzt das Städtische Opernhaus pünktlich zur Adventszeit Pfitzners CHRIST-ELFLEIN auf den Spielplan.

Für Inszenierung und Musikalische Leitung zeichnet der Komponist höchstselbst verantwortlich – nicht umsonst erscheint denn auch als Leitartikel im Programmheft ein Aufsatz mit dem Titel „Hans Pfitzner als Meister der Bühne“ von Pfitzner-Verehrer und -Biograph Walter Abendroth, in dem dieser über die Doppelfunktion schreibt:
„Also: Führerprinzip in wörtlichster, doch beweglichster, geistigster, künstlerischster Anwendung!“, und sodann – weiterhin nicht ohne deutliche Anklänge an nationalsozialistischen Jargon –: „Die deutsche Opernbühne braucht mehr denn je Männer dieses Schlages, um ihre Existenzkraft zu erneuern, ihr höheres Lebensrecht überzeugend zu vertreten. Hans Pfitzner, der jetzt bei uns eingekehrt ist, um uns sein Weihnachtsmärchen ‚Das Christelflein‘ authentisch vorzuführen, nimmt es an Energie, Elastizität und Arbeitsgeist noch mit den Jüngsten auf! Es ist dringend zu hoffen, daß das Theater im Dritten Reich von dieser unschätzbaren Kraft den weitesten Gebrauch machen werde.“
Die Oper stieß auf große Resonanz, wie zwei Kritiken aus völlig unterschiedlichen Lagern belegen:

![[Johannes?] Rodatz im Angriff vom 1.12.1933](https://imgtoolkit.culturebase.org/?quality=8&do=rescaleIn&width=900&height=426&ar_method=rescaleOut&ar_ratio=0.67&file=https://img.culturebase.org/b/e/7/5/c/pic_1634197215_be75c5becadd4a7b18d89a014c361d8e.png)
Während Stuckenschmidt wegen seines Einsatzes für jüdische Musiker und Neue Musik angefeindet, schließlich von Fritz Stege denunziert wurde und 1934 ein effektives Arbeitsverbot erhielt, war der Angriff die Gauzeitung der Berliner NSDAP.
Insbesondere Erna Berger als Christelflein und Anton Baumann (späterer Intendant der Volksoper Wien und NSDAP-Mitglied seit dem 4. März 1933) als Tannengreis (samt Baumkostüm) begeisterten das Publikum.
Schlussendlich wird am 29. März 1934 der Bariton und Kammersänger Wilhelm Rode von Propagandaminister Goebbels zum Intendanten des Hauses berufen, das zwei Tage zuvor in den Reichsbesitz übernommen und von „Städtische Oper“ in „Deutsches Opernhaus“ umgetauft wurde. Kommentar des sich wieder einmal übergangen und verschmäht fühlenden Pfitzners in einem Brief an Verwaltungsdirektor Paproth: „Nun sind ja die Würfel endlich gefallen, und ich bin doch nicht bei Ihnen. Das dritte Reich macht nun einmal keinen Gebrauch von mir. So steht nur zu hoffen, dass ich nicht bestimmt werde, an Ihrer Oper den Hans Sachs zu singen, denn das könnte ich nicht leisten.“