„Fledermaus“ forever - Deutsche Oper Berlin

„Fledermaus“ forever

Regisseur Rolando Villazón im Gespräch mit Dramaturg Lars Gebhardt.

Den Operetten Jacques Offenbachs, die das Vorbild für die Wiener Operette bilden, war neben aller Komik und allen Unterhaltungs-Momenten immer ein gesundes Maß Gesellschaftskritik eingeschrieben. So spiegelt z. B. das verschlafene Götterparlament, das wir im zweiten Akt von ORPHEUS IN DER UNTERWELT sehen, die politische Realität des Paris der 1850er Jahre. In der FLEDERMAUS halten Strauß und sein Librettist und Mitarbeiter Richard Genée dem großbürgerlichen Publikum direkt den Spiegel vor. Das Publikum sah sich selbst auf der Bühne repräsentiert. Wie geht man als Regisseur damit um? Gibt es heute noch Adeles, Rosalindes und Eisensteins?
Natürlich. Alle diese Archetypen sind auch heute Teil unserer Gesellschaft: Die bürgerlichen Eheleute, die nicht so glücklich sind. Wo alles zur Routine geworden ist. Der Mann, der wohl ein notorischer Fremdgeher ist, die Ehefrau, die aus dem Alltag ausbrechen will und es dem Mann heimzahlt. Das Dienstmädchen bzw. die Angestellte, die sagt, wieso denken diese Leute, dass ich ein Mensch zweiter Klasse bin. Ich kann mich doch entwickeln, mich verbessern.

Deswegen ist es mir wichtig, DIE FLEDERMAUS mit heutigen Menschen zu zeigen. Mit einer Sprache von heute. Der FLEDERMAUS war damals schon ein gutes Maß Weltflucht einkomponiert – kurz nach einer großen Finanzkrise, inmitten von bürgerlichen Unsicherheiten sehen wir Feier, Rausch und Doppelmoral und die Bühne ruft dem Publikum, durchaus ironisch, zu: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Auch heute gibt es diese Stimmen – und auch heute hilft uns die große Unterhaltungsmaschine, all das Traurige, Schlimme und Böse in der Welt zu vergessen.

Die Textvorlage war ein französisches Vaudeville. Eine gut gemachte Komödie, mit allen Ingredienzien, die dazugehören und die z. B. auch aus der Commedia dell’arte, dem Wiener Volkstheater oder dem Schwank bekannt sind: Die gewitzte Dienerin, der eifersüchtige Ehemann, die Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, der versteckte Liebhaber im Schrank, der trottelige Diener. Was ist für uns so komisch an Ehebruch, Verkleidung und Gefängnis?
Ich glaube, die Essenz von Komik liegt meist in der Übertreibung der Realität. Die Figuren durchleben in der FLEDERMAUS in einer „tollen Nacht“ die absurdesten Situationen – und plötzlich erkennen wir als Zuschauer uns in einzelnen Momenten wieder. Wir sehen uns selbst, wie in einem Spiegel: „Au ja, das kenne ich.“ Oder: „So etwas ist mir auch schon mal passiert!“ Oder wir erkennen Menschen aus unserem Alltag wieder – vergrößert, überzogen, karikiert, aber sie schimmern durch die Operettenfiguren hindurch. Darin liegt für mich die Komik: Im Einbruch der Realität.

Liegt eine spezielle Komik nicht besonders bei Eisenstein: Der gut situierte, sorglose Großbürger, der in dieser Nacht vorgeführt wird? Der Wechsel im Status der Figur, vom überlegenen Hallodri zum vorgeführten Ehemann?
Ich glaube nicht, dass Eisenstein und sein Weg grundsätzlich komisch sind. Theoretisch kann man aus der Geschichte auch eine große Tragödie machen: Ein reicher Mann, der plötzlich kämpfen muss. Er kommt auf diese Party bei Orlofsky und ist „out of his comfort zone“. Er muss sich bei Adele, seiner Angestellten, entschuldigen, auf Befehl trinken, sein Verführungswerkzeug wird ihm weggenommen und über allem liegt ja noch der Schatten der anzutretenden Gefängnisstrafe – das Regelwerk scheint sich für Eisenstein komplett verschoben zu haben. Die Komik entsteht dadurch, wie man es spielt: Durch die nervöse Verzweiflung, die Eisenstein mitbringt, durch den Wissensvorsprung, den wir Zuschauer, aber auch die anderen Figuren haben, durch das Aufeinandertreffen von Ehemann und Ehefrau in Verkleidung. Es macht unruhig, jemanden zu sehen, der plötzlich eine andere Realität und veränderte Strukturen akzeptieren muss. Die Ernsthaftigkeit und Wahrheit, die unter all der Comedy liegt, kann man erkennen, muss man aber nicht. Der eine Zuschauer nimmt alles nur als großen Sketch und Witz: Ich habe gelacht und gut ist. Der nächste nimmt vielleicht etwas auf den Nachhauseweg mit. Das ist das Wunderbare und Schwierige an komischen Stoffen: Slapstick, Humor und das Quäntchen Wahrheit, das in allem drin steckt, in eine richtige Balance zu bekommen.

