Neun Fragen an ... Derek Welton - Deutsche Oper Berlin
Neun Fragen an ... Derek Welton
Als Grenzen geschlossen und Flüge gestrichen wurden, steckte Derek Welton in Australien fest, wo er für Konzerte war. Der australische Bassbariton über Heimat, Ungewissheit und die Lehren des RHEINGOLD
Welche Hürden gab es auf dem Weg in Ihr Berliner Zuhause?
Ich sollte über Singapur fliegen. Doch die Regierung dort ließ niemanden mehr ins Land, der 14 Tage zuvor in Deutschland war. Das traf auf mich zu.
Wie sind Sie doch nach Berlin gekommen?
Nach stundenlangem Telefonieren habe ich eine Verbindung über Doha in Katar gefunden, da war der Flughafen noch offen. Allerdings musste ich vier Tage bis zum Abflug warten – und hoffen, dass sie nicht schließen, oder Australien in den Lockdown geschickt wird und ich nicht zum Flughafen komme. Zudem ließ Deutschland keine Nicht-Ansässigen mehr ins Land.
Und wie haben Sie es nach Deutschland hineingeschafft?
Die 24 Stunden auf dem Flug habe ich gebibbert. Ich bin zwar britischer Staatsbürger, brauchte also kein Aufenthaltsvisum, aber ich dachte: Vielleicht ändern sich die Bestimmungen und Gesetze, während ich in der Luft bin! Lassen sie mich überhaupt rein? Am Immigration-Schalter in Tegel wurde es noch mal spannend: „Sprechen Sie Deutsch?“ – „Ja.“ – „Leben Sie in Berlin?“ – „Ja.“ Da hat er mich einfach durchgewunken. Und ich war endlich zuhause!
Mit dieser Flucht im Hinterkopf: Was bedeutet Ihnen Heimat?
In dieser Krisensituation wollte ich sofort nach Hause. Und das bedeutet für mich Berlin. Heimat hat für mich mehr mit meinem aktuellen Leben zu tun, als mit Wurzeln. In Australien fühle ich mich nicht mehr zuhause. Ich bin zwar dort geboren und aufgewachsen, aber seit 2006 lebe ich in Europa, das ist der große Teil meines erwachsenen Lebens. Ich bin eigentlich bin nicht so sentimental, aber seitdem ist mir klar: Für mich ist Heimat da, wo ich lebe.
Was haben Sie auf dieser Flucht gelernt?
Ungewissheit ist das Thema der Stunde. Das habe ich auch stark auf der Reise gespürt. Was ist Sicherheit? Was ist Gewissheit? Ich bin freiberuflicher Sänger, ich habe grundsätzlich wenig Sicherheit im Beruf. Gerade erleben wir, dass wir aus dem Nichts Monate nicht arbeiten können. Diese Reise ist nur eine Bestätigung der grundsätzlichen Ungewissheit.
Sind Sie durch Ihre Freiberuflichkeit besonders gewappnet für solch ungewisse Zeiten?
Alle Sänger müssen vorsorgen, denn sie könnten für längere Zeit krank werden. Im schlimmsten Fall muss ich ein Jahr ohne Gehalt einplanen, damit ich nicht auf Straßen leben muss. Gerade habe ich an einem Tag zwei Gastaufträge verloren. Am Ende haben wir wenig Kontrolle. Genau das erlebt auch Wotan in Wagners RHEINGOLD.
Den Wotan sollten Sie jetzt im Juni singen, nun wird das RHEINGOLD erst in der kommenden Spielzeit gezeigt. Was lehrt diese Figur Sie?
Er will Gewissheit und Sicherheit, und dafür kontrolliert und manipuliert er alle möglichen Leute. Aber am Ende klappt das mit der Kontrolle nicht, im Gegenteil: Seine Entscheidungen führen zur Götterdämmerung, zum Untergang. Was die finanzielle Planung betrifft, ist er ein abschreckendes Beispiel. Er lässt sich die Burg Walhall bauen – aber wie er das finanzieren soll, weiß er nicht. Gleichzeitig kann er sehr wohl langfristig denken. Damit hilft er mir zu verstehen, dass diese Monate des Lockdowns irgendwann nur noch eine Erinnerung sein werden.
Welche Botschaft sendet Ihnen das RHEINGOLD?
Wagners RING erzählt, was passiert, wenn nach fragwürdigen Entscheidungen die Welt untergeht. Da formulieren sich konkrete Fragen in mir: Wie gehen wir mit unserer Umwelt und dem Klima um? Wir spüren jetzt sehr deutlich, wie unser Handeln tödliche Folgen haben kann – oder hilft. Sicher, für die Kunst ist es schlimm, wenn die Theater monatelang zu sind. Aber dadurch können vermutlich viele Leben gerettet werden.
Was trägt Sie durch die Ungewissheit dieser Tage?
Der RING lehrt mich, dass das alles ein Ende haben wird. Ich lese zurzeit oft, dass unsere künstlerischen Berufe von dieser Krise dauerhaft sehr stark verändert werden, dass viele Häuser schließen müssen. Letzteres glaube ich nicht. Musikaufführungen haben anderes überlebt, Kriege etwa – und auch diese Krise werden wir überleben.