Meistersinger von morgen - Deutsche Oper Berlin
Meistersinger von morgen
In der Tischlerei präsentiert NEUE SZENEN drei Uraufführungen zeitgenössischer Kammeropern. Eine Begegnung mit vier aufstrebenden Sängerinnen und Sängern, die erstmals bei uns zu erleben sind
»Wann erlebt man schon neue Geschichten auf der Bühne? Vor allem: auf der Opernbühne?«, fragt Lilian von der Nahmer. Kommilitone Ravi Sund Rojo fügt hinzu: »Und wie oft hat man in der Oper die Chance, eine Rolle zu singen, die eigens für einen geschrieben wurde? Von einer lebenden Komponistin oder einem Komponisten?« Von der Nahmer und Rojo sind beide 24 Jahre alt, beide studieren Gesang. Und die Antwort auf beide Fragen lautet: selten. Genau deswegen finden sie gerade spannend, Teil der diesjährigen NEUEN SZENEN zu sein, einem Wettbewerb, bei dem neues Musiktheater entsteht. Aufregend, experimentell, oft radikal persönlich, immer vom Puls der Zeit durchdrungen. »Es geht darum, dass die Oper eine lebendige Kunstform bleibt«, sagt von der Nahmer.
NEUE SZENEN ist ein Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Oper Berlin und der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Junge Komponistinnen und Komponisten können sich im Duo mit Librettisten bewerben. Jeweils drei Teams werden ausgewählt, die dann gemeinsam eine circa halbstündige Kammeroper entwickeln und sie mit angehenden Sängerinnen und Sängern aus dem Studienbereich Gesang besetzen. Zur Uraufführung kommen die drei Werke als Triptychon an einem Abend in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Der diesjährige Wettbewerb findet zum siebten Mal statt, hier haben schon so unterschiedliche Kreative wie die Komponistin Sara Glojnarić oder der Regisseur Michael Höppner Witterung aufgenommen.
Lilian von der Nahmer und Ravi Sund Rojo bilden zusammen mit Elizabeth Kim und Yutong Wei das Ensemble des Stücks »What Joy«, komponiert von der US-Amerikanerin Zara Ali. Das Engagement der Vier war kein Selbstläufer, sie mussten klassisch vorsingen, sogar ein Video aufnehmen, wo sie ihre stimmliche Bandbreite präsentieren, »von Belcanto-Arien bis zu Hollywood-Elegien von Hanns Eisler«, erzählt Yutong Wei. Zwölf Sängerinnen und Sänger haben sich beworben, aus den Reels wählten Zara Ali, der Isländer Haukur þór Harðarson und die Chinesin Huihui Cheng – so die Namen der beiden anderen Komponisten – den Wunsch-Cast für ihre Kompositionen aus.
Das erste Treffen zwischen Zara Ali und den vier Sängerinnen und Sängern fand im Frühjahr 2024 statt. »Zara Ali nahm da schon unsere Stimmen auf, um sie als elektronische Samples in ihrer Komposition zu verwenden«, erzählt Kim, »außerdem haben wir natürlich über Idee und Konzeption des Stücks gesprochen«. Alis Teampartnerin, die Autorin Hannah Dübgen, entwirft in »What Joy« ein englischsprachiges Libretto, inspiriert von der Dystopie »The Age of Em – Work, Love and Life when Robots Rule the Earth« des Wirtschaftswissenschaftlers Robin Hanson. Regie führt der Russe Sergei Morozow, ebenfalls Student an der Hanns Eisler. Es soll auf der Bühne um Hybridwesen mit digital manipulierten Gehirnen gehen (sogenannte »emulated minds«), deren Wahrnehmung der Welt nur noch über ihren Geschmackssinn funktioniert. Für die Schönheit von Musik etwa fehlen ihnen die Rezeptoren. Diese E.M.s, nach ihren Essensvorlieben »Orange«, »Saffron« und »Langouistine« genannt, treffen auf den menschlichen Dirigenten eines Barock-Ensembles – »und sie versuchen, ihn ebenfalls zu verwandeln«, erzählt Yutong Wei, der die Figur verkörpert.

Zara Alis Musik beschreiben alle Vier als »überraschend tonal und zugleich hochkomplex«. »Es sind sehr viele Töne in kurzer Zeit zu singen, und zwar auswendig«, sagt von der Nahmer, »eine echte Challenge.« So soll es sein. »Jede Produktion, die wir während des Studiums machen dürfen, ist eine Standortbestimmung«, ergänzt Rojo: »Wo liegen meine Grenzen? Wo sollte ich mich weiterentwickeln?«. Der Vorteil der NEUEN SZENEN sei zudem, »dass wir uns als Sänger in einer vollwertig inszenierten Kurzoper an einem großen Haus zeigen können. Aber trotzdem Fehler machen dürfen. Wir können mit dem Prozess wachsen und müssen nicht perfekt sein.« Elizabeth Kim stimmt zu: »Es ist noch nicht die big stage – aber schon benachbart«, sagt sie und lacht: »Gleich neben der ganz großen Bühne«.