Von Liebe und Gewalt - Deutsche Oper Berlin

Aus dem Programmheft

Von Liebe und Gewalt

Regisseur Christof Loy im Gespräch über FRANCESCA DA RIMINI

Dorothea Hartmann: Nach Erich Wolfgang Korngolds DAS WUNDER DER HELIANE haben Sie FRANCESCA DA RIMINI für eine nächste Arbeit an der Deutschen Oper Berlin vorgeschlagen. Warum?
Christof Loy: Ich werde oft gefragt, ob ich in Zyklen inszenieren möchte, etwa mehrere Donizettis oder Bellinis hintereinander. Aber das interessiert mich als Konzept wenig. Ich suche eine mehr inhaltliche Ausrichtung. Korngolds HELIANE habe ich immer schon mit anderen Opern zusammengedacht, Zandonais FRANCESCA gehörte auf jeden Fall dazu. Zentral ist in diesen Stücken das Frauenbild, das Anfang des 20. Jahrhunderts im Musiktheater regelrecht „untersucht“ wurde: Man findet in den Stoffen natürlich die gängigen Begriffe wie die Femme fatale des Fin de Siècle, aber auch eine andere Form der Selbstbestimmtheit, die sich nicht nur über die Sexualität definiert. So gesehen war für mich FRANCESCA DA RIMINI nach HELIANE eine ideale nächste Oper, der mit Franz Schrekers DER SCHATZGRÄBER auch noch eine weitere folgen wird. Ähnlich wie Heliane erscheint Francesca zunächst als Opfer. Im ersten Akt lässt Francesca fast passiv über sich ergehen, was die Männer der eigenen Familie und der Familie, in die sie einheiratet, geplant haben. Dann aber findet sie eine sehr eigene und aktive Form, damit umzugehen. Heliane ist rätselhaft in ihrem Verhalten und ihrer unkonventionellen Vorstellung von Liebe und Moral – rätselhaft nicht nur für die Figuren im Stück, sondern auch für uns heute. Francesca wirft ähnlich viele Fragen auf.

Dorothea Hartmann: Beide – Heliane und Francesca – sind Ehebrecherinnen. Die Frage, warum und in welcher Form sie das tun und vor allem, wie sie selbst und wie die Gesellschaft damit umgehen, macht das Potential ihrer Geschichten aus. Welche Bedeutung haben gesellschaftliche Normen für Francesca?
Christof Loy: Francesca interessiert sich nicht dafür, was andere über sie denken. Dabei ist sie sehr konsequent. Das Doppelleben einer „klassischen“ Ehebrecherin ist bei ihr noch gesteigert, da sie ja in eine Familie mit gleich drei Brüdern eingeheiratet hat und mit diesen nicht nur zusammenlebt, sondern mit allen dreien ganz unterschiedliche Formen von Liebesverhältnissen hat. Diese Beziehungen überlagern sich durchaus. Es ist auch eine Rache für den Betrug der Männer an ihr im ersten Akt. Francescas „Lulu-Dasein“ sehe ich dennoch nicht als Widerspruch zu der sehr exzessiven Liebe, die sie für Paolo empfindet. Das ist für mich das Besondere und Rätselhafte an dieser Figur. Und die Frage, wie man reagiert, wenn jemand die moralischen Muster nicht erfüllt, mit denen wir uns ein Sicherheitsnetz im Leben bauen, stellt sich uns heute ja immer noch.

