»In ihr erkenne ich mein Leid« - Deutsche Oper Berlin

Was mich bewegt

»In ihr erkenne ich mein Leid«

Die Performancekünstlerin Marina Abramović ist seit Jahrzehnten besessen von der Sopranistin Maria Callas. Nun setzt sie ihr auf der Bühne ein Denkmal – und lässt sie gleich siebenmal sterben

Maria Callas trat in mein Leben, als ich 14 Jahre alt war. Ich saß mit meiner Großmutter beim Frühstück, als eine Stimme aus dem alten Bakelit-Radio ertönte, so stark und kraftvoll, wie ich es nie gehört hatte. Mir kamen die Tränen, und ich wollte alles über diese Frau wissen. Ich las, was ich auftreiben konnte, hörte die Aufnahmen und schaute Filmmaterial an. Denn leider hatte ich nie die Möglichkeit, sie live auf der Bühne zu erleben.

Je mehr ich mich mit der Callas beschäftigte, desto mehr identifizierte ich mich mit ihr, entdeckte Gemeinsamkeiten. Sie hatte wie ich eine extrem strenge Mutter, die sie zwar liebte, aber auch unter enormen Erfolgsdruck setzte. Wir beide sind besessen, ordnen unserer Kunst fast alles andere unter; mir wurde sogar oft gesagt, wir sähen uns ähnlich. Am meisten hat mich ihr Tod bewegt – sie ist vereinsamt in Paris an gebrochenem Herzen gestorben, an ihrer unerwiderten Liebe zum griechischen Milliardär Aristoteles Onassis. Die größte Sängerin aller Zeiten wäre ohne mit der Wimper zu zucken Hausfrau geworden, um einen Mann an sich zu binden. Dass sie dazu bereit war, macht mich wütend. Ich bin davon überzeugt: Wenn man über eine derartige Gabe verfügt, dann gehört sie nicht mehr nur einem selbst, dann hat man die Pflicht, diese mit den Menschen zu teilen. In dem Leid, das Callas erfahren hat, erkenne ich mein eigenes Leid, auch ich habe erlebt, was es bedeutet, wenn ein Herz bricht. Mich hat damals meine Arbeit gerettet, der Callas hingegen konnte ihre Kunst nicht helfen.

Den Wunsch, eine Arbeit über Maria Callas zu machen, hegte ich seit mehr als 30 Jahren. Irgendwann wusste ich: Die Oper ist der einzig richtige Ort, um sich dem Mythos zu nähern. An dem Abend werden sieben Bühnentode zu sehen sein, große Todesszenen der Paraderollen der Callas: in LUCIA DI LAMMERMOOR, TOSCA, CARMEN, MADAMA BUTTERFLY, NORMA, LA TRAVIATA, OTELLO.

Große Sterbeszenen von CARMEN bis NORMA: Im Bett liegend durchlebt Abramović immer wieder die Bühnentode der Callas © W. Hösl / Bayerische Staatsoper 
 

Jede Figur stirbt auf unterschiedliche Weise, sie wird erstochen, erdrosselt, springt in den Tod oder verfällt dem Wahnsinn. Es ist immer der gleiche Mann, der mich in Videosequenzen tötet: Schauspieler Willem Dafoe. Ich bin Performancekünstlerin, die Schauspielerei war mir fremd. Was ich nun darüber weiß, habe ich von Dafoe gelernt. Er hat mir geholfen, den letzten, den achten Tod darzustellen – den echten Tod der Maria Callas in ihrer Pariser Wohnung.

Es war mir wichtig, die Wohnung anhand von Fotos möglichst authentisch zu rekonstruieren: Ich ließ jedes Gemälde über dem Bett, sogar die Schlaftabletten neben dem Telefon und die exakt gleichen Blumen nachbilden. Diese letzte Szene ist die emotional herausforderndste für mich. Ich kann sie nur spielen, wenn ich in diesem Moment an meinen eigenen Schmerz denke. Von den Fotos auf dem Nachttisch blicken mich meine eigenen Familienangehörigen an, Menschen, die ich in meinem Leben geliebt und verloren habe. Und das Foto, das ich schließlich in die Hand nehme, mit dem ich langsam über die Bühne laufe – das zeigt meinen ehemaligen Lebensgefährten. Nur so kann ich in den Schmerz eintauchen, der zu meinem eigenen wird.

Als Performancekünstlerin stand die Oper für mich lange für eine Welt der Künstlichkeit, des Unnatürlichen – beinahe ein Dinosaurier unter den Kunstformen. Jetzt habe ich begriffen, dass dies nicht so sein muss, dass eine besondere Energie und Verbindung zwischen Publikum und Bühne entstehen kann, eine Schwingung, die im Stande ist, den sprichwörtlichen Graben zu überwinden. Wenn ich nun als Maria Callas auf der Bühne sterbe, dann spüre ich den Atem der Zuschauer.

Wir zeigen sieben Opern in anderthalb Stunden, dekonstruiert und in einem neuen Kontext. Das zieht junge Leute an, mich freut das. Eine Freundin erzählte mir, dass sie nach der Premiere unseres Stücks in der Pariser Opéra Garnier eine ältere Dame sah, vermutlich eine der bourgeoisen Abonnentinnen, die pikiert aussprach: »Mais ce n’est pas classique!« Ich dachte: Dann habe ich alles richtig gemacht.

Abramovic ließ jedes Detail des echten Sterbezimmers der Maria Callas nachbilden, sogar die Schlaftabletten auf dem Nachttisch © W. Hösl / Bayerische Staatsoper
 

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