Himmel und Hölle: Puccinis Welttheater „Il trittico“ - Deutsche Oper Berlin

Aus dem Programmheft

Himmel und Hölle: Puccinis Welttheater „Il trittico“

Pınar Karabulut, Michela Flück und Teresa Vergho im Gespräch

Dorothea Hartmann: Der Titel IL TRITTICO beschreibt einerseits äußerlich die Form – eine Reihung von drei Teilen – hat aber auch die inhaltlich aufgeladene Bedeutung eines Altar-Triptychons. Was verbindet ihr mit diesem Titel?

Pınar Karabulut: Für mich ist wichtig, dass drei verschiedene Opern zusammengehören. Man muss also nicht – wie manchmal bei einem Kinofilm – lange auf den neuen Teil warten. In Puccinis TRITTICO erleben wir den ganzen Kosmos innerhalb von drei Stunden. Wir erfahren die Welt aus verschiedenen Perspektiven, und gleichzeitig gehört doch alles zusammen. Eigentlich gehen wir mit Puccini an diesem Abend durch die Lebensgeschichte eines Menschen. Wir erleben Liebe und Sehnsucht, Trauer und Tod, Neid und Eifersucht und – ganz zentral: die Frage nach dem Glück. Was brauche ich, um glücklich zu sein? Oder: Wie kann ich wieder glücklich sein? Ist die Vergangenheit die Rettung meiner Zukunft? Oder wird die Zukunft die Rettung meiner Gegenwart sein? Das alles kommt in drei unterschiedlichen Geschichten und Farben zusammen. Und da gefällt mir auch das Bild des Triptychons. In Kirchen finden wir auf den dreiteiligen Altären oft die heilige Maria in der Mitte, links und rechts Darstellungen von Qualen und Freuden des Erdenlebens. Ich sehe IL TRITTICO ähnlich: SUOR ANGELICA in der Mitte und flankierend an den Seiten: die dramatische Tragödie IL TABARRO und die groteske Komödie GIANNI SCHICCHI.

Dorothea Hartmann: Die Reihenfolge der Teile wird bisweilen auch umgestellt. Warum habt ihr euch für die klassische Abfolge IL TABARRO – SUOR ANGELICA – GIANNI SCHICCHI entschieden?

Pınar Karabulut: Der klassischen TRITTICO-Abfolge liegt der Dreischritt von Dante Alighieris Göttlicher Komödie zugrunde: Es beginnt klassisch mit dem Inferno, der Hölle, in TABARRO. Dann folgt das Purgatorio, das Fegefeuer, und es endet im Paradies. TABARRO und SUOR ANGELICA gehören für mich zusammen: Wir sehen Menschen, die versuchen, das Glück, die Liebe, das Leben zu finden. Sie bauen sich verschiedene Systeme und Ordnungen, in denen sie freiwillig leben, auf einem Schiff oder in einem Kloster. Aber sie scheitern alle. Nach der Pause gibt es mit GIANNI SCHICCHI dann eine Art Katharsis.

Michela Flück: Für die Bühne interessierte es mich, das Konzept des Triptychons als inhaltliche Rahmung zu nutzen, aber die drei Teile nicht nur vor einer christlichen Folie zu betrachten. Wir tauchen für die drei Teile in ganz unterschiedliche Welten ein, die in starkem Kontrast zueinanderstehen: Sie unterscheiden sich in den Genres, den Milieus und in der Zeit, auf die sie verweisen – von Dante bis in die Zeit Puccinis und darüber hinaus. Wir stellen die Teile in einen starken Kontrast zueinander und gleichzeitig ist doch alles permanent vorhanden – wie in einem großen Welttheater.

Dorothea Hartmann: Den Dreischritt von der Hölle zum Paradies aus Dantes Göttlicher Komödie thematisiert ihr zu Beginn explizit mit einem Zitat aus Dantes Inferno: „Lasst alle Hoffnung fahren, wenn ihr hier eintretet.“ Welche Hölle betreten wir in IL TABARRO?

