Was mich bewegt

Macht. Missbrauch. Musik

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG erzählt vom Singen als Beruf. Mit Anna Viebrock und Sergio Morabito verlegt Jossi Wieler die Wagneroper in eine Musikschule, legt das Toxische der Opernwelt frei

Kunst und Künstlertum, Regeln und Brüche, Tradition, Innovation, Alt versus Neu, ein junges Genie, das seinen Mentor findet, der es in eine Form bringen und seinen Weg leiten möchte. DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG ist auch eine Oper über den Beruf des Singens – und erzählt damit von unserer Branche: vom Drill, dem Druck, der Disziplin, die dort herrschen, vom Nicht-versagen-Dürfen, den Ängsten und Depressionen, die das auslöst. Diese Oper erzählt von Macht und Missbrauch in der Welt der klassischen Musik.

Es ist mehr als drei Jahre her, als Dietmar Schwarz, der Intendant der Deutschen Oper Berlin, uns fragte, die Bühnenbildnerin Anna Viebrock, meinen Ko-Regisseur und Dramaturgen Sergio Morabito und mich, ob wir Lust hätten, die MEISTERSINGER zu inszenieren. Wir trafen uns mal bei Anna in der Eifel oder bei ihr in Wien, bei Sergio, er ist ja Chefdramaturg an der Wiener Staatsoper, oder bei mir in Berlin, haben das Libretto gelesen, die Musik gehört, geredet, frei assoziiert über Filme, Musik, Literatur und natürlich auch über Richard Wagner.

Seit fast 30 Jahren ein kongeniales Team: Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock, Co-Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito ©  Martin Sigmund
 

Das Stück hat ja keine einfache Rezeptionsgeschichte, allein die unsägliche Schlussapotheose durch die Figur des Hans Sachs, das fortlaufende Narrativ von Revolution und Reife, das im Völkisch-Nationalen gipfelt, die antisemitische Figur des Beckmesser, der Wettbewerb mit einer Frau als Hauptgewinn – wie kann und möchte man damit heute umgehen? Vielleicht indem man zeigt, wie verführerisch und wortgewaltig Hans Sachs das Gesetz des Handelns an sich reißt und die Schwachstellen im System benutzt, um eine eigene, durchaus fragwürdige Reformagenda durchzusetzen, und wie wenig seine Manipulation den Träumen der jungen Leute heute gerecht werden.

Vor drei Jahren gingen die Me-Too-Skandale noch durch die Medien und unsere Branche. Der ehemalige Leiter der Münchner Musikhochschule, war wegen sexueller Nötigung gerichtlich verurteilt. Zuvor gab es den Skandal um einen Filmproduzenten. Dennoch tauchte diese Me-Too-Thematik in unseren Gesprächen kaum auf. Wir sahen in den MEISTERSINGERN, die ja als Komödie angelegt sind, mit ihren vielen Figuren, Handlungssträngen und dem verwirrenden Regelwerk ihrer Institution etwas Kafkaeskes.

Wie überlebt man in einem hierarchischen System? Wie findet man in diesem Labyrinth seinen Weg? Und wie findet man wieder hinaus und zu sich selbst?

Hierarchie, Macht, Missbrauch. Letzterer kann sexuell sein, ist es aber nicht immer. Lehrer, Regisseure, Dirigenten können ein toxisches Klima erzeugen, um Höchstleistung anzutreiben – ähnlich wie im Hochleistungssport. Dadurch können Freiheit, Talent und Freude bei jungen Menschen verloren gehen, künstlerische Kriterien schwinden – die Kreativität wird von abstrakter Disziplin überblendet. Das ist, was uns interessiert. Wir haben das Stück in einer Musikhochschule angesiedelt, um zu durchleuchten, woher solches Machtgebaren stammt. Seit ich Theater mache, mache ich mir Gedanken darüber, wie man in der Kunst mit Macht umgeht. Theater und Opernbetriebe sind hierarchisch strukturiert; ich arbeite seit Jahrzehnten in Teams. Alle meine Opernproduktionen entstehen im Trialog mit Anna Viebrock und Sergio Morabito. Die Tatsache, dass ich nun wieder für uns drei sprechen soll, weil es einfacher und verständlicher erscheint, ist, wie ich finde, Teil der Symptomatik, die wir mit unserer Inszenierung ansprechen. Die Kunstwelt ist voller Egos, großer Köpfe und Ideen, jeder bringt seinen eigenen Narzissmus mit und ein. Das Schwierige ist, innerhalb der Amplituden, die dadurch entstehen, dennoch eine Gemeinschaft zu bilden. Es braucht Langmut und Erfahrung, das Miteinander auszuhalten. Ich glaube, vor dreißig Jahren hätte ich das so noch nicht sagen können. Man muss sich – oft auch methodisch – zurücknehmen, nicht auf seinem Willen beharren, um die andere Seite zu öffnen. Hier den einen Weg zu finden, wenn es eben nicht den einen Schöpfer gibt, das ist die Herausforderung. Dies ist, glaube ich, das Paradox der Kreativität. Dass Leistung und Qualität oft aus Zurückhaltung entstehen.