Dorothea Hartmann: Sie sprechen von einem Racheakt: Wird Francesca durch das erlittene Unrecht, die Täuschung im ersten Akt, vom Opfer zu einer Täterin?
Christof Loy: Francesca ist von Anfang an nicht vollkommen unwissend, ich sehe sie auch schon im ersten Akt nicht nur als naives Opfer. Sie geht mit großem Bewusstsein in diese von außen arrangierte Heirat und befürchtet das Schlimmste: eine Ehe ohne Liebe und Glück. Sie sieht ihre Zukunft schicksalhaft und hat sogar Todesvorahnungen. Und dann wird sie aus der Bahn geworfen: Denn der, der ihr als zukünftiger Ehemann präsentiert wird, erscheint ihr als Idealvorstellung ihres Geliebten. Sie hatte den Bräutigam wie einen Todesboten vor Augen – und dann kommt diese Lichtgestalt. Doch nur wenige Momente später steht sie am Abgrund, denn ausgerechnet dieser ideale Geliebte täuscht und belügt sie. Man kann die Struktur des Stückes so beschreiben, dass man Francesca im ersten Akt kennenlernt und nur ahnt, dass sehr viel in ihr verborgen ist. Man sieht ein Gefäß, dessen Deckel sie selbst verschlossen hält. Dann folgt der zweite Akt, in dem ihre innere Situation gespiegelt wird durch die Bürgerkriegssituation in Rimini. Das ist fast wie eine Explosion: als würden die verschiedenen Partikel ihrer Seele durch die Luft fliegen. Francesca entwickelt Feindschaft und Hass gegenüber dem Mann, den sie für eine Sekunde als idealen Geliebten gesehen hat. Und im dritten Akt wehrt sie sich nicht mehr dagegen, dass sich ihre Liebe zu Paolo geistig wie physisch nicht mehr kontrollieren lässt. Diese große und unbedingte Leidenschaftlichkeit ist bei ihr gepaart mit einem scharfen Verstand, vor allem im intellektuellen Ping-Pong mancher Dialoge. Und dann gibt es die Momente der Vorahnungen und Erleuchtungen, da erscheint sie geradezu prophetisch. Das ist ein kompliziertes Gebilde: wenn man gleichermaßen emotional und körperlich zum Extrem neigt und zusätzlich auch intellektuell enorme Fähigkeiten hat. Und dazu kommt eine Verbindung nach oben, zur Spiritualität. Das ist ein Kondensat von Komponenten, die einen Menschen eigentlich zerreißen.

Dorothea Hartmann: D’Annunzios Text ist gespickt mit Verweisen auf Kunst und Literatur. Welche Rolle spielt die Kunst in FRANCESCA DA RIMINI?
Christof Loy: Kunst heißt ja meist Sublimation: Man lebt in der Beschäftigung mit der Kunst Dinge aus, die man nicht mehr oder noch nie ausgelebt hat. So auch zunächst in der Lese-Szene im dritten Akt. In der Geschichte vom Liebespaar Guinevere und Lancelot finden Francesca und Paolo ihre eigene Sehnsucht widergespiegelt. Und da legen sich für einen Augenblick Kunst und Leben übereinander. Die Lektüre wird Wirklichkeit, der imaginierte Kuss zur eigenen Realität. Im vierten Akt folgt Francescas endgültiger Entschluss, die Liebe zu Paolo aktiv zu leben. Und das lässt Francesca hemmungsloser werden, auch im Spiel mit den anderen Brüdern, die in sie verliebt sind.

Dorothea Hartmann: Was passiert da? Wir sehen im vierten Akt drei Brüder, verliebt in eine Frau. Ist das eine Folge des Tranks, den Francesca ihnen im zweiten Akt reicht – vergleichbar dem Liebestrank der Brangäne aus TRISTAN UND ISOLDE?
Christof Loy: Ich denke, dass sie alle aus dem gleichen Glas trinken, ist ein Zeichen, ein Symbol für etwas, das sowieso in den drei Brüdern schlummert. Und ich interpretiere es so, dass Francesca die heftige Leidenschaft, die sie bei den Brüdern spürt, weiter anstachelt und schürt. D’Annunzio wurde beim Schreiben des Textes ja von seiner Geliebten, der Schauspielerin Eleonora Duse, inspiriert. Deren gleichzeitig leidenschaftliches und kompliziertes Liebesverhältnis, eine Form von gegenseitiger seelischer Folter, findet ihren Niederschlag auch in der Figur der Francesca.

Dorothea Hartmann: Was in den Brüdern angelegt ist, zeigt sich nach und nach und kommt in der Begegnung mit Francesca zum Ausbruch. Nach der großen Täuschung, die die drei Brüder an ihr begangen haben, gelingt es Francesca, ihre Seelen zu öffnen. Sie zeigen sich ihr ganz unverstellt.
Christof Loy: Ja, das ist eine große Fähigkeit. Und die Brüder zeigen ihr wahres Ich nicht nur, sie leben es im jeweiligen Moment auch mit Francesca aus. Gianciotto mit seiner gewissen körperlichen Deformation hat einen robusten bis vulgären Schutzpanzer um sich – gepaart mit einem ganz weichen Herzen, wenn er auf seine Ehefrau trifft. Paolo leidet genau entgegengesetzt darunter, dass man ihn nur äußerlich wahrnimmt als „il Bello“ [der Schöne]. Man hält ihn für hübsch, aber oberflächlich und charakterlos. Tatsächlich zeigt er jedoch eine Neigung zu emotionalen Abstürzen und eine große seelische Tiefe. Dieses Dilemma offenbart er nur, wenn er mit Francesca zusammen ist. Und dann bricht es ganz ungefiltert heraus. Eigentlich ist er das Opfer, die unschuldige Figur, die zermalmt wird. Denn Paolo leuchtet und blüht in der Liebe zu Francesca. Eigentlich ein Hoffnungsträger, der aber keinen Platz findet. Den dritten Bruder, Malatestino, lernt man erstmals kennen, wenn er in der Schlacht sein Auge verliert. Gleichzeitig spricht er von Mordgelüsten. Da deutet sich schon seine perverse Neigung an, körperliche Lust zu empfinden, wenn jemand Schmerz erleidet. Ganz im Verborgenen trifft er hier auch einen Wesenszug von Francesca. Generell haben wir es hier mit Familien zu tun, in denen der Umgang mit Folter und Mord zum Lebensumfeld und Bewusstsein gehört. Das ist auch Francescas Sozialisation.

