Komm, wir ziehen los - Deutsche Oper Berlin

Was mich bewegt

Komm, wir ziehen los

Teenager sind Stadtnomaden. Treffen sich am Spielplatz, an der Kreuzung, vorm Späti, laufen stundenlang durch die Gegend. Mit ihnen entwickelt die Autorin Elisa Aseva ein Projekt zum Mitmachen

Wanderlust
Partizipatives Jugendprojekt
Junge Teilnehmer*innen mit unterschiedlichen Erfahrungen entwickeln gemeinsam mit Expert*innen aus Musik, Regie und Text dieses Projekt in einem kreativen und partizipativen Prozess, an dessen Ende die beiden Aufführungen in der Tischlerei stehen.
Konzeption, Leitung: Evi Nakou, Katja Wischniewski 
11., 12. Februar 2022

Wir planen ein partizipatives Projekt für Jugendliche. Während der zweiwöchigen Winterferien schieben verschiedene Teams Prozesse an, an deren Ende ein neu entwickeltes Konzert steht – mit Text, Musik, Video und anderen Dingen. Noch haben wir nicht viel, aber in diesen Zeiten ist das ja nichts Ungewohntes. Kuku Schrapnell, meine Co-Autorin, und ich erarbeiten in Workshops mit den Kids die Texte. Wir wollen Ortsbegehungen machen, diese Orte anschließend beschreiben und mit den Jugendlichen schauen, was passiert, wenn sich Grenzen aufheben – wenn innen und außen zusammenkommen. Das mag abstrakt klingen, ist aber alles andere als das.

Es geht bei »Wanderlust« um die inneren Landschaften, die jeder Mensch in sich hat, als Abbilder der äußeren Landschaften, in denen wir uns befinden. Es geht nicht um Heimat oder Identität, das sind Zuschreibungen; und wenn, dann geht es eher darum, auch diese Begriffe aufzulösen, zu verstehen, dass sie auf Erfahrungen beruhen. Es geht übrigens auch nicht um Science-Fiction, wie das vor Monaten noch gedacht war. Wir wollen keine Utopien entwerfen oder gar »Das Neue« entwickeln. Ich finde es eine Zumutung, ausgerechnet von Jugendlichen ständig Zukunftsentwürfe zu fordern, wenn schon die Gegenwart nicht funktioniert.

Menschen stellen ständig Bezüge zur Außenwelt her. Wir wollen Teenagern die Erfahrung vermitteln, über die Beschreibung eines Ortes oder einer Landschaft sich selbst zu erkunden und zu begreifen, wer sie sind, wie viel und was sich in ihrem Inneren abspielt. Ich bin in Äthiopien geboren und in Baden-Württemberg aufgewachsen. Sobald ich in den Weinbergen bin, nehme ich eine Form an, die ich in Berlin niemals habe. Zurück in Kreuzberg bin ich wieder jemand ganz Anderes. Ich war fünf Monate alt, als ich mit meiner Familie von Äthiopien nach Baden-Württemberg geflüchtet war. In der Schule blieb ich fremd, die Vormittage habe ich lieber in Bibliotheken oder mit anderen Außenseitern verbracht. Weil meine Mutter krank war, haben mein Bruder und ich ein paar Jahre im Heim gewohnt. Sie und andere Frauen haben mich wohl für mein Leben geprägt.

Ich arbeite zurzeit in einem Impfzentrum, letztes Jahr ist mein erstes Buch erschienen, »Überstunden«. Es besteht nur aus Posts, die ich in den letzten drei Jahren bei Facebook veröffentlicht habe, Gedanken, die mir im Laufe eines Tages kommen und die ich aufschreibe.

Menschen sind Resonanzkörper. Die Resonanz im eigenen Körper zu spüren, darum geht es in »Wanderlust«: um die gute alte Form des Spaziergangs, der kein Ziel verfolgt, keinen Sinn ergeben muss. Die Idee des Flaneurs wollen wir wiederbeleben, des ziellos durch die Stadt Laufenden, der auf nichts als Erfahrung aus ist.

Pubertät bedeutet Transformation. Hier sind gerade diese Erfahrungen wichtig, die uns vermitteln, wer wir sind, wie wir gesehen werden, wer wir vielleicht sein könnten, wer unsere Freunde sind und unsere Feinde. Auch hier geht es ja erst einmal um Erkundungen, um das Erschließen der eigenen, inneren Erfahrungswelt über das Herumlaufen durch die Stadt, in diesem Fall Berlin.

Elisa Aseva veröffentlichte 2021 ihr literarisches Debüt. Die Texte für »Wanderlust« entstehen bei Stadtrundgängen mit den Teilnehmern © Privat
 

Jugendliche haben viel Zeit, aber eigentlich ist das Durch-die-Gegend-Laufen an sich keine pubertäre Angelegenheit. Die meisten Erwachsenen sind einfach enger getaktet durch die Anforderungen des Kapitalismus. Sobald wir aus unserem Arbeitsraster ausbrechen, fangen auch wir wieder an, durch die Gegend zu flanieren. Diese Taktung ist übrigens eine moderne Erscheinung. Die Erfahrung des Molochs Stadt, als rhythmisierte Landschaft, als Maschine, die Menschen verschlingt und auf Fließbändern transportiert, ist ja ein zentrales Thema der Industrialisierung, die in allen Künsten reflektiert wird. Aber wo sich den kapitalistischen Zwängen Muße abringen lässt, werden wir wieder zu Spaziergängern, die staunend durch die Gegend laufen – und endlich einmal nicht bei sich selbst ankommen.

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