Es gibt in der FLEDERMAUS keine wirkliche Hauptfigur bzw. es werden viele Figuren und ihre Geschichten nebeneinander erzählt. Innerhalb kürzester Zeit, vom Nachmittag durch die Nacht bis in den frühen Morgen des nächsten Tages, verändert sich einiges im Leben der Figuren. Wer verändert sich am stärksten? Welche Figur steht für dich im Zentrum?
Für mich war das immer Adele. Sie verändert sich am stärksten: Sie ergreift die Chance, die sich ihr bietet und wird nicht in ihr altes Leben zurückgehen. Adele durchbricht ihre eigene soziale Determiniertheit: „Du bist Dienstmädchen und das wirst du immer bleiben!“ wurde ihr immer gesagt. Das stellt sie in Frage: „Darum rate ich, ja genauer sich die Leute anzusehn!“ wirft sie ihrem Chef an den Kopf. Sie zeigt Eisenstein, dass seine Konzeption von Bürgertum und Klassenunterschieden veraltet ist bzw. zumindest zu bröckeln beginnt. In diesem Feuer, dieser Kraft Adeles sehe ich eine Verbindung zu Orlofsky – er sieht etwas in Adele, das ihn aus seiner nihilistischen Konzeption des Lebens herausbringt. „Alles langweilt mich. Ich habe alles gesehen …“ Und plötzlich macht es „Bling“ und Adele küsst ihn wach. Oder sie küsst sie wach. Mir war es wichtig in unserer Produktion mit der Hosenrolle des Orlofsky offensiv umzugehen: Ein Mann als Frau, eine Frau als Mann und alle Schattierungen dazwischen. Das Flirrend-Androgyne finde ich sehr spannend.

Meechot Marrero als Adele; Chor der Deutschen Oper Berlin
Der Ball bei Orlofsky spielt in den 50er Jahren im Osten Berlins © Thomas M. Jauk
 

Und die Eisensteins?
Ich bin mir nicht sicher, ob sich Eisenstein verändert. Ich glaube für ihn ist es wichtig, dass Rosalinde ihn nicht verlässt. Und sicher wird er sich ein paar Monate zusammenreißen, aber dann kommt die nächste Chance auf eine wilde Nacht und die wird er ergreifen. Er hat etwas Naiv-Charmantes an sich, er lebt von Moment zu Moment – und das wird auch so bleiben.

Für Rosalinde stellt sich am Ende der Operette die Frage: Bleibe ich mit so jemandem zusammen oder nicht? So wie es geschrieben und komponiert ist, entscheidet sie sich, in ihr altes Leben zurückzugehen. Das ist für mich weniger ein Resignieren, als ein Achselzucken: „Okay, egal, so ist es. Das Leben geht weiter.“ Es ist ein bisschen wie am Ende von COSI FAN TUTTE – wie geht es weiter mit diesen beiden? Die beiden Partner haben sich in dieser Nacht mit anderen Augen gesehen – darin liegt auch eine Chance für ihre Ehe.

Und Falke: Dem geht es zunächst einmal nur um Rache. Er sagt im zweiten Akt: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Und: Am Ende lacht er am besten! Das war sein Ziel, nichts anderes. Und vielleicht können wir bei Falke nochmal an COSI FAN TUTTE denken, diesmal am Don Alfonso: Er manipuliert und inszeniert. Wenn in der Finalnummer alle zustimmen: „Und wir alle spielten mit“, dann ist das nur eine Ausrede – keiner wusste von dem Ausmaß der Manipulationen Falkes.

Die Zeit und das Vergessen nehmen in der FLEDERMAUS eine besondere Rolle ein: Falke überredet Eisenstein, mit dem Ball seinen Haftantritt hinauszuzögern. Mit einer Damenuhr verführt Eisenstein die Frauen. Das Schlagen der Uhr läutet das Ende des Festes ein und ruft Frank und Eisenstein, die beste Freunde geworden sind, aus ganz unterschiedlichen Gründen ins Gefängnis. In deiner Inszenierung ist die Zeit „ein sonderbar Ding“ …
Mein Team und ich haben uns gefragt, warum ist die FLEDERMAUS heute noch so stark, was interessiert uns an dieser Farce? Natürlich die wunderbare Musik, die Melodien, der Rhythmus. Es liegt aber auch an der Geschichte, die – sind wir ehrlich – sich so ähnlich auch heute abspielen könnte. Uns war es wichtig, die Zeitlosigkeit des Sujets zu betonen. Es ist eine Komödie des Bürgertums – und trotz aller Abgesänge leben wir immer noch in einem bürgerlichen Zeitalter.

