Drei Außenseiterinnen - Deutsche Oper Berlin
Drei Außenseiterinnen
Christof Loy im Gespräch mit Konstantin Parnian
Konstantin Parnian
LA FIAMMA ist im Opernrepertoire eine echte Rarität und überaus selten auf den Spielplänen zu finden. Durch die wenigen Einspielungen, die existieren, ist Ihnen das Werk aber schon lange bekannt. Die Idee, es einmal selbst auf die Bühne zu bringen, tragen Sie also schon eine Weile mit sich herum.
Christof Loy
Als ich LA FIAMMA kennenlernte, wurde gleich mein Interesse geweckt und die Oper kam auf die Liste der Stücke, mit denen ich mich intensiver beschäftigen möchte. Es dauerte dann ein wenig in meiner Karriere, bis ich LA FIAMMA vorschlagen konnte, aber es ist genau richtig, das Stück hier an diesem Haus zu spielen. Das hat mit der Größe dieses Hauses zu tun, die nötig ist, damit die Wucht dieser Musik richtig einschlagen kann und aufgefangen wird – dafür braucht es auch den richtigen Zuschauerraum. An kleineren Häusern könnte sich die Energie nicht unbedingt freisetzen. Insofern ist dieses Haus der ideale Ort für dieses Stück und es passt natürlich auch zu dem Repertoire an Opern des frühen 20. Jahrhunderts, die ich hier in den letzten Jahren inszeniert habe.
Konstantin Parnian
Auch die anderen Werke – DAS WUNDER DER HELIANE von Erich Wolfgang Korngold, FRANCESCA DA RIMINI von Riccardo Zandonai und Franz Schrekers DER SCHATZGRÄBER sind selten gespielte Opern. Wie nähert man sich solchen Raritäten und wie war es konkret bei LA FIAMMA?
Christof Loy
Eigentlich ist es immer zuerst die Musik, die mich anspricht – es geht gar nicht ohne. Speziell im Fall von LA FIAMMA fand ich spannend, dass die Musik zunächst schwer einzuordnen ist, obwohl sie auf einem romantischen Ideal von Oper fußt und von einer romantischen Klangsprache ausgeht wie viele Opern des frühen 20. Jahrhunderts. Damit bin ich vertraut, verstärkt auch durch meine Arbeiten der vergangenen Jahre. Trotzdem werde ich aber überrascht von Momenten, in denen ebenso die Musik anderer Komponisten anklingt – wie etwa Monteverdi, mit dem ich mich schon immer stark auseinandergesetzt habe. Was etwa die Behandlung der Sprache angeht, verfolgen Respighi und Monteverdi das gleiche Konzept. Der deklamatorische Ansatz des Gesangsparts ist ein unglaublich interessanter Aspekt, an dem wir bei den Proben stark gearbeitet haben. Schließlich ergibt sich der Sinn von Musik erst, indem man der Rede singend Ausdruck verleiht und nur durch das gesprochene oder hier gesungene Wort wird auch Handlung verursacht. In LA FIAMMA wird das sogar inhaltlich verhandelt, wenn Basilio durch das gesprochene Wort von Silvana zu Tode kommt und nicht etwa wie ein Scarpia, der von Tosca erdolcht wird.
Konstantin Parnian
Silvana, die Protagonistin aus LA FIAMMA, ist eine sehr facettenreiche Figur. Sie erscheint als Opfer, beschreitet aber auch einen Weg der Selbstermächtigung und wird zum Schluss als Täterin verurteilt.
Christof Loy
Silvana entzieht sich total jenen Kategorien, die wir gerne anwenden, um uns das Leben einfacher zu machen. Sie erscheint am Anfang als eine, die man sehr vieler Dinge beraubt, welche an sich einer jungen Frau zustehen, also sprich: sich mit Gleichaltrigen zu treffen, Freude zu erleben – wie sie es selbst beschreibt entzieht man ihr Luft, Himmel und Licht, also ganz Wesentliches worauf eigentlich jeder Mensch ein Recht hat. Insofern wird sie erstmal als Opfer wahrgenommen und beschreibt sich auch als solches. Im Laufe der Handlung entwickelt sie aber erstaunlicherweise großes Potenzial, Dinge für sich durchzusetzen, von denen sie es selbst nicht geglaubt hätte. Sie fordert ein, den Mann zu lieben, für den sie Gefühle empfindet, sie möchte mit ihm körperlich zusammen sein, sie riskiert ihre Ehe damit und wird dadurch überaus mutig. Diesen Mut traut man ihr am Anfang gar nicht zu – weder das Publikum noch ihre Umgebung. Sie wirkt zunächst eher wie eine etwas merkwürdige, stille, fast verschrobene junge Frau. Dann aber wird sie zum Motor der ganzen Handlung und alle müssen plötzlich auf sie reagieren.