Dorothea Hartmann: Malatestinos Sadismus und das brutale Kampfgeschehen des zweiten Aktes erscheinen in D’Annunzios Text auch als Anzeichen präfaschistischer Gewaltfaszination. Inwieweit spielt für Sie die Zeit der Entstehung und der Uraufführung der Oper eine Rolle – kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs?
Christof Loy: Zandonai richtet den Blick einerseits weit zurück, in eine archaische Vergangenheit, die mit Elementen aus Mittelalter und Renaissance spielt und sich nicht konkretisieren lässt. Hier steht als Zeichen für Schönheit das Madrigal. Das kontrastiert er mit exzessiven und schroffen Passagen, die damalige Hörgewohnheiten irritierten und mit Schönklang nichts mehr zu tun haben. Die ferne Zeit der Renaissance war von Zandonai auch gedacht als eine Spiegelung der kurz vor dem Ersten Weltkrieg stehenden dekadenten Oberschicht. Diese bestimmt, innerhalb ihres abgehobenen Standes, über das Schicksal anderer Menschen, über ein Volk. Das wird vor allem in den wenigen Szenen mit Chor erfahrbar. Wir wurden nun für diese Produktion durch die äußeren Umstände gezwungen, den Chor nicht szenisch einzusetzen und so noch stärker auf das Kammerspiel zu fokussieren. Dadurch wird der Aspekt einer fast krankhaft inzestuösen Verbindung von Menschen verstärkt, die ein gesundes Verhältnis zur Humanität verloren haben. Francesca selbst betrifft das auch: Sie ist ein merkwürdiges Gezücht, in alle Richtungen brechen sich die Energien Bahn. Und am Schluss endet alles in Hass, Verrat und einem Doppelmord. Man erlebt eigentlich eine Versammlung von Verdammten. Luchino Visconti war nah dran an solchen Gestalten.

Dorothea Hartmann: Zandonai formulierte in einem Brief die Idee, einen „italienischen Tristan“ zu schreiben. Wir finden tatsächlich viele inhaltliche Verweise auf Wagners TRISTAN UND ISOLDE: neben der stellvertretenden Brautwerbung, dem betrogenen Ehemann, einem merkwürdigen Trank auch das Bild von einer feindlichen „Tagwelt“ und die Verherrlichung der „Nacht“ in Paolos Arie „Nemica ebbi la luce“. Inwieweit sind Francesca und Paolo Seelenverwandte von Tristan und Isolde?
Christof Loy: Tristan hasst die Tagwelt und sucht die Nacht, die für ihn gleichbedeutend ist mit dem Weg in den Tod. Auch Paolo ist ein solcher Grenzgänger, der sich mit dem Nachtreich eher identifiziert als mit dem Leben am Tag. Denn am Tag darf er nicht ehrlich sein, er muss sich verstecken. Die Figuren Isolde und Francesca sind einander weniger ähnlich. Isolde steht für das Leben. Sie kämpft gegen den Tod und versucht, Tristan ins Leben zurückzuholen. Und dieser Lebenswille treibt sie an bis zum Ende, das ja – trotz „Liebestod“ – nicht wirklich Isoldes Tod erzählt. Sie ist schlussendlich eine Überlebende, die mit der Erinnerung umgehen muss. Francesca ist anders und widersprüchlicher: Sie bewegt sich in einer gewalttätigen Welt, die auch bei ihr Spuren hinterlassen hat. Francescas Hasspotential, ihre Lust an Macht und Herrschaft sind gepaart mit einer großen Liebesleidenschaft und der Sehnsucht, mit einem Menschen in tiefster Seele verbunden zu sein.

 

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