6. Januar 1935 – 10. März

Im Gedenken an Winfried Bauernfeind

Ein Nachruf von Curt A. Roesler

Als Winfried Bauernfeind am 31. Dezember 2000 in den sogenannten Ruhestand trat, hatte er über 40 Jahre an der Deutschen Oper Berlin gearbeitet. Als Regie-Volontär von Carl Ebert in die Städtische Oper aufgenommen, begann er mit dem Umzug in die Bismarckstraße als Spielleiter, wurde 1972 Erster Spielleiter, 1997 Oberspielleiter. Aber natürlich bedeutet dieser „Ruhestand“ für einen Regisseur erst einmal das Gegenteil: Von allen organisatorischen Aufgaben befreit, konnte er sich nun ganz auf die Regie konzentrieren. Vor allem in Fernost nahm er noch ein paarmal auf dem Regiestuhl Platz, was nur symbolisch zu verstehen ist, denn er sprang immer sofort auf die Bühne, mischte sich unter die Sänger, um jedem einzelnen direkt zur Seite zu stehen bei der Ausgestaltung seiner Partie. In Fernost, besonders an der Japan Metropolitan Opera, inszenierte er Werke wie DER FLIEGENDE HOLLÄNDER und HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN – bis er eines Tages und nach über hundert Inszenierungen beschloss, sich nun den ganzen Stress nicht mehr aufzuladen und stattdessen das Leben mit seinem Ehemann zu genießen. So lernte man bei seinen Besuchen der Deutschen Oper Berlin als Zuschauer auch einen ganz anderen, viel entspannteren Winfried Bauernfeind kennen. Bis ihn nach einigen Jahren die Last des Alters niederdrückte und er sich ganz von der Welt zurückziehen musste.

Winfried Bauernfeind galt als Spezialist für die Spieloper und die Operette. Das hatte er sich nicht ausgesucht, sondern war die Folge einiger sehr erfolgreicher Produktionen, darunter DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR, ZAR UND ZIMMERMANN und MARTHA. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass er ebenso als Spezialist für Uraufführungen oder als Spezialist für Oper und Musiktheater an besonderen Orten gelten könnte.

Mit einer Koproduktion der Akademie der Künste und der Deutschen Oper Berlin ging es 1965 los: Der rumänisch-französische Komponist Marcel Mihalovici hatte einen Text von Samuel Beckett in Musik gesetzt. Kurz nach der Uraufführung in Paris kam KRAPP ODER DAS LETZTE BAND in der Akademie der Künste im Hanseatenweg mit William Dooley als Krapp heraus, und zwar als Ergänzung zur Uraufführung DER TRAUM DES LIU-TUNG von Isang Yun. Nach weiteren Produktionen in der Akademie der Künste, der Werkstatt des Schiller-Theaters und in der Osram-Fabrik inszenierte Winfried Bauernfeind 1969 zum ersten Mal im großen Haus der Deutschen Oper Berlin. Die selten gespielte Oper DIE AUSFLÜGE DES HERRN BROUČEK von Leoš Janáček führte leider noch nicht zu einer Renaissance des tschechischen Komponisten. Ein gutes Jahr später folgte aber der „Long-Runner“: DER BARBIER VON SEVILLA, für West-Berliner durchaus als Konkurrenz zu der Ruth-Berghaus-Inszenierung von 1968 an der Staatsoper zu verstehen. Bis in die neunziger Jahre wurde diese Inszenierung gespielt, in der Sopran-Fassung und in deutscher Sprache.

Einen Schatz hat Winfried Bauernfeind 1974 gehoben: die Ballett-Oper PREUSSISCHES MÄRCHEN von Boris Blacher, vom SFB für das Fernsehen aufgezeichnet und heute als DVD verfügbar. Berliner Komponisten wie Blacher und die Mitglieder der Gruppe Neue Musik Berlin ebenso wie Berlin als Thema im Musiktheater blieb eine Konstante im künftigen Schaffen des Regisseurs: 1987 brachte er – wiederum in der Akademie der Künste als Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin – die verloren geglaubte Oper aus den 20er Jahren HABEMEAJAJA zur Uraufführung, zusammen mit der experimentellen ABSTRAKTEN OPER NR. 1.

