Maurice Béjarts rauschhaftes Weltballett - Deutsche Oper Berlin
Von Martina Helmig
Maurice Béjarts rauschhaftes Weltballett
Auf Einladung der Deutschen Oper und des Staatsballetts Berlin zeigt das Béjart Ballet Lausanne drei großartig besetzte Meisterwerke des Jahrhundert-Choreografen
Die Franzosen verehren ihn als Monstre sacré, als heiliges Monster.Andere nennen ihn Jahrhundertchoreografen, Ballettmagier oder Bilderzauberer. Maurice Béjart hat die Tanzkunst des 20. Jahrhunderts revolutioniert. Nach elf Jahren gastiert auf Einladung des Staatsballetts Berlin und der Deutschen Oper das Béjart Ballet Lausanne wieder in Berlin. Drei groß besetzte Meisterwerke des 2007 verstorbenen Franzosen sind vom 17. bis 19. Oktober im Tempodrom zu erleben: „Le Sacre du Printemps“, „Boléro“ und „Ce que l’amour me dit“.
Mit 78 Personen reist die von Gil Roman geleitete Compagnie an. Polina Semionova gibt ihr Debüt als Solistin in „Boléro“. Tänzer aus dem Staatsballett, Orchester und Chöre der Deutschen Oper Berlin unterstützen die Béjart-Truppe. Es soll eine große Hommage an den Ausnahmekünstler werden, der eine enge Beziehung zu Berlin pflegte. „Mich hat immer fasziniert, dass er ein sehr intellektueller Choreograf war, seine Stücke auf der Bühne aber doch eine ungeheure Sinnlichkeit entfalteten“, erklärt Christiane Theobald, die Stellvertretende Intendantin des Staatsballetts Berlin. Götter, Clowns, Revolutionäre und Rockstars bevölkern seine opulenten Tanzgemälde. Tanz, Musik, Bilder und Sprache verschmolzen zum Gesamtkunstwerk, zum „Spectacle total“ – erst bei seinem Ballet du XXième Siècle, dann beim Béjart Ballet Lausanne.

Lange bevor Multikulti und Weltmusik zu Schlagworten wurden, erfand er sein Weltballett, beschäftigte er sich mit indischen und japanischen Tanztraditionen. Bei ihm traf das Vaudeville auf Nietzsche und den Buddhismus. Er mischte Spitzenschuh und Existenzialismus, Didgeridoos und Tango. Er integrierte in seine Stücke einfach alles, was ihn beschäftigte.
Seine Werke füllten Sportarenen,Plätze und Zirkuszelte. Maurice Béjart entließ den Tanz aus dem Elfenbeinturm und gewann ein neues, junges Publikum fürs Ballett. Mit hautengen Bodys statt Tutus, Geschmeidigkeit statt klassischen Posen und Sex statt Körperlosigkeit beeindruckte er die Teenager der sechziger und siebziger Jahre. Dem tanzenden Mann galt seine besondere Leidenschaft. Männer mit nacktem Oberkörper oder in Jeans traten aus dem Schatten der Ballerinen. Er feierte den männlichen Eros und etablierte den Männer-Pas-de-deux auf der Tanzbühne. Seine rauschhaften Kreationen waren fest im Hier und Heute verankert. Er stellte Menschen auf die Bühne, nicht Prinzen und Prinzessinnen. Trotzdem ließ er seine klassisch geschulten Tänzer manchmal sogar Passagen aus dem Petipa-Repertoire zitieren, natürlich in neuen Variationen und Zusammenhängen. Der Meister mit den magnetischen blauen Augen und der dunklen, mysteriösen Aura hat den klassischen Tanz neu definiert und ein ausschweifendes, mehr als 200 Choreografien umfassendes Werk hinterlassen.
Maurice Béjart inspirierte die Tänzer bei den Proben und vergaß sich dabei selbst in der Euphorie des Tanzes. „Wir haben uns sehr intensiv über Inhalte ausgetauscht. Ich habe ihn als ruhig, überlegt und ausgeglichen empfunden“, erzählt Christiane Theobald, die zwischen 1990 und 2004 öfter in Berlin mit ihm zusammen arbeitete. „Wir haben ihn immer mit größtem Respekt empfangen. Das Bonsaibäumchen, die Buddhastatue und die Bücher, die er mir geschenkt hat, halte ich absolut in Ehren.“
In den fünfziger Jahren feierte Maurice Béjart in der Kongresshalle und im Titaniapalast erste internationale Erfolge. Danach ist seine Verbindung zu Berlin nie abgerissen. Der Sohn eines Philosophieprofessors aus Marseille liebte Deutschland und vor allem die deutschen Philosophen. An der Deutschen Oper Berlin wurden Béjarts Choreografien gepflegt. Mit Gert Reinholm war er eng befreundet. Dem Ballettdirektor der Deutschen Oper Berlin ist es auch zu verdanken, dass Béjart seinen „Ring um den Ring“ an der Bismarckstraße schmiedete. Mit sieben Wagner- Kreationen hatte er Anlauf genommen, dann brauchte es zehn Jahre Vorbereitung für das viereinhalbstündige Mammutspektakel.
