Zehn Fragen an ... Nina Stemme - Deutsche Oper Berlin

Zehn Fragen an ... Nina Stemme

In der Titelrolle von Puccinis TOSCA vertraut Nina Stemme einem Despoten – und verliert ihr Leben. Hier erzählt die schwedische Sopranistin, wie sie sich den Schrecken nähert, die Tosca durchmacht, um von ihnen zu singen: Folter, Angst, Sehnsucht, Tod

Tosca
Melodramma von Giacomo Puccini
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Boleslaw Barlog
Mit u. a. Nina Stemme, Fabio Sartori, Ambrogio Maestri
20., 23. November 2019

 

Bedauerlicherweise müssen wir Ihnen mitteilen, dass Nina Stemme für die heutige Vorstellung von TOSCA (16. November 2019) absagen musste. An ihrer Stelle übernimmt Karine Babajanyan die Titelpartie.

Was fasziniert uns an Tyrannen? 
In jedem von uns steckt ein Tyrann. Wenn wir nicht bewusst mit diesen negativen Anteilen umgehen, sind wir von Despoten wie dem grausamen Polizeichef Scarpia in TOSCA hingerissen. Wollen wir liebevoller sein, müssen wir auch den Despoten in uns anerkennen.

Wie begegnet man Despoten?
Wir Schweden sind nicht oft despotisch in Führungspositionen, auch nicht in der künstlerischen Welt. Einfach Befehle ausführen ist für mich darum sehr schwierig. Wir vertrauen den Leuten, dass sie für ihre eigenen Dinge Verantwortung übernehmen und glauben, dass man ihnen nicht sagen muss, was sie tun und lassen sollen. Manchmal habe ich Angst vor despotischen Menschen, vielleicht, weil ich wenig Erfahrung mit ihnen habe.

Was ist stärker: Liebe oder Angst?
Auf den ersten Blick die Angst. Ich habe gerade ein Buch von dem Dirigenten Bruno Walter gelesen, in dem er erklärt, warum Liebe schwerer auf der Bühne zu zeigen ist, als Angst. Angst ist das älteste und stärkste Gefühl in uns. Liebe ist so tief und so stark, dass es wirklich schwierig ist, ihr wahres Gesicht auf der Bühne zu zeigen. Auch im Alltag geht Liebe wahrscheinlich tiefer als Angst. Aber die Angst kommt zuerst. Wir sind zwar Menschen, aber eben auch instinkthafte Tiere mit Instinkten. Droht Gefahr, werden wir von Stresshormonen geflutet, Adrenalin, Cortisol ­­– und bekommen Superkräfte. Aber Liebe ist auch eine Superkraft. Nur ohne Gewalt. Und diese Superkraft haben wir noch nicht genügend erforscht und trainiert, um ohne Angst zu überleben. 

Was braucht man, um in einer Gewaltherrschaft zu überleben?
Das ist eine schwierige Frage für jemanden, der das Glück hatte, nie eine zu erleben. Tosca hatte auf jeden Fall nicht die richtigen Fähigkeiten – sie hat die Gewaltherrschaft nicht überlebt. Wahrscheinlich braucht man Integrität. Hoffnung. Und Glaube an die Menschlichkeit.

Tosca bricht unter der Folter. Loyalität ist stets die erste Tugend, die sich verabschiedet.
In einer staatlichen Gewaltherrschaft kennst du die Grenzen deines Handelns. Trotzdem musst du kleine und große Entscheidungen treffen, um zu überleben. Menschen lernen sehr schnell, innerhalb solcher Grenzen zu handeln – oder sie lehnen sich gemeinsam gegen diese Grenzen auf, wie etwa bei den Protesten in Hongkong. Man braucht viel Kraft, um loyal zu bleiben, wenn du nicht sagen darfst, was du denkst.

Tosca ist explizit unpolitisch. Kann man das in einer Despotie überhaupt sein?
Wie soll man denn nicht politisch sein? ­­Politisch zu sein bedeutet, verschiedene Meinungen diskutieren zu dürfen. Das ist in einer Gewaltherrschaft nicht erlaubt. Wir haben etwa in Schweden in der Schule politische Diskussionen geübt, gelernt, Menschen von ihrer Meinung zu trennen. Heutzutage beobachte ich, wie das wieder verwischt. Menschen werden mit dem identifiziert, was sie meinen. Wenn du anderer Meinung bis als ich, bist du ein schlechter Mensch. Dahinter steckt der Wunsch nach einfachen Lösungen. Aber die Welt ist zu komplex.

Wie singt man den Schrecken vor Grausamkeit?
Tja, wie singt man das? Wie porträtiert man eine Frau, die hört, wie ihr Geliebter gefoltert wird? Eine Frau, die mordet? Ich weiß es nicht. Aber ich nutze meine eigenen Emotionen. Man kann diese Passage, nicht schön singen, ich schaue, welche Gefühle herauswollen, ohne der Stimme damit zu sehr wehzutun. Und direkt danach muss ich diese wundervolle, zarte Arie singen. Das ist die Ironie dieser Szene und technisch eine Herausforderung. Du gibst volle Kraft – und dann steht die Zeit still, wenn sie ihr Leben reflektiert.

Was haben Sie von Tosca gelernt?
Sie hat mich gelehrt, niemandem blind zu vertrauen und mich nicht umschmeicheln zu lassen. Und sexuelle Gewalt klarer zu erkennen – denn Scarpia ist ein Vergewaltiger, das muss man so deutlich sagen. Er genießt sexuelle Gewalt, er besingt sie sogar in seiner Arie. Das ist wirklich fürchterlich.

Worin liegt Toscas Stärke?
Das ist meine Aufgabe: Wie porträtiere ich Tosca als ernst zu nehmende Frau, die nicht wie eine Tussi, wie ein Häschen dasteht? Sie liebt ihre Berufung, sie lebt den Traum vieler Künstlerinnen und ist sehr glücklich über ihren Erfolg. Diese Seite an ihr dürfen wir genießen, sie macht ihren Fall noch tiefer. Gleichzeitig ist sie ist einfach ein bisschen dumm, dass sie Scarpia vertraut. Aber hat sie keine echte Wahl? Ihr Liebster wird gefoltert, es fließt Blut. Sie ist allein. Sie glaubt wirklich, dass sie ihn retten kann. Und wenn du so verzweifelt und gestresst bist, triffst du leicht falsche Entscheidungen.

Tosca lässt sich auf eine Affäre mit dem Despoten Scarpia ein, in der Hoffnung, ihren Geliebten zu retten. Was würden Sie für die Liebe riskieren?
Ich habe drei Kinder. Wenn ich wüsste, dass ich die Liebe oder die Lieben meines Lebens verlieren würde, würde ich alles tun, damit sie nicht verletzt werden. Ich würde mein Leben riskieren. Ich realisiere gerade, wie privilegiert ich bin. Die Realität ist viel schlimmer als TOSCA. Oper kommt nicht annähernd an die Realität heran.

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