FETTKLÖSSCHEN nach Guy de Maupassant von Karl Heinz Wahren, uraufgeführt 1976 in der Akademie der Künste, war die erste Zusammenarbeit mit dem vor einem Jahr verstorbenen Martin Rupprecht, der fortan sein Bühnen- und Kostümbildner blieb.

Der spektakulärste Erfolg war eine „Mitmachoper“, die durch das Foyer in die Katakomben und bis in den Innenhof der Deutschen Oper Berlin führte: DER UNTERGANG DER TITANIC von Wilhelm Dieter Siebert traf ein halbes Jahr nach der Kernschmelze in Harrisburg und kurz vor der Gründung der „Grünen“ als Partei offenbar den Nerv der Zeit. Wenn man auch den ganzen Abend die Folgen menschlicher Hybris vorgeführt bekam, überwog am Ende das Gefühl, noch einmal davon gekommen zu sein. Als Besucher der Deutschen Oper Berlin hatte man natürlich einen Platz auf dem Rettungsboot sicher.

 

Winfried Bauernfeind © Kranichphoto
 
 

Die Kammeroper EIN SOMMERNACHTSTRAUM von Benjamin Britten verlegte Winfried Bauernfeind kurzerhand in eine Diskothek – eine mit Theatergeschichte. Das „Metropol“ war ursprünglich ein Operettentheater, das „Theater am Nollendorfplatz“. Jetzt natürlich jeglicher vertrauten Bühnentechnik beraubt, musste es 1984 neu eingerichtet werden: Das RIAS-Jugendorchester spielte auf der ehemaligen Bühne, die Inszenierung fand im Parkett inmitten der Zuschauer statt.

Winfried Bauernfeinds Theaterlaune war ansteckend, auch die Störrischen konnte er in Bewegung bringen. Und mit seiner großen Erfahrung mit dem Haus und der Stadt wurde er zu einer wichtigen Stütze für Götz Friedrich, der 1981 nach Egon Seefehlner und Siegfried Palm sein dritter Generalintendant wurde. Ohne Winfried Bauernfeinds Fürsprache wäre vielleicht weder DIE TOTE STADT noch DIE HUGENOTTEN zustande gekommen. Er glaubte an diese Werke, und auch wenn er sie selber nicht inszenieren sollte, hatte er Anteil am Zustandekommen dieser Premieren. Umgekehrt wäre ohne das Vorbild des DON QUICHOTTE von Götz Friedrich an der Komischen Oper und vieler dramaturgischer Gespräche mit ihm die Idee, DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR 1849 in einem Berliner Privattheater spielen zu lassen, nicht so konsequent verfolgt worden.

Für „Berlin, die Stadt ohne Polizeistunde“ (das galt zumindest für das alte West-Berlin) ersann Winfried Bauernfeind die „Midnight-Medleys“, die regelmäßig nach der Vorstellung im großen Haus das Foyer belebten. Die Logenschließer bekamen ein Extrahonorar, wenn sie die letzte U-Bahn verfehlten, auch dafür setzte sich Winfried Bauernfeind ein. Spätestens seit der STERNSTUNDE III, dem musikalischen Spektakel am Großen Stern zur 750-Jahr-Feier mit Helikopterquartett und vielen musikalischen Berlinalia hatte er den Ruf, ein zuverlässiger Organisator musikalischer Veranstaltungen auch im Freien zu sein. Mit Martin Rupprecht begründete er 1988 die Wannsee-Spektakel, 1990 stellte er die große Wiedervereinigungsfeier vor dem Reichstag auf die Beine und beim Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt inszenierte er 1996 den FREISCHÜTZ. Von Harald Serafin wurde er eingeladen, bei den Seefestspielen in Mörbisch Regie zu führen.

Winfried Bauernfeind war Träger des Verdienstkreuzes am Bande der Bundesrepublik Deutschland und des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich.

Das Ensemble der Deutschen Oper Berlin erinnert sich dankbar an die lange Zeit mit Winfried Bauernfeind, die nun schon eine Weile zurückliegt und dennoch so nah ist, weil sie die unglaubliche Kreativität dieser Stadt schon vertrat, als es noch deutlich weniger Clubs und Freie Gruppen gab als heute. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Jetzt sind unsere Gedanken bei seinem Ehemann Peter und den Angehörigen.

 

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