„FLEDERMAUS forever“ kann man meine Inszenierung überschreiben. Die Themen, die Figuren, die Masken, die uns Strauß und Genée zeigen, erzählen von den gleichen gefestigten Strukturen, in denen wir heute denken. Das war vor hundert Jahren so, das ist heute so, das wird morgen so sein, das wird so in der Zukunft sein.
Rolando Villazón

In unserer Inszenierung zeigt jeder Akt eine andere Zeit. Wir holen das Publikum da ab, wo DIE FLEDERMAUS spielt – ganz traditionell, erwartbar, vorhersehbar: Im bürgerlichen Wohnzimmer der 1870er Jahre, aber auch da gibt es schon Irritationen und Störungen von heute. Der zweite Akt spielt dann Mitte der 1950er Jahre im geteilten Berlin – das Subversiv-Verbotene, Untergründige, ja auch Anarchische des Festes bei Orlofsky kommt für mich so besonders zur Geltung. Und dann sind wir im dritten Akt in der Zukunft – einer Zukunft, die aber auch schon etwas bröckelt.

Diese eher dystopische Zukunft ist inspiriert von allen möglichen popkulturellen Einflüssen, den großen Sagas rund um Raumfahrten. Ist das dein Bild von der Zukunft, kaputte Raumstationen und dysfunktionale Androiden?
Nein, ich denke einfach, die Zukunft wird auch nicht groß anders sein als unsere Gegenwart. Lange gab es diesen Zukunftsglauben, dass alles perfekt und wunderbar wird. Wir wissen, dem ist nicht so. Die Technik wird immer wichtiger, aber sie ist von Menschen erdacht und konstruiert – sie hat ihre Mängel. Sie hat auch etwas Unberechenbares. Und die Roboter und Androiden beginnen schon uns Menschen zu ersetzen – in Paris gibt es selbstfahrende U-Bahnen, Läden brauchen bald keine Angestellten mehr etc. Der künstliche Mensch wird immer realistischer. Ich fand es spannend, dem trotteligen Amtsdiener Frosch – eine Rolle, die ja seit der Uraufführung von aktuellen Anspielungen, Improvisationen und Witzen lebt – eine andere Perspektive zu geben, ohne die Grundstruktur des dritten Aktes zu beschädigen.

Enea Scala als Alfred, Thomas Blondelle als Gabriel von Eisenstein, Annette Dasch als Rosalinde
Der 3. Akt spielt in einer ferneren Zukunft © Thomas M. Jauk
 

Inspirationen aus Filmen wie „2001: A Space Odyssey“ sind im dritten Akt nicht zu übersehen. Aber auch im zweiten Akt kann man an Hollywood denken: Billy Wilders „One, two, three“ lässt im besetzten Ost-Berlin die Kommunisten feiern. Die auf dem Tisch tanzende Lieselotte Pulver wurde zum ikonographischen Bild. Warum spielt der zweite Akt mit diesen Bildern? Warum habt ihr euch für die DDR der 1950er Jahre entschieden?
Erstens sind wir in Berlin. Ich liebe die Stadt mit ihrer Geschichte. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist unheimlich spannend. Die DDR war in den 50er Jahren ein Experiment, man wusste noch nicht in welche Richtung es gehen würde. Vor dem Mauerbau war der Austausch in den Westen auch noch größer. Diesen kurzen Moment des Dazwischen, wo sich Regeln, Moral und Gesetze neu bildeten, finde ich interessant. Auch ist Adeles Arie in diesem Zusammenhang unheimlich spannend: Hier gibt es keine Prinzen, Marquise und Dienstmädchen. Hier sind doch alle gleich. Oder? Die Verkleidung, Maskierung und der Rausch erfasst alle. Im zweiten Akt geht es um gebrochene Grenzen und Freiheit.

Man muss sich auch ins Gedächtnis rufen, dass das „Du“, das Falke allen auf diesem Fest anbietet, in den 1870er Jahren ein fast revolutionärer Schritt war: Selbst Ehepartner haben sich damals gesiezt, bis in die 1920er Jahre haben Kinder ihre Eltern mit „Sie, Papa und Mama“ angesprochen. Auch der Walzer war damals ein neuer, noch nicht standesgemäßer Tanz. Das Zeitgenössische und Subversiv-Revolutionäre der FLEDERMAUS kann man nicht genug betonen.
Genau! Deshalb sehen wir in allen Akten Menschen von heute, aber in unterschiedlichen Settings. Es ist eine große Pantomime, eine Parabel, ein Spiel.

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