Rebecca Saunders … Mein Seelenort: Drei Zimmer in Prenzlauer Berg - Deutsche Oper Berlin
Rebecca Saunders … Mein Seelenort: Drei Zimmer in Prenzlauer Berg
Hier komponierte sie LASH: Rebecca Saunders über ihre Berliner Musikzimmer. Orte des Denkens, Hörens und Fühlens
Meine Seelenorte sind meine Musikzimmer in meiner Berliner Wohnung. Es sind drei Räume, die für mein Arbeiten, Hören, Denken und manchmal auch für mein Nichtstun essenziell sind. Ich verbringe viel Zeit in ihnen, vor allem wenn ich tief in einer Komposition versunken bin. Da ist zunächst das Eckzimmer mit dem Erker, ein weiter, lichtdurchfluteter Raum. Obwohl ich im ersten Stock wohne, fühlt es sich fast an, als säße ich oben über der Stadt. Ich sehe Himmel, Vögel, das wechselnde Licht der Sonne. Im Frühling fällt es weißlich und tief in den Raum, im Herbst golden. Es ist ein offener Raum mit Holzfußboden, Stoffstühlen, einem großen Sofa – und er klingt warm, ideal, um mit Musikern zu arbeiten. Hier habe ich mich mit den vier Sängerinnen getroffen, für die ich LASH geschrieben habe, hier haben wir ihre Stimmen erkundet.
Mit Anna Prohaska arbeitete ich an Verzierungen, mit Sarah Maria Sun an atemreichen, fast zerbrechlichen Klängen, mit Noa Frenkel an dieser Tiefe, diesem dunklen Zentrum, und mit Katja Kolm an der bassartigen Präsenz. Wir haben in meinem Eckzimmer gesessen und ich habe zugehört. Ich habe für jede Sängerin eine Klangpalette auf großen karierten Papierbögen festgehalten: Stimmumfang, Artikulationsmöglichkeiten, besondere Techniken, Resonanzen. So habe ich komponiert, mit den Klängen ihrer Stimmen im Ohr.
Der zweite Raum liegt direkt nebenan: mein weißes Arbeitszimmer. Es ist streng, leer, konzentriert. Weiße Wände, weiß lackierter Holzfußboden, ein Schreibtisch vor dem Fenster. Der Raum ist überakustisch, selbst die Stille ist hier nicht leer, jeder Bleistiftstrich klingt. Es gibt kein Geräusch, das nicht Gewicht hätte. Mir gefällt das, in dieser gesättigten Stille beginne ich zu denken, zu hören, zu schreiben. Hier entstehen Klangverläufe, strukturelle Bögen, Zeitverhältnisse. Ich schreibe mit der Hand. Große Blätter, Lineal, Papier, Radiergummi, Bleistift, mehr brauche ich nicht.

An der Wand steht mein Korg BX-3, ein alter analoger Doppeltastatur-Synthesizer aus den 1970er-Jahren, den ich 1999 gekauft habe. Mich fasziniert seine Flexibilität: Ich kann beide Tastaturen gegeneinander verstimmen, auch minimal, nur um ein paar Cent oder einen Viertelton, und es entstehen schwebende Klänge, Differenztöne, akustische Irritationen. Ich kann Akkorde halten, während ich mit den Drawbars, den Zugriegeln für die Klangfarben, den Sound nach und nach verändere, verschiebe, aufreiße. Alles ist analog, der Korg lebt, er atmet, verändert seinen Klang, manchmal sogar mit der Dauer, in der er eingeschaltet ist. Der Korg spielt in LASH eine zentrale Rolle, gemeinsam mit einer E-Gitarre und einem zweiten Korg bildet er ein klangliches Trio. Ich wollte neben dem Orchester eine elektronisch anmutende Klangwelt schaffen, die physisch, live, performativ ist.
Ich umgebe mich gern mit Instrumenten. Auch wenn ich die meisten davon nicht virtuos spiele, fühle ich mich wohl, wenn sie mit mir im Raum sind. Neben dem Korg stehen eine E-Gitarre mit Verstärker, ein Akkordeon, eine Geige, eine Posaune, eine riesige Blockflöte, eine große Mundharmonika. In der Ecke habe ich ein kleines Schlagzeug und ein paar ungewöhnliche Klangobjekte, Alurohre mit einem Meter Länge. Ich probiere Klänge aus, erinnere mich an körperliche Abläufe, versetze mich in die Spielweise.
Und dann ist da noch der dritte Raum, ein zweites Wohnzimmer, dort steht mein alter schwarzer Blüthner-Flügel, ein ähnliches Modell hatten wir früher in meinem Elternhaus in England. Meine Eltern waren Pianisten, meine Mutter spielte den Blüthner, mein Vater einen Bechstein – und zwar ständig, ich bin mit dem Klang des Klaviers abends eingeschlafen und morgens aufgewacht. Es war ein Klang, der mich nie störte, im Gegenteil: Ich erinnere mich noch, wie ich mich als Kind manchmal unter das Klavier setzte und mich von den Resonanzen durchströmen ließ.
Heute spiele ich nicht mehr so oft, aber immer noch gern – Bach, Couperin, Frescobaldi. Langsame Sätze. Ich bin ausgebildete Geigerin, Klavier spiele ich nur für mich. Der Klang des Flügels ist weich, warm, ein Kontrapunkt zur Stille des weißen Zimmers und zum flirrenden Schimmern des Korgs. Und so bilden die drei Räume, jeder mit seinem eigenen akustischen Charakter, zusammen den Ort, an dem ich arbeiten, an dem ich Musik denken und hören kann.