Konstantin Parnian
Von Silvana ausgehend gibt es auch noch eine andere interessante Figur, die gar nicht auftritt, nämlich Silvanas verstorbene Mutter, über die an mehreren Stellen gesprochen wird.
Christof Loy
So wie über Silvanas Mutter im Stück gesprochen wird, könnte man glauben, sie sei tatsächlich eine Hexe gewesen. Es erscheint glaubwürdig durch das, was man über sie erfährt, wenn man überhaupt von der Existenz von Hexen ausgeht. Betrachtet man den Hexenbegriff in LA FIAMMA, ist bei der Frau, die am Ende des 1. Akts als Hexe verbrannt wird, Agnese di Cervia, schon weitaus fragwürdiger, ob sie eine Hexe ist. Da stellt sich eher das Gefühl ein, dieser Frau wird schlichtweg dieses Etikett angeheftet. Bei Silvana, der nächsten Generation, ist dann ganz klar, dass sie keine Hexe ist. Anfangs glaubt sie zwar selbst, sie hätte die Kräfte geerbt, die ihre Mutter gehabt haben soll. Sie denkt, ihre Vorstellungskraft ist so stark, dass die Dinge tatsächlich eintreten, die sie sich vorstellt – denn genau das wird in LA FIAMMA als Hexenkraft bezeichnet. Aber im Prozess, der ihr am Ende gemacht wird, sagt sie eindeutig, es sei keine Zauberei gewesen, sondern reine Liebessehnsucht, also die Kraft einer Liebe, die auch erwidert worden ist von Donello. Eine Liebe, die das fatale Verhältnis hervorbringt, das dann, als es offenkundig wird, beim betrogenen Ehemann Basilio zum Herzinfarkt führt. Während bei Silvana also die Sache klar ist, hängt mit Silvanas Mutter letztendlich die Frage zusammen: Gibt es Hexen oder gibt es keine Hexen? Für das Publikum stellt sich über die drei Akte eine Art Aufklärungsprozess her, der am Ende zum Schluss kommt, dass es überhaupt keine Hexen gibt.
Konstantin Parnian
Also werden eigentlich auch die Geschichten über Silvanas Mutter in Zweifel gezogen.
Christof Loy
Wahrscheinlich sind auch diese Geschichten nicht wahr. Was aber das Stück nicht anzweifelt, sind Energien zwischen Menschen, die man nicht erklären kann. Auch die starke Anziehungskraft zwischen Donello und Silvana ist nicht erklärbar. Und wo etwas nicht erklärbar ist, heißt es schnell: Das geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Gerade wenn einzelne den Mut haben, diesem starken unerklärlichen Gefühl, was die Liebe ja ist, nachzugehen, werden sie schnell zu Opfern, die stellvertretend für dieses Unerklärliche von einer Gruppe ausgeschlossen werden.
Konstantin Parnian
Und die Liebe, die an sich etwas geradezu Magisches hat, steht für dieses Unerklärliche.
Christof Loy
Der Liebesbegriff ist interessant in LA FIAMMA. Die Beichte von Silvanas Ehemann Basilio, dass er sich über deren Mutter Silvana genähert habe, erinnert schon an Kuppelei, an eine verkaufte Braut. An der Stelle spricht Basilio auch davon, dass er die Liebe nie gefürchtet habe – eigentlich ganz ähnlich wie Siegfried. An dieser Darstellung merkt man besonders deutlich, wie die Liebe hier nicht als etwas Glückbringendes verstanden wird, sondern als etwas Feindliches, vor dem man sich in Acht nehmen muss.
