Was mich bewegt

Nachdenken über Wagner

Richard Wagner inszenierte sich als einsames Supergenie, als größten Komponisten aller Zeiten. So sollte er in die Geschichte eingehen. Der Dirigent Ulf Schirmer über den Menschen hinter dem Mythos

Über die enge Freundschaft zwischen Richard Wagner und Friedrich Nietzsche ist eine schöne Anekdote überliefert: Bei einem seiner vielen Besuche der Wagnerschen Villa in Tribschen am Vierwaldstättersee möchte Nietzsche die Wagners überraschen. Er nähert sich dem Anwesen, hört durch ein Fenster, dass der Meister am Klavier sitzt. Nietzsche wird zwei Stunden lang vor dem Fenster verharren und heimlich zuhören. Wagner spielt immer wieder dieselben vier Takte, sie werden später in seinen SIEGFRIED einfließen.

Diese schöne Szene zeigt, wie sehr sich Wagner mit der suggestiven Kraft seiner Musik beschäftigte, wie er die Sogwirkung der mantrahaften Wiederholung erforschte. Auch ich werde hineingezogen, wenn ich Wagner dirigiere. Jeder Musiker kennt das: Im Moment des Musizierens muss man auch gedankenlos sein, sich in der Tiefe der Musik finden. Sobald man versucht, ein Werk rein kognitiv zu spielen, wird es hölzern, unglaubwürdig; gerade Wagner verträgt so eine Herangehensweise nicht.

Leichtigkeit, Auflösung, Öffnung, das sind Bewusstseinszustände, die ich auch durch Wagner erlernt habe. Die Stimmung ist meditativ, die Zeit fließt dahin, Markierungen sind ausgehebelt. Stattdessen spüre ich Entfernungen, die Richtung, in die die Musik harmonisch strebt. Wagner wusste um diese Wirkung genauestens Bescheid. Ich stelle mir vor, wie er mit Nietzsche über diese Aspekte der Wahrnehmung diskutierte.

Der Öffentlichkeit präsentierte der Komponist ein anderes Bild. Hier neigte Wagner zur Selbstverrätselung. Wie kaum ein anderer inszenierte er sich als spätromantisches Supergenie, von den Sternen auf die Welt gefallen. Nietzsche hatte ein eigenes Zimmer in der Wagnerschen Villa, aber nicht einmal er durfte dem Schaffensprozess des Großmeisters beiwohnen.

Es steckt viel Genuss darin, diese Selbstmythologisierung zu entzaubern. In meiner Zeit als Generalmusikdirektor und Intendant an der Oper Leipzig haben wir alle 13 Bühnenwerke in der Reihenfolge ihrer Entstehung aufgeführt – etwas, das Wagner Zeit seines Lebens stets verhinderte. Bei uns in Leipzig kam so der Mensch hinter dem Werk zum Vorschein: Gerade im Frühwerk erkennt man einen jungen, ausgezeichnet ausgebildeten Komponisten; er huldigt seinen musikalischen Vorbildern, probiert Stile aus, entwickelt sich von Oper zu Oper weiter, geradezu eruptiv.

Ulf Schirmer
 

Das einzige Werk, das ich niemals dirigiert habe, ist RIENZI, Hitlers Lieblingsoper. Am Anfang meiner Karriere, ich war Pianist an der Wiener Staatsoper, sollte ich eine Kurzversion davon erarbeiten. Als ich versuchte, in die Musik einzutauchen, spürte ich sofort eine starke und eindeutige Sperre, die bis heute anhält. Auch DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG haben keine einfache Rezeptionsgeschichte. Aber hier begebe ich mich gerne in den Fluss, die Auflösung, die Identifikation – und habe dennoch immer das Gesamtwerk, die großen Proportionen im Blick. Das ist das Besondere an Wagner, er lehrt uns, die Balance zwischen Eintauchen und Zurücktreten zu wahren. In diesen meditativen Zustand platzt dann die Schlussansprache hinein, in der Hans Sachs vor der Überfremdung deutscher Kunst warnt und es ins Völkisch-Nationale kippt.

Zu dieser Passage muss man eine Haltung entwickeln. Während des Dirigats spüre ich, hier stimmt etwas nicht, als würde jemand aus einem Film heraustreten. Die Musik findet vor dieser Stelle schon zu einem natürlichen Ende, atmet aus. Was jetzt noch kommt, wirkt aufgesetzt, beinahe wie nachträglich montiert.

