Sieben Fragen an ... Evelyn Herlitzius - Deutsche Oper Berlin
Sieben Fragen an ... Evelyn Herlitzius
Evelyn Herlitzius singt die Herodias in Strauss’ SALOME. Die Sopranistin über ihre Freude am Spiel mit dem Bösen
Herodias ist eine der wohl unsympathischsten Figuren der Opernliteratur. Wie nähern Sie sich ihr?
Man könnte sagen, sie ist ein Monster. Egoistisch, rücksichtslos, selbstsüchtig – da ist in der Tat nichts Sympathisches. Also suche ich gar nicht erst nach Entschuldigungen oder versuche, sie reinzuwaschen. Ich möchte vielmehr ihre Motivation verstehen: Ihre Ehe ist nicht legitimiert, ihre Position am Hof wackelig, und dann wird auch noch die Tochter zur Rivalin. Das macht sie so hart.
Die Beziehung zwischen Herodias und ihrer Tochter Salome ist extrem kalt und distanziert. Berührt Sie das als Mutter persönlich?
Interessanterweise in diesem Stück nicht. Für mich war schnell klar: Da ist einfach nicht viel. Herodias und Salome sind zutiefst entfremdet, das spiegelt sich in jeder Szene zwischen den beiden wider. Da ist wenig Mutterliebe, die Mutter-Tochter-Beziehung ist so kühl, dass sie mich eher analytisch als emotional fordert. Sonst ist das ganz anders: Wenn ich etwa die Kostelnitschka in Janáčeks JENŮFA singe, da komme ich nach der Vorstellung aus dem Weinen nicht mehr heraus.
Warum berührt Sie das Schicksal der Kostelnitschka stärker?
Sie begeht ein schreckliches Verbrechen, sie ermordet ein Kind, und dennoch überwiegt in mir das Mitleid. Das Libretto liefert mir aus ihrer Biografie heraus genügend Beweggründe für ihr Handeln; sie ist eine Getriebene. Bei Herodias ist das anders, mit ihr kann man kaum Mitleid empfinden, weil man einerseits wenig über ihre Geschichte erfährt und andererseits das Gefühl hat: Sie ist in ihrer Boshaftigkeit die ganze Zeit ziemlich bei sich.
Herodias steht zwischen Machtanspruch und Kontrollverlust. Wie setzen Sie diese Zerrissenheit auf der Bühne um?
Das kommt durch die Musik von ganz allein. Die Partie beginnt mit den Worten »Du sollst sie nicht ansehen!«, gerichtet an ihren Mann Herodes, der ihre Tochter lüstern betrachtet – das ist direkt, vorwurfsvoll, dunkel, aber noch etwas verhalten. Von da an steigert sich alles immer weiter bis zum totalen Ausbruch am Ende, wenn ich singe: »Meine Tochter hat recht daran getan, den Kopf des Jochanaan zu verlangen.« Das eigene Kind möchte den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan küssen. Und die Mutter steht da und kreischt, voller Inbrunst, völlig übersteigert. Das ist so überzogen, dass ich jedes Mal denke: Wow, Strauss hat diese Frau musikalisch genial durchkomponiert, vom ersten kontrollierten Vorwurf bis zum kranken Finale. Er hat ein unglaubliches Gefühl für Wort-Ton-Verhältnisse, Herodias singt, wie sie ist: manipulativ, verletzend, total drüber.
Strauss' Musik gilt als herausfordernd. Was war für Sie musikalisch die größte Hürde?
Der Rhythmus! Strauss wechselt ständig das Metrum – Dreier, Vierer, alles durcheinander. Da muss man sehr genau sein, sonst wird es ein Chaos. Gleiches gilt für Textarbeit: Alles muss auf den Punkt sein. Es gibt keine großen Arien, wo ich mich breit machen kann. Herodias schmeißt kurze, präzise Sätze ins Geschehen, und die müssen sitzen. Ich lege jedes einzelne Wort auf die Goldwaage, versuche zu durchdringen, wie es an dieser Stelle genau gemeint ist.
Sie haben früher selbst die Salome gesungen. Wie beeinflusst das Ihre Sicht auf Herodias?
Ich kenne Salome gut, aber das hilft mir bei der Herodias kaum. Die Perspektive ist völlig anders. Salome ist eine Getriebene, während Herodias ihre Tochter benutzt, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Diese Frau weiß genau, was sie will, und dafür geht sie über Leichen. Es ist faszinierend, wie kalt und berechnend sie ist – und das ist musikalisch und darstellerisch eine völlig andere Aufgabe.
Macht es Ihnen Spaß, das Böse zu spielen?
Oh ja, und wie! Herodias ist keine Figur, bei der ich lange grübeln muss, ob ich sie verstehe oder mag. Sie ist so egozentrisch und laut, dass es einfach Freude macht, sie zu verkörpern. Und Strauss gibt mir mit seiner Musik alles, was ich brauche, um diese Frau glaubhaft darzustellen. Sie bietet so viele Facetten – ein echter Höllenspaß!