Konstantin Parnian
Das erklärt auch die Angst vor den Hexenkräften, die hier oft mit Verführung und Leidenschaft in Verbindung gebracht werden. Vorher kam schon Agnese di Cervia zur Sprache. Obwohl sie nur im 1. Akt auf der Bühne steht, wird sie als eine der drei großen Frauenfiguren in LA FIAMMA wahrgenommen. Auch merkt man deutlich, dass sie eine Vorgeschichte in dieser Gesellschaft hat.
Christof Loy
Agnese di Cervia ist eindeutig eine Außenseiterfigur in dieser Welt. Sie und Silvanas Mutter haben viel miteinander verkehrt und wurden in dieser Gesellschaft als die beiden Hexen angesehen. Agnese ist eine Frau, der etwa nachgesagt wird, sie sei die Frau mit dem bösen Blick. Die Unterstellungen, die ihr widerfahren sind, können auch sehr verängstigen. Wegen solcher ständigen Vorwürfe und Angriffe entwickeln manche Menschen als Verteidigung einen speziellen Blick und das ist dann der „böse Blick“. In dem Moment hat man sich dann schon den Unterstellungen angepasst. Andererseits scheint Agnese in ihrem Umfeld auch als eine Art Heilerin anerkannt zu werden, mit Mitteln, die man heute als alternativmedizinisch bezeichnen würde, was damit behaftet ist, nicht wissenschaftlich nachweisbar zu sein und somit ebenso in der Sphäre des Unerklärlichen liegt. Sie wohnt als Außenseiterin abgelegen und wird doch immer wieder aufgesucht von den Leuten. Wenn ihre Arbeit gut läuft, wird sie als Wunderfrau gesehen, aber wenn es schlecht läuft als eine, die Verderben über alle bringt.
Konstantin Parnian
Agnese hat also durchaus eine Position in dieser Gesellschaft. Neben den Genannten gibt es ja auch noch Eudossia, die greise Mutter von Basilio und Großmutter Donellos, die eine wichtige Stellung am Hof und im Beziehungsgeflecht der Figuren einnimmt.
Christof Loy
Bei genauerer Betrachtung sind alle drei Frauen in LA FIAMMA Außenseiterinnen und damit auch Eudossia. Sie hat in ihrer Vergangenheit hochherrschaftlich in Konstantinopel gelebt und ihr jetziges Leben in Ravenna ist weiterhin luxuriös, aber sie lebt dort im Exil. In der neuen Umgebung wird sie als fremde Griechin gesehen, die Hass gegen die Einheimischen hege. Auch gegen sie herrschen also Vorurteile und wenn Vorurteile kursieren, werden diese nicht selten von der betroffenen Person eingelöst.
Konstantin Parnian
Das ist ein Aspekt, der sich durch die Handlung zieht, denn diese gewaltigen Vorurteile, die in einige Figuren durch die Gesellschaft hineinprojiziert werden, nötigen diese regelrecht dazu, diese Vorurteile zu erfüllen. Entscheidend zeigt sich das auch bei Silvana, die irgendwann selbst anfängt zu glauben, sie habe Hexenkräfte.
Christof Loy
Als Silvana, wenn ihr im Finale der Prozess gemacht wird, Donello fragt, ob er nicht an ihre Unschuld glaube, stärkt sie gerade mit dieser Frage seinen Zweifel. Solche Mechanismen werden in LA FIAMMA immer wieder freigelegt: Vorstellungen entstehen, werden ausgesprochen und sobald sie in der Welt sind, tun sie auch ihre Wirkung.
Konstantin Parnian
Das frühe 20. Jahrhundert ist von grausigen gesellschaftlichen Umwälzungen durchzogen, die von Vorverurteilung, Ächtung und Ausgrenzung durch die Massen angetrieben wurden. Das Werk greift also auch die Geschehnisse seiner Entstehungszeit auf und reflektiert sie.
Christof Loy
Die Verführbarkeit der Masse ist definitiv ein großes Thema in LA FIAMMA, wobei spannend ist, wie differenziert damit umgegangen wird, denn die Masse ist hier nicht nur verführbar zum Bösen, sondern in anderen Momenten auch bereit, Mitleid und Empathie mit den Opfern zu empfinden. Das Stück beschreibt viel mehr, dass das Volk allgemein meist durch Emotionen getrieben ist und nicht durch Argumente überzeugt wird. Deswegen ist auch die Liebesfähigkeit der Masse nicht konstant, weil sie nicht nach einer abgesicherten Argumentation handelt, sondern nur nach dem Vagen, das Gefühle immer mit sich bringen. Das Volk ist eben stets amorph und kann so am Ende des Stücks im letzten Moment auch von Eudossia als brillanter Politikerin umgestimmt werden, sodass sich der geballte Hass gegen die vermeintliche Hexe Silvana entlädt.
