Jetzt übernehmen wir - Deutsche Oper Berlin
Jetzt übernehmen wir
In AB IN DEN RING! trifft freie Szene auf große Oper. Regisseurin Anna Weber und Mezzosopranistin Caroline Schnitzer erzählen, wie aus einer burlesken Operette die Geschichte eines Kulturkampfs wird
Oscar Straus’ DIE LUSTIGEN NIBELUNGEN ist eine Persiflage auf Richard Wagner, schon deshalb erschien uns der Stoff passend für unsere erste Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin. Das Haus wird schließlich mit einer langen Wagner-Tradition assoziiert. Im Original von 1905 machen sich Straus und der Librettist Rideamus über das Wagnersche Heldentum und den Patriotismus der Epoche lustig, wir überschreiben die Geschichte und holen sie ins Heute. Als Kollektiv tutti d*amore ist es uns wichtig, dass unsere Arbeiten einen klaren Bezug zur Gegenwart haben, eine Aussage über die Gesellschaft treffen und eine Relevanz für den Ort besitzen, an dem sie entstehen.
Die grotesk überzeichnete Nibelungensippe verkörpert in unserer AB IN DEN RING!-Produktion die Kulturinstitution Oper, die Familienmitglieder sind die Mitarbeitenden. Es sind Menschen, die aus ihren Rollen nicht mehr herausfinden, quasi im Kostüm steckengeblieben sind. Die Sopranistin, die ihr ganzes Leben lang Wagner gesungen hat, ist mit der Figur der Kriemhild verschmolzen. Bei Straus geht es darum, dass König Gunther heiraten muss. Wir übersetzen diese Zwangsvermählung in einen Fusionszwang: Die Deutsche Oper Berlin wird genötigt, sich mit einem Underground-Kollektiv aus der freien Szene zusammenzutun, das den Namen »Die wilde Brünhilde« trägt.
Wie im Original ist die Brünhilde ein Element, das von außen kommt und den Laden aufmischt. Wir spielen dabei mit den Klischees, die über beide Seiten existieren: hier die verstaubte und konservative Institution, dort die progressive freie Szene. Tatsächlich haben sich die vermeintlich grundverschiedenen Welten längst vermischt, auch in ihren Arbeitsweisen. Dafür steht schon die Tischlerei der Deutschen Oper Berlin als Ort für Experimentelles.
Der Kulturkampf spielt sich in unseren Augen nicht in erster Linie zwischen Institution und freien darstellenden Künsten ab. Es geht viel grundsätzlicher um den Streit: für oder gegen Kultur. Die Ausgangslage von AB IN DEN RING! ist, dass die Deutsche Oper Berlin einen Bescheid vom Senat erhält, in dem sie aufgefordert wird, sich mit einem woken Kollektiv zusammenzutun, andernfalls drohen massive Mittelkürzungen. Weil man sich eben nicht mehr alle Kultur leisten kann oder will. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass wir damit derart den Nerv der Zeit treffen.

Für uns stellt sich mit jeder Produktion die Frage, wie wir der Kunstform Operette wieder zu Relevanz verhelfen können. Sie ist ja ursprünglich für die breite Masse entstanden, andockfähig für alle Schichten: mit gesprochenen Dialogen, eingängigen Melodien und einer Durchlässigkeit für Tanz und Burleske. Ein Weg für uns war bislang, an die Orte zu gehen, wo sich ein junges, opernfremdes Publikum aufhält: Clubs, Festivals, öffentliche Räume. Wir haben auf Technofestivals gespielt, wo sich Menschen über eine Stunde gebannt ein Musiktheater mit Kammerorchester und Gesang angeschaut haben. Weil es sie berührt hat. Viele kamen danach ganz überrascht zu uns und fragten: »Wieso macht ihr das? Ihr seht so normal aus …«
Letztlich ist die Operette ein absolut sinnliches Erlebnis, das an Emotionen rührt, die auch bei einem Rave erreicht werden. Es geht uns darum, mit dieser Kunstform Neues zu wagen, sie neu zu lesen, auch neu zu arrangieren. Für AB IN DEN RING! übernimmt Felix Stachelhaus die Bearbeitung des Orchestermaterials und übersetzt das Motiv der aufeinanderprallenden Welten in Musik. Für Brünhilde, die als Repräsentantin des Neuen, des Undergrounds auftritt, wird entsprechend ein elektronischer Sound mit Live-Solo[1]Instrumenten geschaffen. Wir nennen sie scherzhaft: die Dubstep-Brünhilde. Auch auf der musikalischen Ebene geht es nicht um Dichotomien, um klassisch vs. cool, gestrig gegen modern. Es gibt Momente, in denen der Operngesang lustig wirkt, aber genauso kann ein Vierer-Beat unter einer klassischen Melodie etwas Stumpfes haben und gar nicht mehr hip klingen. Wir führen AB IN DEN RING! mit sechs Sängerinnen und Sängern auf – drei von tutti d*amore, drei von der Deutschen Oper Berlin –, dem Apollo-Chor Berlin und einer etwas verkleinerten Orchesterbesetzung.
Wobei die Musikerinnen und Musiker nicht klassisch mit ihren Noten am Platz sitzen bleiben müssen. Das ist das Schöne an einer Raumbühne ohne Orchestergraben wie der Tischlerei – sie verschafft uns das, was wir in all unseren Arbeiten suchen: maximale Freiheit.