Martin Muehle … Mein Seelenort: Der Rosengarten in Mannheim - Deutsche Oper Berlin

Aus Libretto #7 (2023/24)

Martin Muehle … Mein Seelenort: Der Rosengarten in Mannheim

Kurz vorsingen, dann schnell wieder nach Brasilien? Wie Martin Muehle in Mannheim eine zweite Heimat fand

Mein Seelenort ist der Rosengarten in Mannheim. Das hört sich komisch an, ich weiß. Doch für mich steht das Gebäude symbolisch für meine neue Heimat Mannheim und ihr kulturelles Leben – davon gibt es überraschend viel. Das hätte ich selbst nicht gedacht, als ich 2011 zum ersten Mal den Fuß in die Stadt setzte.

Zu der Zeit war ich aus meiner Heimat Brasilien nach Wien gereist, um mich darauf vorzubereiten, den Siegmund in der WALKÜRE zu singen. Nebenbei nahm ich einige Vorsingen wahr, eins davon am Nationaltheater Mannheim. Ich erinnere mich genau, wie ich damals mit meinem kleinen Koffer ankam, mich auf dem Bahnhofsvorplatz umschaute und mir die Stadt überhaupt nicht gefiel. Hier wollte ich auf keinen Fall singen. Diese Gewissheit gab mir die Nonchalance, beim Vorsingen entspannt und offensichtlich auch gut zu sein. Das Ergebnis: Die Mannheimer wollten mich sofort fest ins Ensemble aufnehmen.

Aber ich hatte keine Lust, nach Deutschland zurückzuziehen. In Brasilien lief alles rund für mich: Ich hatte ein Haus, einen Hund, führte ein lockeres Leben. Ich kannte Deutschland vom Gesangsstudium in Lübeck, verband es mit norddeutscher Reserviertheit und Dauernieselregen. Doch als Mannheim das Angebot ein Jahr später erneuerte, habe ich es mir anders überlegt. Es war schließlich eine Ehre und eine Karrierechance. Das Nationaltheater hat ein breites Repertoire, es wäre ein gutes Schaufenster für mein Können.

Also zog ich 2013 nach Mannheim, dort wohne ich bis heute und ich habe es keinen Tag bereut. Ich habe hier ein anderes, ein neues Deutschland kennengelernt. Ich beherrschte die Sprache schon, auch habe ich wegen meiner Großmutter, die aus Hamburg stammt, eine Verbindung zum Land. Aber die Mannheimer haben mich überrascht: die Warmherzigkeit, mit der sie mich aufnahmen, und die Liebe, die sie für ihr Opernhaus aufbringen. Über die Jahre sind mir immer wieder Opernfans auf der Straße begegnet, haben erzählt, wie froh sie sind, dass ich hier singe. Das ist das Schöne an einer kleinen Stadt: Sie nimmt Anteil an dir.

Muehle im Zuschauerraum des Mozartsaals. Der Konzertsaal ist Teil des Rosengartens und Auftrittsort für das Nationaltheater-Orchester Mannheim ©  Thomas Pirot
 
 

Für meine Karriere war der Umzug die richtige Entscheidung, sie nahm Fahrt auf. Der Mannheimer Rosengarten markiert dabei einen wichtigen Wendepunkt. Als ich dort Gustav Mahlers »Das Lied von der Erde« sang, spürte ich, dass ich in Deutschland angekommen war. Das war 2015 und seitdem kann ich mir nicht mehr vorstellen, bald nach Brasilien zurückzukehren: Ich habe hier die besseren Chancen. Ich bin ein Spätzünder, meine Stimme ist noch frisch, ich habe viel vor. Gleichzeitig bin ich als Mensch, als Sänger gereift und bereit, komplexe Rollen zu übernehmen.

Deshalb freue ich mich sehr darauf, den Hermann in Tschaikowskijs PIQUE DAME zu gestalten. Es ist das erste Mal, dass ich Tschaikowskij singen werde. Ich möchte die ganze Tragik und Melancholie der Figur auf die Bühne der Deutschen Oper Berlin bringen. Ich liebe diese reiche, romantische Musik, spüre die Verbindung zur russischen Kultur – dies alles berührt meine Seele. Es ist ein Privileg, dass ich an der Deutschen Oper Berlin schon am Entstehungsprozess der Produktion beteiligt sein werde. Die vielen Proben sind zwar zeitintensiv, aber dadurch wird die Rolle für mich persönlich konstruiert und meine Darstellung kann eine neue Qualität erreichen. Kunst braucht Zeit.

Ich denke viel über meine Figur nach, aber auch über die Kunst im Allgemeinen und darüber, welche Rolle Oper in unserem Leben spielen kann. Darin unterscheiden sich Brasilien und Deutschland sehr. Hier in Deutschland gibt es eine große Liebe fürs Regietheater, das mir manchmal etwas fremd bleibt. Ich habe nichts gegen moderne Inszenierungen – wenn sie mit Herz gemacht sind. Denn im besten Fall sollte das Publikum eine Vorstellung nicht nur mit vollem Kopf, sondern auch mit vollem Herzen verlassen.

Wir brauchen die tiefen Emotionen der Oper, um der schnellen, oberflächlichen Welt, in der wir leben, etwas entgegenzusetzen. Manchmal glaube ich, dass die Deutschen etwas Angst davor haben, richtig loszulassen, sich voll auf die großen Gefühle einzulassen, vielleicht befürchten sie Kitsch? Dabei geht es in der Oper doch vor allem um Gefühle: Ein Mensch, der nichts über ein Stück weiß, muss es trotzdem fühlen können. Egal, ob er oder sie in einer Aufführung in Porto Alegre sitzt oder in Mannheim.

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