Michael Volle – Mein Seelenort: Das Dachtheater des Teatro del Maggio Musicale, Florenz - Deutsche Oper Berlin
Michael Volle – Mein Seelenort: Das Dachtheater des Teatro del Maggio Musicale, Florenz
Bariton Michael Volle denkt in Florenz über Wagner und Verdi nach – und vermisst doch seine Terrasse, zuhause in Kleinmachnow
Aktuell ist mein Seelenort das Dach des Teatro del Maggio Musicale, wo ich für die Oper Florenz Verdis FALSTAFF probe. Von hier sieht man in der Ferne die Brunelleschi-Kuppel aufragen, das Dach des Baptisteriums San Giovanni, den Turm des Palazzo Vecchio, der das Stadtbild dominiert. Gebäude von unfassbarer Größe und Erhabenheit, anziehend wie Magnete.
Im Zentrum dieser Metropole betrete ich eine eigene Welt, werde in eine andere Zeit versetzt. Die Gegenwart mit ihren Billigsouvenirläden, Handyshops und den Massen von Menschen, von denen ich ja selbst ein Teil bin, blende ich aus, während ich mir den Weg durch die engen Häuserschluchten mit ihren holprigen Straßenbelägen bahne, bis zur Piazza della Republica. Ich kann es jedes Mal kaum erwarten, dort zu sitzen und einfach nur zu schauen. Stumm und staunend.
Natürlich ist mir die Stadt schon deswegen nahe, weil sie als Wiege der Oper gilt. Die Komponisten, die in meinem Berufsleben die größte Rolle spielen, stammen wie Verdi aus Italien. Oder sie hatten – wie Wagner, der ja in Venedig gestorben ist – eine ausgeprägte Affinität zu diesem Land. Viele begreifen Verdi und Wagner als Gegensätze: Hier das leichte Italienische, dem schönen Gesang verpflichtet, dort die deutsche Gemütsschwere. Ich denke nicht in solchen Kategorien. Ohne Quellen zu kennen: Ich bin überzeugt, dass beide das Werk des anderen kannten und bewunderten. Natürlich steht das Wort bei Verdi – FALSTAFF einmal ausgenommen – nicht so im Vordergrund wie bei Wagner. Aber bei beiden ist wunderschöner Gesang vonnöten, um ihren Werken gerecht zu werden.
Es gibt unzählige ergreifende Phrasen in Wagners Werk, auch im FLIEGENDEN HOLLÄNDER, mit dem ich nun an der Deutschen Oper Berlin gastiere. Etwa eine Stelle im langen und schwierigen Auftrittsmonolog meiner Figur, des Holländers – dieser Bittgesang im Pianissimo »Dich frage ich, gepriesner Engel Gottes«, der mich an »Der Augen leuchtendes Paar« erinnert, Wotans Abschied in der WALKÜRE – und der ein Höchstmaß an positiver Energie verlangt. Die größte Herausforderung ist für mich aber das fast fünfzehnminütige Duett mit Senta im zweiten Akt, das sich immer mehr in die Höhe schraubt. Dafür braucht es technisch eine gewisse Reife. Und man muss durchziehen – mit aller Schönheit, die sich an Gesang aufbieten lässt. Nein, Wagner ist nichts für Anfänger. Und man sollte ihn auch nicht ausschließlich singen. Das kann ich mit der Erfahrung von 33 Berufsjahren sagen.

Erfahrung, die mir vieles erleichtert. Auch wenn ich mich an manches wohl nie gewöhnen werde: So sehr ich Florenz, Mailand oder New York liebe, so sehr leide ich darunter, dass dort die Nächte nie ruhig sind. Ganz anders als bei mir zuhause in Kleinmachnow bei Berlin, wo sich mein eigentlicher, dauerhafter Seelenort befindet: meine Terrasse. Ein Ort, der mich von dem Trubel heilt, mit dem ich tagein, tagaus zu tun habe. Andere gehen an freien Abenden in eine laute Kneipe – für mich undenkbar. Am liebsten sitze ich hier mit meiner Frau und unseren beiden Kindern, manchmal auch der Katze. Der Blick schweift über eine große Grünfläche, Obststräucher und Beete, dahinter erheben sich gewaltige Nadelbäume, die sich bei stärkerem Wind wie wild bewegen. Das hat etwas Erhabenes, manchmal auch Furchteinflößendes, und ist wahnsinnig erfüllend.
Deswegen ist diese Terrasse mein eigentlicher Seelenort, ja mein Sehnsuchtsort. Zu Beginn des Jahres war ich für FALSTAFF ein paar Monate an der Met in New York und es war verabredet, dass die Familie nachkommt, weil ich es getrennt von ihr nicht so lange aushalte. Aber dann ist meine Frau, die Sängerin Gabriela Scherer, als Arabella an der Deutschen Oper Berlin eingesprungen, sodass wir uns wochenlang nur über FaceTime sehen konnten. Auf dem kleinen Bildschirm in unseren Garten zu blicken, das hat mich manchmal schier verrückt werden lassen vor Sehnsucht, jetzt auch dort zu sein und am Abend, im Licht einer Feuerschale oder nur des Mondes, die Beine auszustrecken.
Sicher, hin und wieder verreise ich auch gern. Meine Schwester und ihr italienischer Mann haben eine alte Mühle bei Florenz, wo ich sie gelegentlich besuche. Aber ganz gleich, ob ich beruflich oder privat unterwegs bin – ich freue mich immer darauf, nach Hause zu kommen, an meinem Seelenort einen Kaffee oder ein Glas Wein zu genießen und der Natur zuzuhören.