Walzerproduktion Strauß und Söhne

Ein Essay von Lars Gebhardt

Sohn gegen Vater
 

„Ich bin gesonnen, mit einem Orchester von 12 bis 15 Personen zu spielen, in Gastlocalitäten und zwar beym Dommayer in Hietzing, welcher mir bereits Zusicherung macht, daß ich, sobald mein Orchester in Ordnung ist, dort die Musikunterhaltungen abhalten könne. Die übrigen Localitäten weiß ich derzeit noch nicht zu bestimmen, glaube aber, daß ich hinreichend Beschäftigung und Verdienst erhalten werde.“ Mit diesen Worten bittet der gerade einmal 18 Jahre alte Johann Strauß [Sohn] am 3. August 1844 beim Wiener Magistrat um Genehmigung, ein eigenes Unterhaltungsorchester gründen zu dürfen – ein Präzedenzfall, dominiert sein Vater doch seit Ende der 1820er Jahre die Musikszene in Wien. Als Hofkapellmeister hatte sich Johann Strauß [Vater] zu dieser Zeit gegen seinen Konkurrenten Joseph Lanner in der österreichischen Hauptstadt durchgesetzt. Auf zahlreichen Europatourneen hatte er seinen Weltruhm begründet und den Wiener Walzer zum Exportschlager gemacht. So spielte er mit seiner Kapelle u. a. auf den Krönungsfeierlichkeiten von Queen Victoria in London und wiederholt am preußischen Hof. Überschwänglich wurde er von Musikkritikern als „Mozart der Walzer“, „Paganini der Galoppe“ und „Rossini der Potpourris“ gefeiert. Und tatsächlich schaffte es Johann Strauß [Vater] mit Tanz- und Unterhaltungsmusik im Reigen der „gelehrten Musiker“ ernst genommen zu werden. In seinen Konzerten paarte er Walzer, Märsche und andere Tanzformen immer wieder mit Kompositionen von Beethoven, Berlioz und Schumann. Maßgeblich trug er damit zur Verbreitung der „ernsteren“ Musik bei.

Das Privatleben bröckelte aber: Johann Strauß [Vater] trennt sich von seiner Ehefrau Anna und reicht im Sommer 1844 gar die Scheidung ein. Zunächst ohne das Wissen und später gegen den Willen des Vaters hatten Schanni und Pepi, später auch Edi, seit ihrer Jugend Musikunterricht erhalten und es lag nur nahe, dass der junge Johann nach der Scheidung der Eltern zum Erwerb des Lebensunterhaltes beitragen sollte – am besten mit einer eigenen Kapelle. Diese wird Schanni – gegen den expliziten Einspruch des Vaters beim Wiener Magistrat – auch zugebilligt. Binnen kürzester Zeit erwachsen Vater und Sohn zu Konkurrenten: Sie kämpfen um die Gunst der Publikums, suchen nach neuen Spielorten und innovativen Formaten. In Gaststätten, bei Park- und Platzkonzerten und nicht zuletzt in der Ballsaison läuft Sohn Johann dem Vater nach und nach den Rang ab. Schon nach den ersten Konzerten Schannis schreibt die Wiener Tageszeitung: „Der junge Strauß gewinnt täglich mehr die Gunst des Publikums. Seine Kompositionen gefallen, sein Vortrag derselben wird stets mit Applaus aufgenommen. Für den Karneval 1845 ist daher bestens gesorgt, und die schönen Wienerinnen haben nun die Aussicht, nach zwei Straußschen Geigen tanzen zu können.“ 

Das Revolutionsjahr 1848 markiert einen Einschnitt: Schanni eckt mit seinen Märschen und Tänzen, die er für die fortschrittlicheren Studenten und Nationalgarden schreibt, beim Wiener Hof an. Die „Barrikaden-Lieder op. 52“ oder der „Brünner Nationalgarde-Marsch op. 58“ werden vorübergehend verboten, die Noten beschlagnahmt. Der Wiener Hof beobachtet in den Folgejahren der Restauration das Schaffen des jungen Johann misstrauisch, selbst seine größten Erfolge ignoriert der Kaiser geflissentlich: Es sollte bis 1863 dauern, dass Schanni zum Hofkapellmeister ernannt wird – über 13 Jahre nach dem Tod des Vaters. Der kaisertreue und konservative Johann senior kann am 31. August 1848 den „Radetzky-Marsch zu Ehren des großen Feldherren der k. k. Armee“ uraufführen – und mit diesem Triumphmarsch des konservativen Lagers sein bis dato populärstes Werk vorlegen. Doch die Stimmung dreht sich bald, das junge Publikum meidet zunehmend die Aufführungen des Vaters. Schanni wird zur Stimme der Jugend und des Fortschritts. Die politischen und gesellschaftlichen Risse der wechselhaften Umbruchzeit Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich hier im Privatleben der Familie Strauß und bis in die Sphären der Unterhaltungsmusik nachvollziehen. Das Jahr 1849 soll der Vater nicht überleben: Johann Strauß [Vater] infiziert sich bei einer seiner Töchter und stirbt am 25. September an Scharlach und Hirnlähmung.