Pınar Karabulut: IL TABARRO zeigt die alltägliche Hölle einer verstummten Beziehung. Und die beginnt schon viel früher: Das Paar Giorgetta und Michele hat vor einem Jahr sein Baby verloren. In diesem emotionalen Ausnahmezustand ist die Kommunikation erstarrt. Die beiden sind gefangen, und statt das Trauma gemeinsam oder auch alleine aufzuarbeiten, sucht Giorgetta Hoffnung bei einem anderen Mann. Das endet in der Tragödie – und in der Fortsetzung der Hölle. Denn Michele und Giorgetta bleiben mit der Tat zurück. Die beiden sind in ihrer Kommunikationslosigkeit die einsamsten Figuren auf der Bühne – eine von Menschen gemachte Hölle.

Michela Flück: Wir zeigen diese emotionalen Zustände und weniger eine konkrete Verortung. Es gibt im Bühnenbild zwar einige Elemente, die auf das Schiffer-Milieu verweisen: das Wasser oder der Steg quer über die Bühne. Aber letztlich sind die Figuren schwebend, quasi im Nichts. Weitere Figuren, wie Frugola und Talpa oder auch das romantische Liebespaar, tauchen auf und verschwinden wieder. Keiner hat wirklich Boden unter den Füßen. Das ist für mich atmosphärisch das Besondere an TABARRO – das Vakuum und der Stillstand – im Gegensatz dann zum zweiten Teil SUOR ANGELICA, wo die Gemeinschaft und Gesellschaft viel konkreter und physischer dargestellt werden.

Teresa Vergho: Auch im Kostümbild gibt es Elemente, die im Schwarz des Hintergrundes verschwinden können, während andere umso greller hervortreten. Die Figuren sind überzeichnet, erscheinen in sich aber nicht komplett. Es gibt auch hier Zitate, die auf ein konkretes Kolorit hindeuten, anderes ist in einer diffusen Gegenwart oder düsteren Zukunft verortet. Einzelnen Elementen, Farben und Symbolen werden wir in den späteren Teilen wieder begegnen.

Dorothea Hartmann: Alle drei Geschichten haben gemeinsam, dass sich eine Gruppe von Menschen in einer geschlossenen Welt befindet, in die etwas hineingerät: eine Person oder ein Ereignis. Und dann bricht etwas auf, das vorher unter Verschluss gehalten wurde. In TABARRO entladen sich die unterdrückten Energien in einem Mord.

Pınar Karabulut: Und damit geht es noch tiefer in die Hölle hinein. Michele ist am größten Punkt der Verzweiflung, und er bereut die Tat auch sofort, doch da ist es zu spät. Die Oper endet mit einem Schrei von Giorgetta. Interessanterweise hat sie auch mit Giorgettas Stimme begonnen, die den Dialog sucht mit Michele. Das heißt, ihre Stimme rahmt den Weg, den die beiden gegangen sind, oder besser: den sie aneinander vorbeigegangen sind. Nach Giorgettas Schrei beginnt eine völlig neue Welt und Geschichte: Die Männer werden sozusagen abgeschafft. Wir erleben den Übergang zum Matriarchat, zur völlig neuen und anderen Welt von SUOR ANGELICA.

Dorothea Hartmann: Puccini hat sich für diesen zweiten Teil musikalisch und textlich vom Leben und Alltag in einem katholischen Kloster inspirieren lassen – einer Welt, die unserer heutigen Gesellschaft sehr fern ist.

