Lachen für das Leben - Deutsche Oper Berlin
Lachen für das Leben
Worüber lachen wir eigentlich, wenn wir eine komische Oper sehen? Und was macht dieses Lachen mit uns? Versuch einer Antwort ... in einem kurzen Essay von Jörg Königsdorf
Eigentlich waren die Verhältnisse im Italien des Frühjahrs 1813 alles andere als zum Lachen. Nach dem Misslingen von Napoleons Russlandfeldzug stand nicht allein die Zukunft Europas wieder völlig in den Sternen, in fast jeder italienischen Familie wuchs mit dieser Ungewissheit auch die Sorge, ob die zahllosen jungen Männer, die Napoleon für sein wahnwitziges Vorhaben aus dem Land gepresst hatte, je ihre Heimat wiedersehen würden. Und doch lachten die Italiener: Das Stück der Stunde war Gioacchino Rossinis L’ITALIANA IN ALGERI, eine turbulente Komödie um eine junge Italienierin, die als Sklavin die erotischen Gelüste des Bey von Algier befriedigen soll, aber stattdessen den Harem des Herrschers aufmischt und schließlich sogar allen in Algier gefangenen Italienern zur Flucht verhilft. Nun wurden komische Opern – nicht nur in Italien – zur Zeit Rossinis quasi am laufenden Meter geschrieben und er selbst hatte in den Jahren zuvor auch etliche Musikkomödien verfasst. Mit der ITALIANA hatte Rossini jedoch auf ganz andere Weise einen Nerv seiner Zeit getroffen – und ihr Erfolg erklärt einiges darüber, was eine gute komische Oper braucht.
Zunächst einmal natürlich ein gutes Ende: Damit wir uns überhaupt trauen zu lachen und das Gelächter seine befreiende Wirkung entfalten kann, braucht es die Gewissheit des lieto fine. Das Etikett »komisch« gibt unsere Sicht auf die Handlung vor, die in den meisten komischen Opern für sich genommen gar nicht so komisch ist: Weder die Sklaverei im Mittelmeerraum, die in der ITALIANA gegenwärtig ist, noch der Überlebenskampf eines Deserteurs, wie ihn Lortzing in seinem ZAR UND ZIMMERMANN schildert, sind an und für sich lustig. Doch die Gewissheit, dass hier alles gut ausgehen wird, ermöglicht es uns, diese Geschichten versöhnlicher zu betrachten – ungefähr so wie jede überstandene Gefahr im Rückblick für uns harmloser wirkt. Die Komödie ist in diesem Sinne das Prinzip Hoffnung: die Versicherung, dass sich selbst die ausweglosesten Situationen noch zum Guten wenden können.
Damit das funktioniert, braucht es allerdings genau die Verbindung zur Realität, die selbst noch durch die größten Absurditäten einer Komödienhandlung hindurchscheint. Die Erfahrungen mit einer kleingeistigen Obrigkeit, wie sie in ZAR UND ZIMMERMANN in Gestalt des Bürgermeisters van Bett präsent ist, aber auch das Gefühl einer Bedrohung durch autokratische Gewalt, das sich in der ersten Arie des (echten) Zaren Bahn bricht. Oder sei es in der ITALIANA die Erinnerung an die vielen in der Ferne gefangenen Landsleute – nicht umsonst schrieb Rossini seiner Titelheldin mit der Arie »Pensa alla patria« gegen Ende des Stücks noch einen patriotischen Appell auf den Leib. Selbst das berühmte Finale des ersten Akts der ITALIANA, in dem die Hauptfiguren keinerlei vernünftigen Text mehr singen, sondern nur noch laute wie »Bum Bum« oder »Krack Krack« von sich geben, passt durchaus als kollektiver Kommentar auf eine Welt, in der der Einzelne nur noch in das Räderwerk einer großen Maschinerie geworfen wird, deren Funktionsweise niemand mehr versteht.
Die Komödie ermöglicht es uns mithin, zumindest für ein paar Stunden zum Aberwitz des Alltags eine lockernde Distanz zu finden – nicht als bloßer Eskapismus, sondern weil sich in ihr der Glaube ans Weiterleben manifestiert. Wer auf der Bühne komisch auftritt, kommt in der Regel mit dem Leben davon. Und tot auf dem Boden liegen nur die, die zu viel geliebt oder gehasst haben.
Jörg Königsdorf ist seit August 2012 Chefdramaturg der Deutschen Oper Berlin und betreute unter anderem den Meyerbeer-Zyklus, die Uraufführungen von Aribert Reimann und Detlev Glanert sowie den neuen RING DES NIBELUNGEN von Regisseur Stefan Herheim. Königsdorf studierte Volkswirtschaftslehre und Kunstgeschichte und arbeitete ab 1995 als Musikkritiker unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, den Tagesspiegel und die Opernwelt.