Das Private ist musikalisch - Deutsche Oper Berlin

Das Private ist musikalisch

Mit INTERMEZZO holte Strauss erstmals die Niederungen der bürgerlichen Ehe auf die Opernbühne. Der Philosoph Robert Pfaller nimmt dies zum Anlass, um über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit in der Kunst nachzudenken

Darf ein Künstler sein Privatleben zu seinem Material machen und daraus schöpfen? Und soll dem Privaten eine derartige Bühne in der Öffentlichkeit eingeräumt werden? – Die entscheidende Frage, die man an ein Element eines künstlerischen Werks stellen muss, lautet freilich nicht, wo es herkommt. Sie lautet vielmehr, was es darin verloren hat. Gelingt es der Form, sich diesen Stoff derart zu eigen zu machen, dass man glauben könnte, sie selbst hätte ihn hervorgebracht? Oder bleibt er ein notdürftig verhüllter Fremdkörper, der ständig zu seiner Entschuldigung zu stammeln scheint, dass er gegen seinen Willen und nur wegen seiner Prominenz hierhin verschleppt wurde? Mit anderen Worten: Bekommt dieser Stoff in dieser Darstellung also die Eignung für eine »bürgerliche Komödie« oder bleibt sein Reiz lediglich beschränkt auf das Indiskrete, Voyeuristische?

In seiner 1977 veröffentlichten Studie »Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität« hat der Soziologe Richard Sennett ein Prinzip beschrieben, das für abendländische Gesellschaften seit der Renaissance Geltung besaß: die Trennung zwischen der privaten Person und der öffentlichen Rolle. In der Öffentlichkeit hatte man das Private hinter sich zu lassen. Denn: »Unzivilisiert ist es, andere mit dem eigenen Selbst zu belasten.«

Durch die so gewonnene Leichtigkeit wurde es möglich, andere nicht mit den eigenen Befindlichkeiten zu nerven und das Trennende, Belanglose nicht über das Verbindende, Wichtige zu stellen. Dies brachte einen doppelten Gewinn: einerseits einen ethischen – den Menschen ging es schlagartig besser, wenn sie, anstatt sich von ihren Launen beuteln zu lassen, ihrem Auftreten ein wenig Form gaben; und andererseits einen politischen – denn es wurde dadurch möglich, sich mit anderen, so verschieden sie auch sein mochten, in einen Austausch von Argumenten zu begeben und dabei das gemeinsame Interesse an einem vernünftigen Ziel zu erkennen. Wie Sennett zeigt, verlangte das Einnehmen der öffentlichen Rolle eine theatralische Anstrengung. Im öffentlichen Leben wurden Menschen regelrecht zu Schauspielern ihrer selbst.

Dieser Befund lässt die Eignung des Privaten für die Bühne zunächst gering erscheinen. Was Richard Strauss aber mit feinem Gespür entdeckt hat: Auch im privaten Leben gibt es Koryphäen, die selbst aus dem geringsten Anlass eine große Szene zu machen imstande sind. Und der Verlauf ehelicher Dialoge samt ihrer Nebendarsteller besitzt oft durchaus komödiantische Qualitäten. Was für die Beteiligten unerwartete und schmerzvolle individuelle Erfahrungen sein mögen, sind unter Bühnengesichtspunkten die heiteren Stereotypen einer Theatralik des Privatlebens. Zumindest lassen sie sich unter Zuhilfenahme von etwas Abstraktion und künstlerischer Übertreibung dazu gestalten. Diese Transformation selbst des noch so Persönlichen in etwas Unpersönliches, Allgemeines ist die Wirkung poetischer Arbeit. Sie verwandelt, wie Sigmund Freud am Beispiel von Tagträumen bemerkt hat, das Unlustvolle, Peinliche und Uninteressante, das der Mitteilung solcher Intimitäten üblicherweise anhaftet, in etwas Reiz- und Lustvolles.

Damit erledigt sich auch das ethische Problem – die Frage, ob man Intimes zu Kunst verarbeiten darf oder aber diskret bleiben muss. Das hängt vom Gelingen der Form ab. Die ästhetische Form vermag, wie man bei Strauss gut sehen kann, alles aufzuheben; auch das noch so Authentische. Dank ihr kann man sogar mit der Wahrheit lügen. Die Kunst lässt dann selbst das Wahre als Produkt künstlerischer Phantasie erscheinen. Das Bonmot des Giordano Bruno, »se non è vero, è molto ben trovato«, kann hier, mit einer kleinen Modifikation, als Regel gelten: Sogar wenn es wahr ist, erscheint es gut erfunden.

 

Robert Pfaller ist Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Bekannt wurde Pfaller mit dem Buch »Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie« als leidenschaftlicher Kritiker einer Kultur der Genussfeindlichkeit. 2020 erhielt er den Paul-Watzlawick-Ehrenring, verliehen von der Ärztekammer Wien

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