„Götz Friedrich war entflammt von der Idee des getanzten ,Rings’. Peter Sykora, der Bühnenbildner seines eigenen Rings, übernahm auch die Ausstattung für Maurice Béjart“, erinnert sich Christiane Theobald, die damals als Ballettdramaturgin am Haus arbeitete. 1990 feierte Béjarts Opus Magnum an der Deutschen Oper Berlin seine Uraufführung. Damals suchte das Opernhaus einen Nachfolger für Gert Reinholm. Maurice Béjart dachte ernsthaft darüber nach, entschied sich dann aber doch für seine künstlerische Freiheit, seine eigene Compagnie und seine Rudra- Schule. Erstrangige Tänzer und Choreografen stammen aus Béjarts Talentschmiede, so auch der neue Intendant des Staatsballetts, Nacho Duato.
Als das Staatsopern-Ballett einen neuen Leiter suchte, gab er Berlin erneut einen Korb und empfahl Michaël Dénard. Er selbst wurde leitender Gastchoreograf an der Staatsoper.Berlin verdankt ihm wichtige Werke wie „Der wunderbare Mandarin“, „Nacht“, „Verklärte Nacht“ und „Apropos Scheherazade“. Es ist kein Zufall, dass als allererste Premiere des neu gegründeten Staatsballetts Berlin 2004 der „Ring um den Ring“ gezeigt wurde. Ein Jahr davor fand das letzte Gastspiel von Maurice Béjart mit seiner Compagnie in Berlin statt. Mit „Ballet for Life“ setzte er seinem verstorbenen Lebensgefährten Jorge Donn und den vielen anderen Aids-Toten ein bewegendes Denkmal.
Nun kehrt seine Compagnie ohne ihn zurück nach Berlin. Im Tempodrom erleben wir zwei Béjart-Favoriten, die auf der ganzen Welt bejubelt werden, und eine opulente Rekonstruktion. Mit seiner Choreografie von Igor Strawinskijs „Le Sacre du Printemps“ feierte Béjart 1959 seinen Durchbruch. Das „Frühlingsopfer“ verwandelt sich bei ihm in eine Feier der Fruchtbarkeit und Sexualität. Sein genialer „Boléro“ von 1961 ist ein Tanz der Verführung. Béjart interpretiert Ravels rhythmisches Grundmuster grandios und ohne folkloristisches Brimborium als Tanz des Einzelnen auf dem Tisch, der von einer wachsenden Menge umschlossen wird. 20 Tänzer aus dem Staatsballett unterstützen Polina Semionova und das Béjart Ballet.
„Ce que l’amour me dit“ von 1974 war schon längst aus dem Repertoire des Béjart Ballets Lausanne verschwunden. Gil Roman, dessen künstlerischer Leiter, hat es vor vier Jahren mit Hilfe von Videos, eigenen und fremden Erinnerungen rekonstruiert. Das Stück zeigt zur Musik von Gustav Mahler einen jungen Mann auf der Suche nach seiner Identität.
Gil Roman pflegt das große Erbe mit viel Respekt, aber auch pragmatisch. Er nimmt durchaus kleine Änderungen an den Choreografien vor, wenn ein neuer Tänzer bei einer Bewegung nicht gut aussieht oder wenn ihm das Tempo nicht mehr zeitgemäß erscheint. Béjart hat das genauso gehalten. 1979 kam Roman als 19- Jähriger zu Béjarts Ballet du XXième Siècle. In den neunziger Jahren avancierte er zum prominentesten Tänzer der Compagnie und zu Béjarts Bühnen- Alter-Ego. Dabei war ihr Verhältnis nicht immer ungetrübt. Drei Mal warf ihn der Meister hinaus – und holte ihn wieder zurück. Roman wurde Co-Direktor und später von Béjart ausdrücklich zum Nachfolger bestimmt. Die Truppe gibt rund 150 Gastspiele im Jahr auf der ganzen Welt. Auch Gil Roman ist in Berlin kein Unbekannter. Viele werden sich an ihn als eindrucksvollen Loge im „Ring um den Ring“ erinnern.
Die Tänzer des Staatsballetts, die nicht selbst im „Boléro“ tanzen, freuen sich auf einen Probenbesuch beim Béjart Ballet. „Es gab immer so ein Béjart-Grundrauschen in Berlin. Das Staatsballett hat ihm viel zu verdanken“, meint Christiane Theobald. „Alle hier fiebern dem Gastspiel aus Lausanne entgegen.“
Aus dem Opernjournal Oktober der Berliner Morgenpost