Pınar Karabulut: Das ist eine wirklich besondere Oper durch den rein weiblichen Cast. Wir erleben Frauen, die in einer Gemeinschaft ohne Männer leben und sich bewusst dafür entschieden haben. Für mich ist es eine positiv wahrgenommene Welt, man lebt hier freiwillig und in anderer, befreiter Form im Vergleich zur „alten“ Welt. Die früheren, patriarchalen Moralvorstellungen und Gesetze gibt es hier nicht mehr. Natürlich passieren nun auch in dieser Gesellschaft gute und schlechte Dinge. Wir erleben Regeln und Verbote, Rituale und Traditionen. Manches erinnert vielleicht an kirchliche Symbole – auch weil wir mit unserer eurozentristischen Perspektive dann sofort die christliche Religion assoziieren. Doch für mich steht das Schaffen einer neuen Gemeinschaft im Vordergrund: einer, in der man selbstbewusst und selbstbestimmt lebt, bis hin zur freien Entscheidung, das Leben zu beenden.

Dorothea Hartmann: Nach dem Kammerspiel von TABARRO ist SUOR ANGELICA ein Gesellschaftspanorama mit Chor und vielen solistischen Partien. Die Ausstattung ist opulenter und detailreicher – was hat euch hierfür inspiriert?

Michela Flück: Ich denke oft an die großen Wimmelbilder etwa von Hieronymus Bosch. Die Bühne ist belebt von der Kloster-Community, von vielen Miniaturen, die man entdecken kann, verstärkt durch zahlreiche Elemente, die sich auf der Drehbühne zu einem Universum zusammensetzen. Statt eines klassischen Klosterlebens zeigen wir eine weibliche futuristische Gesellschaft, die Teil der bildlichen Vision von Angelica sein kann.

Teresa Vergho: Mir war es wichtig, hier ein Bild zu schaffen, dass zwischen Restriktion und Sinnlichkeit oszilliert. Beides findet in der von uns erzählten Welt gleichermaßen statt. Die Körper der Frauen sind komplett verhüllt, aber die Hülle selbst ist transparent und lässt die Gliedmaßen durchscheinen. Auch hier gibt es zitathafte Elemente aus der Vergangenheit – wie die Mühlsteinkrägen oder die Skapuliere der Schwestern – die sich mit komplett fiktiven, futuristischen Elementen verbinden.

Michela Flück: Wir haben SUOR ANGELICA immer auch ausgehend vom Schluss gedacht, wenn sich die Realität auflöst und das Visionäre ins Zentrum rückt. Die SUOR ANGELICA-Welt ist im Gegensatz zu TABARRO eine große sinnliche Erfahrung: Vom Inferno bis zum Paradiso ist alles gleichzeitig vorhanden.

Pınar Karabulut: Die Trance-Erfahrungen verschiedener Kulturen und Religionen bilden auch eine Folie für das permanente Drehen der Bühne in SUOR ANGELICA. Man verliert die Orientierung und nimmt dann vielleicht auch den eigenen Körper anders wahr. Suor Angelica öffnet ihren Geist für eine andere, transzendente Erfahrung. Vielleicht involviert sie auch den Zuschauerraum in dieses Ritual.

Dorothea Hartmann: Die permanente Rotation der SUOR ANGELICA-Welt kommt zum Stillstand für den Einbruch der Außenwelt: Welche Rolle hat die symbolisch stark aufgeladene Figur der Zia Principessa?

Pınar Karabulut: Auf der Handlungsebene verlangt die Zia Principessa, dass Angelica eine Urkunde in Erbfragen unterschreibt. Angelicas größte Lebenshoffnung ist aber, ihren inzwischen sieben Jahre alten Sohn wieder zu sehen. Die Zia Principessa, die ja Angelicas Tante ist, erzählt ihr allerdings, dass ihr Kind verstorben sei. Ich denke nicht, dass das die Realität ist. Für mich ist das eher eine Strategie der Tante. Sie kommt aus einer alten Welt in diese neue Gesellschaft hinein und bringt noch einmal die alten Regeln und Moralvorstellungen mit. Ihre Erzählung von Angelicas Sohn lässt bei Angelica traumatische Erfahrungen wiederaufleben. Die Zia Principessa bringt die Todesbotschaft – wie in der griechischen Tragödie die Botin mit der schlechten Nachricht. Hier gibt es auch ein verbindendes Element mit den anderen TRITTICO-Teilen – der Tod taucht überall auf.