Konstantin Parnian
Gerade deswegen eignet sich der Stoff auch so gut für die Oper, weil Emotionales verhandelt wird, das sich rational nicht komplett durchdringen lässt. Die sinnliche Ebene, die in der Oper besonders stark ausgeprägt ist, treibt in LA FIAMMA auf mehreren Ebenen das Geschehen an. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Donello, der zu Beginn des Stücks nach langer Zeit zurückkehrt und gewissermaßen in dieses komplexe Personengeflecht eindringt?
Christof Loy
Donello markiert die gängige Figur des fremden Jünglings mit großer erotischer Ausstrahlungskraft, der allein durch seine sinnliche Erscheinung ein bestehendes System aufbrechen kann. In vielen Zügen erinnert er an den Gast aus Pasolinis „Teorema“. Als Donello erscheint, spürt Silvana sofort eine Form von Bewegung, gegen die sie sich zunächst stark wehrt. Auch die Großmutter Eudossia, die man bis dahin nur starr und schrecklich erlebt hat, ist voller Freude, als sie den Enkel sieht. Die Mägde sind allesamt hingerissen von ihm und der Vater Basilio freut sich sowieso, seinen Sohn wiederzusehen. Donello ist also jemand, der die Liebe entzündet in den Menschen – fatalerweise.
Konstantin Parnian
Gegenüber Silvana entwickelt Donello selbst eine leidenschaftliche Liebe und dennoch misstraut er ihr, als ihr zum Schluss der Prozess gemacht wird, weswegen sie die Kräfte verlassen und sie nicht in der Lage ist, den Schwur aufzusagen, der ihre Unschuld beweisen soll. Dadurch ist sie schließlich dem Urteil ausgeliefert.
Christof Loy
Von dem Moment an, in dem Donello schon die Vorstellung fasst, eine Beziehung mit Silvana einzugehen und so den eigenen Vater zu betrügen, plagt ihn dieser Gedanke. Das impliziert, dass er sich gegen die starken Gefühle für Silvana von Anfang an wehrt. In solchen Konstellationen suchen Menschen gerne die Schuld beim Partner, machen Vorwürfe verführt worden zu sein. Insofern kommt diese Abwehrhaltung am Ende gar nicht plötzlich, sondern ist von Anfang an angelegt. Im großen Liebesduett formuliert Donello das ja sogar aus, indem er betont, wie er sich Silvana entziehen möchte, aber es nicht schafft. Natürlich ist diese Beziehung toxisch, allein weil sie über mehrere Monate im Geheimen besteht – da staut sich natürlich vieles auf. Indem Donello sich dem entzieht, kann er sich davon befreien und sich einreden, er sei schuldlos, weil er keine Chance gehabt habe, sich dagegen zu wehren. Das ist menschlich nicht groß aber verständlich.
Konstantin Parnian
Donello wendet sich von Silvana ab, um sich gewissermaßen die Absolution zu sichern, während Silvana zum Feuertod verurteilt wird. Wer dieses Werk oberflächlich betrachtet, könnte meinen, der Name LA FIAMMA, die Flamme, stehe einfach nur für den Scheiterhaufen. Aber das wird der Sache kaum gerecht.
Christof Loy
LA FIAMMA bezeichnet in erster Linie, was Silvana selbst als die Liebesfähigkeit beschreibt, die innere Flamme. Das Wort taucht im Stück nur einmal auf und zwar als Silvana davon spricht, dass sie von ihrer Mutter die Disposition zu einer übergroßen Leidenschaft geerbt habe – und da spricht sie eben nicht von Hexenkräften. Das heißt, wenn sie einen Liebesdrang verspürt, lässt sich dieser überhaupt nicht kontrollieren. Insofern hat der Titel LA FIAMMA eher wenig mit dem Feuer auf dem Scheiterhaufen zu tun als viel mehr mit der überwältigenden Kraft der Liebe, die sich jeder wirklichen Erklärung entzieht.