Die Ökonomie des leeren Raumes

Hans-Ulrich Treichel erzählt, wie man eine Oper schreibt

Herr Treichel, in Ihrem Roman „Tristanakkord“ beschreiben Sie, wie ein junger Schriftsteller bei einem großen Komponisten lernt, dass Kunst sehr viel mit Disziplin und harter Arbeit zu tun hat. Haben Sie darin Ihren eigenen Werdegang als Librettist bei Hans Werner Henze verarbeitet, dem berühmtesten deutschen Komponisten seiner Generation?
Nun ist „Tristanakkord“ kein dokumentarischer Roman, sondern in erster Linie Fiktion. Gleichwohl war die Zusammenarbeit mit Henze für mich eine faszinierende Erfahrung. Ich hatte bei Arbeitsaufenthalten in seiner italienischen Villa oft Gelegenheit, seine Arbeitsweise zu erleben, die mich in ihrer Synthese aus Genie und nachgerade beamtenhafter Disziplin an Thomas Mann erinnert hat. Und tatsächlich habe ich das Schreiben von Libretti gelernt, indem ich bei ihm sozusagen in die Librettistenschule gegangen bin.

Und wie sah der Unterricht in dieser Schule aus?
Wir hatten uns bei der englischen Premiere seiner Oper WE COME TO THE RIVER kennengelernt, die unter dem Titel WIR ERREICHEN DEN FLUSS dann auch an der Deutschen Oper Berlin gezeigt wurde. Ich studierte damals noch Germanistik und Henze hat mich dann zur Mitarbeit an verschiedenen kleineren Projekten und Musiktheaterproduktionen eingeladen, zum Beispiel für seinen Cantiere d’arte im toskanischen Montepulciano oder die Kölner Musikhochschule, an der er damals unterrichtete. Und irgendwann fragte er mich dann, ob ich nicht für seine neue Oper DAS VERRATENE MEER nach einem Roman von Yukio Mishima den Text schreiben wolle.

Den meisten Menschen sind Sie als erfolgreicher Schriftsteller bekannt. Was macht den Reiz an einer Tätigkeit aus, bei der man zumindest der Außenwahrnehmung nach hinter den Komponisten in die zweite Reihe tritt?
Tatsächlich muss ein Librettist einerseits über die Fähigkeit verfügen, Dienstleister nach Wunsch des Komponisten zu sein und dessen Vorstellungen umsetzen zu können. Andererseits muss er aber auch mit seinen Texten in der Lage sein, die Komponisten zu überraschen und zu neuen Einfällen zu inspirieren. Das ist selbst bei Künstlern wie Hans Werner Henze und Detlev Glanert so, die schon von Anfang an sehr genaue Vorstellungen über die Ausgestaltung der Stoffe haben, die sie vertonen wollen.

Braucht man nicht vor allem ein hohes Frustrationspotenzial? Man schreibt Text, den der Komponist dann zusammenstreicht, und was am Ende gesungen wird, versteht man oft nicht.
Das Problem der Textverständlichkeit hat sich etwas entschärft, seit es Übertitel gibt – heute kann jeder den Text mitlesen und selbst in den großen Ensembleszenen mitbekommen, was auf der Bühne gerade verhandelt wird. Aber natürlich gilt der Grundsatz „Kill your darlings“ besonders für Librettisten: Da ist man auf eine Zeile besonders stolz, und dann sagt einem der Komponist, dass er stattdessen einen Satz braucht, dessen letztes Wort ein a enthält, weil sich auf diesem Ton besonders gut singen lässt.

Was macht denn ein gutes Libretto aus?
Für mich ist ein gutes Libretto eines, das der Musik genug Leerräume lässt. Nichts ist fataler, als wenn ein Operntext von ellenlangen Gesprächen überquillt. Stattdessen gibt es im guten Libretto eine Ökonomie des leeren Raumes, die sogar so weit geht, dass das Libretto als selbstständiger Text ohne Musik gar nicht funktioniert.

Die von Ihnen angesprochenen langen Gespräche sind zugleich ein Hauptmerkmal der Romane Theodor Fontanes. Dennoch liegt Ihrem Libretto zu OCEANE ein Text Fontanes zugrunde.
Tatsächlich würde ich aus diesem Grund nicht unbedingt dazu raten, ein Libretto nach einem Fontane-Roman zu schreiben. Da wird enorm viel geredet, diskutiert, da gibt es viel kleinen Witz und sprachliches Lokalkolorit, und all das müsste zu Gunsten einer operntauglichen Konfliktdramaturgie sehr gekürzt werden. Bei dem Fragment „Oceane von Parceval“, das unserer Oper zugrunde liegt, ist es aber anders: Da gibt es schon in der Vorlage genau die Leerstellen, die die Musik ausfüllen kann. Zudem ist die Titelfigur Oceane ein facettenreicher, schillernder, aber auch abgründiger Charakter, den zu gestalten sowohl Detlev Glanert als auch mich sehr gereizt hat. „Mein ganzes Werk ist Psychographie“, hat Fontane einmal gesagt, und dies gilt auch und besonders für die Figur der Oceane.

Waren Sie eigentlich jemals enttäuscht, wenn Sie bei einer Uraufführung erlebt haben, was durch die Musik aus Ihren Figuren geworden ist?
Bislang zum Glück nicht. Allerdings war ich oft überrascht zu sehen, wie sich die Figuren einer Oper durch die szenische Umsetzung auf der Bühne verändern. Dann war ich manchmal erschrocken über das, was ich geschrieben hatte, einfach, weil durch Mimik, Gestik und Verhalten der Darsteller auf der Bühne vieles expliziter wird als auf dem Papier. In solchen Momenten werde ich mir immer wieder meiner Verantwortung bewusst.

Sie haben Operntexte, Gedichte und in den letzten Jahren vor allem Romane geschrieben – aber noch nie ein Theaterstück? Spüren Sie nicht manchmal die Versuchung, den von Ihnen angesprochenen Leerraum in den Libretti selbst zu füllen?
Tatsächlich ist durch die szenische Arbeit an den Operntexten meine Affinität zum Theater kontinuierlich gewachsen, so dass ich darüber nachdenke, ein Theaterstück zu schreiben. Aber was das sein wird, verrate ich jetzt noch nicht.

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