Ins Exil gezwungen - Deutsche Oper Berlin

Ins Exil gezwungen

Solopauker Benedikt Leithner erinnert mit einem Sinfoniekonzert an drei jüdische Dirigenten der Städtischen Oper, die von den Nationalsozialisten vertrieben wurden

Angefangen hat alles in einem Frankreichurlaub vor ein paar Jahren. Gleich am ersten Abend lernte ich eine Französin kennen, die mir erzählte, dass ihre jüdischen Großeltern aus Österreich von den Nazis umgebracht wurden und ihr Vater versteckt auf einem französischen Bauernhof ohne Eltern aufwuchs. Ihre Familiengeschichte ließ mich nicht mehr los, also begann ich zu recherchieren, nachdem ich wieder zurück war. Und ich war erstaunt, wie viel man auf Anhieb findet, wenn man nur die Namen der Opfer kennt und sie online zum Beispiel im Gedenkbuch des Bundesarchivs oder in der Datenbank der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem eingibt.

Als ich später im Stimmzimmer der Deutschen Oper Berlin die Tafel sah, auf der alle Orchestermusiker mit Eintritts- und Austrittsdatum stehen, fiel mir auf, dass einige das Orchester 1933 oder kurze Zeit später »verlassen« hatten, obwohl sie in vielen Fällen noch gar nicht lange dort gewesen waren. Einer der ersten Namen, an den ich mich aus dieser Reihe erinnere, ist Ernst Silberstein: Es fällt nicht schwer sich auszumalen, warum jemand wie er nicht mehr an einem Haus arbeiten durfte, das dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und damit Joseph Goebbels unterstand. Auch bei Silberstein war ich erstaunt, wie viel ich über seinen Lebensweg herausfinden konnte, denn es existieren noch viele Schriftstücke aus der Zeit des Nationalsozialismus; Personalakten mit Bewerbungsschreiben, Arbeitsverträgen bis hin zu Krankschreibungen: Silberstein war seit 1923 als Solo-Cellist an der Charlottenburger Oper angestellt und Mitglied des renommierten Klingler-Streichquartetts. 1933 wurde er sofort entlassen. Auch mit dem Streichquartett sollte er nicht mehr auftreten. Karl Klinger hat noch mit einem persönlichen Schreiben an Adolf Hitler versucht, das zu verhindern – erfolglos. Leider war solche Solidarität eher die Ausnahme: Nach der Machtübernahme hatten die Nationalsozialisten die komplette Leitungsebene der Oper um Direktor Carl Ebert abgesetzt und durch regimetreue Funktionäre ersetzt. Auch an der der Deutschen Oper herrschte nun ein Klima der Denunziation.

Schon die bloßen Personalakten erzählen so spannende und berührende Geschichten, dass ich die Idee hatte, sie in der Konzertreihe »Wider das Vergessen« auch mit einem Publikum zu teilen. Bei unserem Sinfoniekonzert zum Abschluss der Veranstaltungsreihe »Tage des Exils« werden wir die Lebenswege der jüdischen Dirigenten Fritz Stiedry, Kurt Sanderling und Paul Breisach nachzeichnen.

Und wir werden Musik spielen, die mit den Dreien verbunden ist: Stiedry arbeitete viel mit Arnold Schönberg zusammen, Breisach war Schüler von Franz Schreker und Sanderling verband bis zu seinem Tod eine enge Freundschaft zu Dmitri Schostakowitsch. Zwischen den Sätzen liest Margarita Broich aus persönlichen Dokumenten der drei Musiker.

Alle drei legten nach ihrer Vertreibung glänzende Karrieren im Ausland hin. Andere, wie Max Rosenthal, ereilte ein weitaus schlimmeres Schicksal. Der zweite Geiger wurde am 14.11.1941 mit seiner Frau und seiner zehnjährigen Tochter nach Minsk deportiert. Über das Tagebuch eines Mitdeportierten habe ich erfahren, dass er noch im Zug Geige gespielt hat. An ihn und die vielen anderen Opfer werden wir parallel mit einer Ausstellung im Foyer der Deutschen Oper Berlin erinnern.

Die Dirigenten Paul Breisach (o. r.), Kurt Sanderling (o. l.) und Fritz Stiedry (m.) verloren 1933 ihre Anstellungen an der Charlottenburger Oper. Sanderling emigrierte 1936 nach Moskau und wurde später Chefdirigent des Sinfonie-Orchesters in Ost-Berlin. Stiedry floh 1933 nach Leningrad. Nach vier Jahren als Chefdirigent der dortigen Philharmoniker verließ er 1937 die Sowjetunion in Richtung New York, wo er vielbeachtete Aufführungen an der Met gab. Breisach blieb zunächst in Europa, bis er 1939 über Budapest in die USA flüchten konnte. Hier arbeitete er an großen Häusern in Chicago, New York und San Francisco. Auch Cellist Ernst Silberstein wurde 1933 zwangspensioniert, spielte als Mitglied des renommierten Klingler-Quartetts (u. r.) jedoch weiterhin Konzerte. 1936 emigrierte er schließlich in die USA und wurde später erster Solocellist an der Met in New York.

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