Wer dirigiert hier wen?

Mit NIXON IN CHINA brachte John Adams Weltpolitik auf die Opernbühne. 36 Jahre nach ihrer Uraufführung ist die Oper erstmals in Berlin zu sehen – und sie scheint aktueller denn je

Herr Adams, NIXON IN CHINA feierte vor 36 Jahren Premiere. Wie blicken Sie nach dieser langen Zeit auf Ihr Werk?

Sehr wohlwollend. Das Libretto von Alice Goodman ist für mich nach wie vor voller zeitloser politischer und philosophischer Weisheit. Und es hat natürlich jede Menge Humor. Als wir NIXON IN CHINA 1987 zum ersten Mal zeigten, dachten viele, es handele sich um eine Satire.

Ist NIXON IN CHINA denn keine Satire?

Die Figur des Richard Nixon verleitet manche Regisseure dazu, die Oper im Sinne einer Satire zu inszenieren. In meinen Augen sind das aber die schwächeren Produktionen. Sie vernachlässigen die emotionale Tiefe und das philosophische Erkenntnisinteresse des Textes. Die größte Herausforderung besteht darin, eine Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit zu finden – nicht so einfach.

Warum haben Sie die Oper geschrieben?

Mich hat damals interessiert, dass mit Mao Tse-tung und Richard Nixon nicht nur die zwei Vertreter der damals vorherrschenden gegensätzlichen Gesellschaftsentwürfe aufeinandertrafen, sondern auch zwei Philosophien: hier die kapitalistische liberale Demokratie mit ihrem Glauben an die ordnende Kraft des Marktes und dort der kommunistische Wohlfahrtsstaat. Rückblickend kann man sagen: Keines der Systeme hat so richtig funktioniert.

China ist heute ein völlig anderes Land.

Das gilt auch für die USA. Doch in China hat sich deutlich mehr getan. Das Land war damals noch ein armer Agrarstaat – und ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Mit Maoismus hat das nicht mehr viel zu tun. Was mich an China am meisten beunruhigt, ist die Vehemenz, mit der es seine Bevölkerung digital überwacht. Nicht dass das nicht auch bei uns passieren würde, aber hier fließen die Daten zumindest nicht direkt an die Regierung.

Kommen wir zur Musik: Wie blicken Sie heute auf die Komposition? Wie hat sich Ihre musikalische Sprache seit 1987 verändert?

Ich mag auch die Musik immer noch und versuche, sie etwa alle fünf Jahre einmal zu dirigieren. So bleibe ich mit ihr in Kontakt. Der Einfluss des Minimalismus ist natürlich unüberhörbar, deutlicher als bei meinen späteren Kompositionen. Allerdings habe ich ihn damals schon weniger rigoros ausgelegt als meine Kollegen Steve Reich oder Philip Glass. Es gibt Elemente von Big-Band-Musik oder auch die Imitationen der Da-Capo-Arien von Madame Mao. Die Oper ist ein Hybrid. Im Laufe der Jahre habe ich mich weiter in diese Richtung entwickelt, versucht, zu einer vielfältigeren, komplexeren musikalischen Sprache zu finden.

Wie stehen Sie heute zur Minimal Music?

Der Minimalismus bedeutet mir und meiner Generation viel, er hat vieles in Gang gesetzt, eine ganz neue musikalische Sprache ermöglicht. Aber wie bei allen künstlerischen Revolutionen ist es wichtig, nicht stehenzubleiben. Der Kubismus zum Beispiel schuf eine neue Denkordnung in der Malerei, aber es ist gut, dass Picasso und Matisse ihn weiterentwickelt haben.

Nachdem NIXON IN CHINA eher selten auf europäischen Bühnen zu sehen war, wird die Oper alleine 2024 in fünf Inszenierungen aufgeführt. Wie erklären Sie sich den späten Erfolg?

Manchmal braucht es Zeit. Die amerikanische Minimal Music hatte in Europa lange einen schweren Stand, vor allem in Frankreich und Deutschland. Was wir machten, galt manchen Kritikern als intellektuell minderwertig, zu gleichförmig, zu gefällig im Vergleich zur europäischen Avantgarde. Das war zwar damals schon eine elitäre Gelehrtenmeinung, aber selbst in diesen Kreisen ändert sie sich langsam.

Glauben Sie, klassische Musik kann gesellschaftliche und politische Veränderungen vorantreiben?

In den USA ist das ein großes Thema. Hier ist es kaum mehr möglich, eine Förderung für ein Projekt zu erhalten, das sich nicht mit sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus oder Genderfragen auseinandersetzt. Ich glaube nicht, dass die Künste einen derartigen Einfluss auf das politische Denken haben. Wenn Künstler sich politisch äußern, erreichen sie meist nur diejenigen, die ohnehin schon auf ihrer Seite waren. Im Englischen gibt es dazu die Redensart: »They are preaching to the choir.« Auf die Gefahr hin, nun ein wenig zynisch zu klingen: Bachs »Goldbergvariationen« würden nach heutigen Kriterien wohl gar nicht erst gefördert.

 

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