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02
DEZ

Advents-Verlosung: Das 2. Fensterchen

Im heutigen Adventskalender-Fensterchen verlosen wir 3 mal eine DVD von „Der Schatzgräber“ – eine Oper in einem Vorspiel, vier Akten und einem Nachspiel von Franz Schreker. Wenn Sie eine der drei DVDs gewinnen möchten, schreiben Sie bitte heute eine E-Mail mit dem Betreff „Das 2. Fensterchen“ an advent@deutscheoperberlin.de.

Schon die Uraufführung von Franz Schrekers DER SCHATZGRÄBER im Jahr 1920 in Frankfurt geriet zum Sensationserfolg, und es folgten allein in den nächsten fünf Jahren nicht weniger als 44 Inszenierungen an verschiedenen Häusern. Doch dann wurde es still um das beliebte Werk. Schrekers Opern schienen nicht mehr dem Zeitgeist zu entsprechen, mit dem Aufführungsverbot der Nationalsozialisten verschwanden die Partituren endgültig in den Schubladen. Und auch nach 1945 dauerte es lange, bis eine Schreker-Renaissance einsetzte. DER SCHATZGRÄBER jedoch hat es bis heute schwer.

Wie fast alle Libretti Schrekers stellt auch die Geschichte um Els und Elis die Frage nach dem Verhältnis von Fantasie und Realität, von Kunst und Leben: Seelenverwandt als einsame „Kinder von Traumkönigs Gnaden“ jagen Els und Elis unterschiedlichen Schätzen nach. Elis, der fahrende Sänger, spürt mit seiner Kunst in Gestalt einer magischen Laute Gold und Edelsteine auf, um die Menschheit zu beschenken. Die Kneipentochter Els hingegen, mutterlos aufgewachsen in einer brutalen Männerwelt, wird für ihr Ziel zur Lügnerin, Diebin und Mörderin: Sie schickt ihre Freier aus, um den Schmuck der Königin zu stehlen. Die ungeliebten Männer lässt sie sodann nach erfolgreicher Übergabe des Diebesguts skrupellos ermorden. Doch selbst der Besitz allen Goldgeschmeides stillt beider Verlangen nicht. Und so geht es auch in dieser Schreker-Oper einmal mehr um das Sehnen selbst, das der Komponist als den eigentlichen „Schatz“ bezeichnet: „einen Traum von Glück und Erlösung“. Elis und Els verlieren sich in diesen Träumen, Erinnerungen und Ahnungen, in Liedern, in Musik. Ihre Geschichten geraten zum Traumspiel in einer Welt voller Gier, Mord und emotionaler Haltlosigkeit. Für Franz Schreker konnte nur die Kunst selbst die Erlösung bieten. In den Kriegswirren ab 1914 komponiert, ist die Partitur des SCHATZGRÄBER so auch Schrekers persönliches künstlerisches Credo in prächtigen spätromantischen Farben.

Musikalische Leitung Marc Albrecht; Inszenierung Christof Loy; Bühne Johannes Leiacker; Kostüme Barbara Drosihn; Mit Tuomas Pursio, Doke Pauwels, Clemens Bieber, Michael Adams, Joel Allison, Michael Laurenz, Thomas Johannes Mayer, Seth Carico, Daniel Johansson, Gideon Poppe, Stephen Bronk, Elisabet Strid, Patrick Cook, Tyler Zimmerman u. a.; Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin



Einsendeschluss: 2. Dezember 2023. Die Gewinner*innen werden am 4. Dezember 2023 per E-Mail informiert. Die DVDs gehen anschließend auf dem Postweg zu. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.