Teresa Vergho: Es gibt für uns drei regelrechte Todesfiguren: Michele, die Principessa und Gianni Schicchi selbst. Puccini hat diese drei sehr unterschiedlich gestaltet, trotzdem erfüllen sie alle eine sehr ähnliche Funktion. Diese Ähnlichkeit erzählen wir in ihren Kostümen und ihrer Maske.

Dorothea Hartmann: Der dritte Teil GIANNI SCHICCHI beginnt mit einem Toten, musikalischer Lethargie und Depression. Doch dann gewinnt die Oper an Energie und hebt ab: Die Komödie verlässt die Tiefe des Bühnenraumes und rückt ganz dicht an das Publikum.

Michela Flück: Das Bühnenportal, das das Triptychon bestimmt und einfasst, ist jetzt zusätzlich betont. Der Mittelteil des Triptychons wird ausgefüllt mit der Geschichte von Gianni Schicchi. In den Seitenflügeln ist die Welt von TABARRO und ANGELICA immer noch vorhanden. Und am Ende wird auch dieses Bild wieder aufgelöst und von der Verwandtschaft zerstört. Wir befinden uns wieder im gesamten Kosmos des TRITTICO.

Dorothea Hartmann: Zuvor wird uns eine von Geiz und Gier zerfressene Gesellschaft vorgeführt, eine Gruppe von innerlich wie äußerlich extrem deformierten Figuren.

Pınar Karabulut: Ausgangspunkt ist Florenz und die Commedia dell’arte mit ihrem Personal: der Dottore, der vorgeführt wird, weil er nicht erkennt, ob Buoso noch lebt oder nicht. Lauretta steht in der Tradition der Colombina, und natürlich ist Gianni Schicchi der klassische Arlecchino, der alle an der Nase herumführt. Daran haben wir uns orientiert und das dann potenziert durch die Kostüme und Körperlichkeiten.

Teresa Vergho: Die Masken der Commedia dell’arte erweitern wir in den ganzen Körper: die Charakterzüge haben sich nicht nur ins Gesicht eingegraben, sondern auch in Schultern, Bäuche und Gliedmaßen. Jedes einzelne Familienmitglied wird zu einer überzeichneten Comicfigur, die wir alle irgendwie aus der eigenen Familie zu kennen scheinen …

Pınar Karabulut: Da steht eine bucklige Verwandtschaft vor uns, ausgestellt in einem weißen Raum, einem Labor. Denn es ist nicht wichtig, wo wir uns befinden – ob im Palast oder in der Hütte. Wenn es um Gier, Ungerechtigkeit und Egoismus geht, spielt die soziale Klasse keine Rolle. Es steckt also durchaus auch eine Klassismus-Kritik in dieser Oper. Auf gewisse Weise werden wir doch alle vorgeführt: Man kommt nach der Pause an diesem Opernabend zurück in einen dunklen und sicheren Raum. Und plötzlich landet man selbst unter der Lupe. Im ersten Moment fühlt man sich geschützt, weil alles sehr laut, schrill und überzeichnet ist. Und gleichzeitig kennt man die eigene Realität dahinter. Und wir gehen natürlich auch mit Gianni Schicchi mit, der uns vermittelt: „Alles ist möglich.“ Man soll den Moment genießen, einfach nur leben, und am Ende entscheidet das Publikum, ob man in den Himmel kommt oder nicht. Das gefällt mir an diesem dreiteiligen Abend: Man durchläuft alles in einer rückläufigen Form. Es beginnt mit dem Tod. Der Tod durchzieht alle Teile. Aber wir enden mit dem Leben, mit Hoffnung, mit Kreativität und Witz. Das ist ein schönes Gesamtkonzept des TRITTICO: vom tiefsten Punkt zum vielleicht befreienden Lachen.

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