Acht Fragen an ... Christian Spuck - Deutsche Oper Berlin

Aus Libretto #7 (2023)

Acht Fragen an ... Christian Spuck

Christian Spuck, Choreograf und designierter Intendant des Staatsballetts, bringt für MESSA DA REQIUEM Chorsänger*innen und Tänzer*innen gemeinsam auf die Bühne

Wieso sollte man sich ausgerechnet im Frühling, wenn die Natur zum Leben erwacht, eine Totenmesse ansehen? 
Weil sie Trost spendet. Das liegt weniger an der lateinischen Liturgie mit ihrem drohenden Gott, der im Moment des Todes ins große Buch schaut und entscheidet, ob man in den Himmel oder die Hölle kommt – sondern an der Komposition. Verdi beschreibt mit einer unglaublichen Menschlichkeit, was in uns vorgeht, wenn wir mit der Endlichkeit in Berührung kommen. Er zeigt: Wir brauchen Endlichkeit, um die Schönheit des Lebens zu erfassen. Es geht nicht um Erlösung im Jenseits, sondern um Trost, im Hier und Jetzt. 

Was unterscheidet den Trost von der Erlösung?
Erlösung kommt über einen, Trost hingegen muss man erwerben. Das Requiem dauert anderthalb Stunden, und man muss sich in dieser Zeit den Trost wirklich erarbeiten. Man muss durch den Schmerz hindurch – erst dann wird man getröstet.  

Was passiert, wenn Tänzer*innen auf der Bühne mit einem Chor interagieren?
Wissen Sie, wenn bei der ersten Probe der Chor zu singen beginnt, haben alle Tänzer*innen Tränen in den Augen. Es ist einfach das pure Glück, physisch so nah bei Menschen zu sein, die mit ihren Stimmen diese wundervolle Atmosphäre kreieren. Diese Direktheit berührt die Tänzer*innen – und auch mich selbst – immer wieder. Es ist wunderschön zu sehen, wie sie sich inspirieren. Die Sänger*innen bleiben nach der Probe länger, schauen den Tänzer*innen zu; die Tänzer*innen sitzen auf dem Boden und hören dem Chor zu. Dieses Teilen von Kunst inspiriert mich. 

Nehmen Sie als Choreograf die Religion aus dem Requiem? Oder war das Verdi?
Das Religiöse ist in Verdis Musik kaum angelegt, Verdi selbst war der katholischen Kirche nicht sonderlich zugewandt. Allerdings ist der Text der originalen Liturgie entnommen. Die MESSA ist – anders als andere, etwa von Mozart – nicht für den Gottesdienst geschrieben, sondern für den Konzertsaal, also nicht mehr für den liturgischen Gebrauch, sondern allein für konzertante Aufführungen konzipiert; daher wird sie oft ironisch als Verdis beste Oper bezeichnet. Ich habe versucht, auf jegliche Form von Religiosität zu verzichten. Die Endlichkeit, die uns begegnet und die Verdi hier beschreibt, ist eine Tatsache. Dafür braucht es keine Religion.

Was gibt Ihnen diese Musik persönlich? 
Diese Musik fängt mich auf, berührt mich sehr. Zum ersten Mal habe ich sie mit 16 gehört, nachts im Radio. Ich war überwältigt, habe sie auf Kassette aufgenommen und immer wieder gehört. Erst Jahre später habe ich verstanden, dass es das Verdi-Requiem war, eine berühmte Toscanini-Aufzeichnung. Ich hatte nie vor, daraus ein Ballett zu machen, das ist zufällig entstanden. Vor ein paar Jahren erzählte ich einer Dramaturgin, wie großartig ich dieses Requiem finde. Eine Stunde später stand der Intendant im Büro und sagte: „Christian, ich habe gehört, du möchtest das Verdi-Requiem inszenieren. Das machen wir!“ Und es war eingetütet. Dann gingen die Kopfschmerzen los. 

Vor welche Herausforderungen hat der Stoff Sie denn gestellt?
Ich habe ein Jahr lang überlegt, was ich machen soll mit diesem Meisterwerk. Das Verdi-Requiem ist so brachial-genial, das braucht eigentlich keine Bilder. Was soll ich da erzählen? Der Dirigent Fabio Luisi hat mir sehr geholfen. Wir waren uns einig: Diese Inszenierung muss aus der Musik geboren werden. Mit Luisi gemeinsam habe ich die Idee entwickelt, sechszehn große, abstrakte Tableaus auf der Bühne zu inszenieren. Diese Bilder sollen helfen, der Musik noch genauer zuzuhören, ihr nachzuspüren.

Wie choreografiert man einen Chor?
Im Grunde wie jede Gruppe von Menschen, allerdings entwickele ich eine Choreografie, die jeder umsetzen kann, für die man keine Ballettausbildung braucht.  Chorist*innen sind Vollprofis darin, auf der Bühne etwas darzustellen. Sie haben einen unglaublichen Ehrgeiz, ihre Choreografie gut umzusetzen – vielleicht, weil sie sich durch die Tänzer*innen inspiriert fühlen. 

Was ist Ihr Lieblingsmoment des Requiems?
Ich mag das gesamte „Lacrimosa“. Diese Passage fängt den Schmerz des „Dies Irae“ auf, dieses Tags des Zorns, in dem die Qualen der Hölle beschrieben werden. Im „Lacrimosa“ kommen die Tränen, es darf endlich getrauert und geweint werden. Die Musik ist so umarmend, erlaubt uns, den Zorn zu vergessen, den Schmerz zu überwinden. Sie tröstet. Wie kann man so etwas komponieren? Ein wahrer Geniestreich.

 

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