Junge Welten - Deutsche Oper Berlin

Was mich bewegt

Junge Welten

Für das Projekt »Stabat Mater« hat sich die Junge Deutsche Oper Berlin mit dem Theater RambaZamba zusammengetan. Was dabei entsteht, geht über Arvo Pärt weit hinaus. Ein Probenbesuch

Von der Ekstase zur Andacht ist es nur ein kurzer Weg. Gerade noch haben die Jugendlichen auf der Probe wild im ganzen Raum zum Song »Die Young« der Sängerin Kesha getanzt, sich aufgewärmt zu stampfenden Carpe-diem-Beats (»Let’s make the most of the night like we’re gonna die young«!). Jetzt holen sie Marmeladengläser hervor, stellen Kerzen hinein und versammeln sich zur ersten Szene. Das Saallicht geht aus und langsam setzt sich eine Prozession in Bewegung, ein summender, sonor tönender Chor im Dunkeln. Eine der Spielerinnen, Anastasiia, trägt darüber einen Text auf Ukrainisch vor. Eine andere, Louise, zitiert aus Bertolt Brechts Gedicht »Die Bitten der Kinder«: »Die Müttersollen nicht weinen. Keiner soll töten einen.«

Auf der Probebühne des Theaters RambaZamba am Prenzlauer Berg entsteht momentan eine besondere Kooperation zwischen dem inklusiven Haus und der Jungen Deutschen Oper Berlin. Eine Gruppe von rund 30 Spielerinnen und Spielern hat sich dafür zusammengefunden. Menschen mit und ohne Behinderung, Jugendliche aus Berlin und der Ukraine. Im Zentrum soll das Stück »Stabat Mater« des estnischen Komponisten Arvo Pärt stehen, die Vertonung des mittelalterlichen Gedichts, das von der Trauer der Maria um ihren gekreuzigten Sohn erzählt. »Stabat mater dolorosa« – »Es stand die Mutter schmerzerfüllt«.

Sie habe lange nach einer Musik gesucht, die für alle andockfähig sei, erzählt die Regisseurin Kirsten Burger, die seit 2022 das Junge RambaZamba leitet. »Tatsächlich habe ich noch nie eine Gruppe erlebt, die so sehr an Religion interessiert war.« Gerade die Jugendlichen aus der Ukraine seien mehrheitlich orthodox und auf einer spirituellen Suche, »gleichzeitig sind viele von ihnen kriegstraumatisiert und glauben nicht mehr an die Möglichkeit von Frieden.« Krieg, Gewalt, Traumata – auch diese Themen werden ihren Raum haben. Burger plant, um das »Stabat Mater« – das von professionellen Sänger*innen und Streichern der Deutschen Oper Berlin aufgeführt wird – einen Rahmen zu bauen: Mit elektronischen Kompositionen, Liedern und eben selbstverfassten Texten der Spielerinnen und Spieler.

Ein partizipatives Projekt wie dieses verlangt von allen Beteiligten viel Offenheit und Flexibilität. Von den Kostümbildnerinnen Marlene van Dieken und Carlotta Dering – die sich auf immer neu entwickelte Szenen einstellen – ebenso wie von der musikalischen Leiterin: »Ich habe schnell verstanden, dass ich mich von meinen Erwartungen verabschieden muss«, erzählt Misha Cvijovic, die mit der Jungen Deutschen Oper Berlin 2020 das Stück »LAUT!« auf die Beine gestellt, aber noch nicht in inklusiven Zusammenhängen gearbeitet hat. Etwas einzustudieren und wiederholbar zu machen – das sei mit Jugendlichen mit Beeinträchtigung eben nicht möglich. Stattdessen entstünden aus Improvisationen spannende Klangräume. »Ich muss die Kontrolle abgeben und auf die Verbindungen vertrauen, die hier wachsen«, beschreibt Cvijovic. »Das ist auch für mich als Komponistin ein Abenteuer.«

Misha Cvijovic hat mit der Jungen Deutschen Oper schon das Stück »LAUT!« auf die Beine gestellt © Max Zerrahn
 

Es sind sehr verschiedene Lebenswege und Perspektiven, die hier zusammenkommen. Nuria macht das Tanzen und Singen am meisten Spaß – und die Anfangsszene: »Wenn ich mit der Kerze reinkomme, habe ich das Gefühl, als wäre ich ein sehr religiöser Mensch.« Niklas war schon bei Kirsten Burgers vorangegangener RambaZamba-Produktion »Schwärmen« beteiligt, einem Klimawandel-Stück im Humboldt Forum. »Das Wichtigste am Theater ist Konzentration«, sagt er. »Nicht noch schnell irgendwo hinrennen, sofort anfangen. Valeriia ist auf der Krim aufgewachsen und stammt aus einer jüdischen Familie, die Großmutter ist in Polen geboren. Entsprechend sei es für sie zwiespältig, »die Deutschen über den Krieg in der Ukraine reden zu hören.« Anastasiia wiederum erzählt von einer Frage, die während der Probe aufkam: »Was ist dein Traum?«. Ihrer sei furchtbar naiv: »Ich will, dass in jedem Land Frieden herrscht.«

Valeriia (l.) und Anastasiia zählen zu den ukrainischen Jugendlichen, die »Stabat Mater« mit ihrer persönlichen Geschichte bereichern © Max Zerrahn
 

Die Begegnung mit Anastasiia wirft einen als Besucher der Probe aber auch auf die eigenen falschen Erwartungen und Projektionen zurück. Was sie von Pärts »Stabat Mater« halte, will man wissen. Sie schaut ratlos, versteht die Frage nicht. Also noch mal, langsam und deutlich: Pärt? Der Komponist? Anastasiia unterbricht: »Ich kenne Arvo Pärt, ich habe in der Ukraine acht Jahre lang im klassischen Orchester gespielt«, Geige, Klavier und Domra, eine Schalenhalslaute. »Aber wie soll ich in wenigen Worten ein solches Meisterwerk beschreiben?«. Pärt, fügt sie noch an, wechsle binnen einer Sekunde »von Sonne zu Regen«. Da reiche es doch nicht zu sagen: »Oh, ein schönes Legato«.

Die Überraschungen, sie reißen nicht ab an diesem Nachmittag. Csilla und Louise sind als Spielerinnen und Musikerinnen an »Stabat Mater« beteiligt, sie haben eine Band, die »Kalte Knie« heißt und deren Musik »häufig als Punkrock-noisy-alternative-Irgendwas« beschrieben wird, so Louise. Aber eigentlich passen sie in keine Schublade. Csilla beschreibt das produktive Chaos einer Stückentwicklung, die keinen Regeln folge, »weil Jugendliche mit Beeinträchtigung ein ganz eigenes Empfinden dafür haben, was sie machen wollen und was nicht.« Musik, sagt sie, sei da eine gute Möglichkeit, »Brücken zu bauen.« Louise erzählt, dass sie Brechts »Bitten der Kinder« als Lied auf die Probe mitgebracht habe. Sie sei darauf gekommen, »weil mein Großvater das damals vertont hat.« »Ihr Großvater war Paul Dessau«, ergänzt Csilla lapidar.

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