Im Bann des Eros der menschlichen Stimme - Deutsche Oper Berlin
Die Dramaturgin Dorothea Hartmann sprach mit Regisseur Christof Loy.
Im Bann des Eros der menschlichen Stimme
Christof Loy inszeniert nach mehr als 90 Jahren Korngolds „Das Wunder der Heliane“ neu am Haus in der Bismarckstraße
„Das Wunder der Heliane“ wurde direkt nach der Uraufführung im Jahr 1927 von 12 Bühnen im deutschsprachigen Raum nachgespielt. Wenige Jahre später war die Oper von den Spielplänen verschwunden und vergessen – bis zum heutigen Tag. Was ist passiert?
Christof Loy: Der Hauptgrund war zunächst, dass das Nazi-Regime Korngold wie alle anderen jüdischen Komponisten verboten hat. Das betrifft auch das große Konkurrenzstück der Zeit, Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ – ein eindeutigerer Publikumserfolg als „Heliane“. Als man sich nach dem 2. Weltkrieg dann besonnen hat, die Komponisten der sogenannten „Entarteten Musik“ wieder auszugraben, hatte Korngold es schwer. Ich glaube, dass es am Verständnis fehlte für die mystische Ebene und für die Religiosität des Stücks. Schon die sphärischen Klänge des Vorspiels künden von einem göttlichen Universum. Eine desillusionierte Gesellschaft nach dem Krieg konnte und wollte damit vielleicht nichts anfangen.
Sie haben nun dieses Stück, das seit Jahrzehnten nicht gespielt wurde, für die Deutsche Oper Berlin vorgeschlagen – ist jetzt die richtige Zeit dafür?
Loy: Ich habe mit Stücken, in denen es um Gott geht, weniger Probleme. Ich glaube an eine ordnungsstiftende Figur. Und ich finde es wert, dieser nachzuspüren. Und ja, vielleicht ist es tatsächlich die richtige Zeit dafür in der heutigen Gesellschaft, in der es eine Sehnsucht gibt nach Spiritualität und nach Religiosität.
Und Berlin ist der richtige Ort?
Loy: Man braucht für Korngolds riesige Partitur und den Klangeindruck der Musik eine gewisse Größe der Bühne und des Zuschauerraumes. Und es macht auch Sinn, diese Oper an dieses Haus zu bringen wegen der speziellen Aufführungsgeschichte: Es gab eigentlich drei Uraufführungen der „Heliane“ 1927/28: Zuerst in Hamburg, dann in Wien, dann an der Städtischen Oper Berlin, der heutigen Deutschen Oper. Und vielleicht ist es interessant, in Berlin, dieser heute manchmal rauen und prosaischen Stadt, zu überlegen, was Themen wie „Liebe“, „Nächstenliebe“ und „Mit-Leid“ bedeuten können.
Die Grundkonstellation der „Heliane“ mutet zunächst wie eine simple Dreiecksgeschichte an: Im Zentrum steht Heliane. Sie ist die Frau eines liebesunfähigen Herrschers. Hinzu kommt ein namenloser „Fremder“, dem Heliane ihre Liebe schenkt. Was reizt Sie an dieser Geschichte?
Loy: Der augenscheinlichste Konflikt ist der, dass ein Mann – der Herrscher – mit dem Ehebruch seiner Frau Heliane nicht zurechtkommt. Das ist erstmal nachvollziehbar. Doch wenn Heliane in der Öffentlichkeit ihre Liebe zu dem Fremden verteidigt, dann geht sie weit über das traditionelle Verständnis von Liebe, Treue und Sexualität hinaus. Das Stück lädt ein, Moralvorstellungen radikal zu hinterfragen. Heliane kann selbst nicht beantworten, was mit ihr passiert ist. Sie hat sich vor dem Fremden nackt ausgezogen. Das sieht nach einem Seitensprung, einem vollzogenen Beischlaf aus. Doch für Heliane stellt es sich anders dar: Für sie war es „Liebe“ – auf ganz vielen Ebenen. Liebe als spirituelles Erlebnis. Liebe als christliche Tat am Nächsten: Man verschenkt sich selbst. Liebe als Mit-Leiden mit einem todgeweihten Gefangenen. Und Liebe, die ihren Ausdruck findet in Sinnlichkeit und Erotik. Heliane weiß, dass sie sich dafür vor einem Gericht schuldig oder unschuldig bekennen soll. Und sie merkt, dass die Begriffe Schuld, Unschuld und Moral nicht mehr ausreichen.
„Das Wunder der Heliane“ wurde für die großen Sänger der 20er Jahre geschrieben, Lotte Lehmann sang etwa in Wien die Titelpartie. Die Partien gelten als stimmlich ausgesprochen schwierig. Was ist die Herausforderung?
Loy: Als Sänger muss man sich seiner Mittel im extremen Forte-Bereich wie auch in einem differenzierten Piano-Bereich sehr sicher sein. Es sind Partien, die große physische Anstrengungen erfordern. Und gleichzeitig geht es darum, die Rolle glaubwürdig zu interpretieren als Sänger-Darsteller und nicht hinter dem Kraftakt des Singens zu verschwinden.
Bereits 1927 hoben die Kritiker als besonderes Merkmal dieser Oper das „Schwelgen im Gesang“ hervor. Korngold stellte die Stimme mit spätromantisch blühenden Bögen noch einmal ins Zentrum – in einer Zeit, in der viele andere Komponisten darauf nicht mehr vertrauten.
Loy: Bei den Partien von Heliane und dem Fremden findet etwas wie eine Sublimierung des Eros über das Singen statt. Der Eros der menschlichen Stimme zieht in Bann, und über das Erleben der Stimme wird man als Zuhörer gereinigt. Der Gesang in dieser Oper hat etwas Narkotisches. Man entwickelt eine Sehnsucht, dass er nicht aufhört. Bei den Schlüsselmomenten, in Helianes Arie oder im Schlussduett von Heliane und dem Fremden, da denkt man: Das soll jetzt bitte ewig so weitergehen.