Nach der intensiven Zeit in Leipzig habe ich mir ein Sabbatical genommen. Ein Jahr lang habe ich mich nicht mit Musik beschäftigt, habe mir bis auf eine Ausnahme keine Aufführung angeschaut. Als die Deutsche Oper Berlin mich für DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG anfragte, habe ich keine Sekunde gezögert. Nächstes Jahr ist es 40 Jahre her, seit ich zum ersten Mal mit diesem großartigen Orchester und seinem schweren, warmen Klang zusammengearbeitet habe. Der Dirigent Erich Leinsdorf sagte einmal sinngemäß: »Während des Musizierens verändern sich beide, Dirigent und Orchester, wie in einem menschlichen Dialog.« Auf diesen Austausch mit dem Klangkörper der Deutschen Oper Berlin freue ich mich schon sehr.

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02
DEZ

Advents-Verlosung: Das 2. Fensterchen

Im heutigen Adventskalender-Fensterchen verlosen wir 3 mal eine DVD von „Der Schatzgräber“ – eine Oper in einem Vorspiel, vier Akten und einem Nachspiel von Franz Schreker. Wenn Sie eine der drei DVDs gewinnen möchten, schreiben Sie bitte heute eine E-Mail mit dem Betreff „Das 2. Fensterchen“ an advent@deutscheoperberlin.de.

Schon die Uraufführung von Franz Schrekers DER SCHATZGRÄBER im Jahr 1920 in Frankfurt geriet zum Sensationserfolg, und es folgten allein in den nächsten fünf Jahren nicht weniger als 44 Inszenierungen an verschiedenen Häusern. Doch dann wurde es still um das beliebte Werk. Schrekers Opern schienen nicht mehr dem Zeitgeist zu entsprechen, mit dem Aufführungsverbot der Nationalsozialisten verschwanden die Partituren endgültig in den Schubladen. Und auch nach 1945 dauerte es lange, bis eine Schreker-Renaissance einsetzte. DER SCHATZGRÄBER jedoch hat es bis heute schwer.

Wie fast alle Libretti Schrekers stellt auch die Geschichte um Els und Elis die Frage nach dem Verhältnis von Fantasie und Realität, von Kunst und Leben: Seelenverwandt als einsame „Kinder von Traumkönigs Gnaden“ jagen Els und Elis unterschiedlichen Schätzen nach. Elis, der fahrende Sänger, spürt mit seiner Kunst in Gestalt einer magischen Laute Gold und Edelsteine auf, um die Menschheit zu beschenken. Die Kneipentochter Els hingegen, mutterlos aufgewachsen in einer brutalen Männerwelt, wird für ihr Ziel zur Lügnerin, Diebin und Mörderin: Sie schickt ihre Freier aus, um den Schmuck der Königin zu stehlen. Die ungeliebten Männer lässt sie sodann nach erfolgreicher Übergabe des Diebesguts skrupellos ermorden. Doch selbst der Besitz allen Goldgeschmeides stillt beider Verlangen nicht. Und so geht es auch in dieser Schreker-Oper einmal mehr um das Sehnen selbst, das der Komponist als den eigentlichen „Schatz“ bezeichnet: „einen Traum von Glück und Erlösung“. Elis und Els verlieren sich in diesen Träumen, Erinnerungen und Ahnungen, in Liedern, in Musik. Ihre Geschichten geraten zum Traumspiel in einer Welt voller Gier, Mord und emotionaler Haltlosigkeit. Für Franz Schreker konnte nur die Kunst selbst die Erlösung bieten. In den Kriegswirren ab 1914 komponiert, ist die Partitur des SCHATZGRÄBER so auch Schrekers persönliches künstlerisches Credo in prächtigen spätromantischen Farben.

Musikalische Leitung Marc Albrecht; Inszenierung Christof Loy; Bühne Johannes Leiacker; Kostüme Barbara Drosihn; Mit Tuomas Pursio, Doke Pauwels, Clemens Bieber, Michael Adams, Joel Allison, Michael Laurenz, Thomas Johannes Mayer, Seth Carico, Daniel Johansson, Gideon Poppe, Stephen Bronk, Elisabet Strid, Patrick Cook, Tyler Zimmerman u. a.; Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin



Einsendeschluss: 2. Dezember 2023. Die Gewinner*innen werden am 4. Dezember 2023 per E-Mail informiert. Die DVDs gehen anschließend auf dem Postweg zu. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.