 

Johann Strauß (Vater)
 
Pawlowsk, Paris, London, Boston – Weltruhm
 

Schanni übernimmt – nicht ohne Widerstände – das Orchester des Vaters und vereinigt es mit seinem eigenen, die Hofmusik wird ihm aber nicht übertragen. Auch die beiden jüngeren Brüder beginnen zu komponieren und Kapellen zu leiten. Besonders Josef kann dabei auch immer wieder aus dem Schatten des Bruders hervortreten. Später wird der „kleine Edi“ als Organisationstalent zunehmend die Zügel in die Hand nehmen. In den kommenden Erfolgsjahren wird das Brüdergespann zur regelrechten „Firma Strauß“.
Eine recht abenteuerliche Reise nach Warschau zum Drei-Kaiser-Treffen 1850 soll für Johann Strauß erfolgreich enden: Die russische Kaiserin Charlotte, Tochter Friedrich Wilhelms III., lädt den jungen Strauß zu einem Konzert ein – die ihr gewidmete „Warschauer Polka op. 84“, sein Auftreten und Charme führt zu einer folgeträchtigen Einladung an den Hof in St. Petersburg und ein Engagement als Kapellmeister der Sommerkonzerte im nahen Pawlowsk. Über zehn Jahre wird zunächst Johann, später auch Josef, seine Sommer dort verbringen und in Platzkonzerten für musikalische Unterhaltung sorgen. Auch persönlich prägen ihn diese Sommer sehr: Eine Romanze mit Olga Smirnitzki vertieft sich im Sommer 1859 schnell. Es kommt aufgrund des Widerstandes ihrer Familie jedoch nicht zur Ehe. Zahlreiche andere Liebschaften – nicht nur in Russland – tragen zum Nimbus des genialen Künstler-Liebhabers bei. 1862 heiratet er dann seiner erste Frau: Henriette von Treffz. Die sieben Jahre ältere Sängerin wird ein wichtiger Motor im künstlerischen Schaffen Johanns. Wie zuvor die Mutter Anna kümmert sie sich um die Organisation von Tourneen, hilft beim Notenkopieren und knüpft Kontakte.

 

Johann Strauß
 

Konzertreisen führen Schanni 1867 nach London und Paris. Die Weltausstellung in der französischen Hauptstadt wird mit seinen Walzern bereichert und bei den Promenadenkonzerten in London wird der Walzer „An der schönen blauen Donau“ – der zunächst für den Wiener Männer-Gesangs-Verein entstanden war – zum Welthit. Das Prinzip der Promenadenkonzerte importiert Strauß nach Wien: Im Parterre promenieren die Paare, unterhalten sich, bis Strauß den Geigenbogen erhebt – zum Zeichen, dass eine weitere Musiknummer folgt. Die „Erinnerungen an Covent-Garden op. 329“, in der englische und amerikanische „Pop-Songs“ zu Walzern verarbeitet sind, verweisen auf die großen Erfolge.

Das Jahr 1870 markiert einen Einschnitt: Binnen kurzer Zeit sterben Mutter Anna und Bruder Josef – die beide wichtige künstlerische Partner für Johann gewesen waren. Bald übernimmt Eduard allein die Leitung der Kapellen in Wien. Johann zieht sich zurück, bittet gar um Enthebung von allen Dienstfunktionen des Leiters der Hofball-Musik. Bald wendet er sich aber einem neuen Betätigungsfeld zu: dem musikalischen Unterhaltungstheater. Seit Mitte der 1860er Jahre überschwemmten die Operetten Jacques Offenbachs Wien, besonders DIE SCHÖNE HELENA beeindruckte Strauß nachhaltig. Nachdem er schon zunehmend Gesangswalzer und Kompositionen für Gesangsvereine komponiert hatte, war es nur ein kleiner Schritt zur Operette.

Bevor er aber mit seiner dritten Operette, DIE FLEDERMAUS, das Genre der Wiener Operette maßgeblich prägen sollte, stand noch ein „amerikanisches Abenteuer“ an: Patrick Sarsfield Gilmore, „Bandmaster“ und Spezialist für Massenkonzerte mit Ambossen, Böllerschüssen und über 20.000 Mitwirkenden, lud Strauß für ein fürstliches Honorar von 100.000 Dollar – zuzüglich Spesen – zum Weltfriedensfest 1872 nach Boston ein. 14 Konzerte dirigierte er zwischen dem 17. Juni und 4. Juli, darunter ein Mega-Konzert mit 1.000 Musikern und zahlreichen Subdirigenten vor einem Publikum von 50.000 Zuhörern. Strauß wurde als Weltstar angekündigt, auf einem Werbeplakat sah man ihn „als König dargestellt, thronend auf einer Weltkugel und den Taktstock als Scepter schwingend, womit sie die Weltherrschaft seiner Musik andeuten wollten.“ Nach den Bostoner Konzerten konnte er sich vor Konzertangeboten kaum retten – doch es zog ihn zurück nach Wien, wo er in den Folgejahren mit seinen Operetten ein neues künstlerisches Kapitel öffnet, während Eduard Strauß als Hofkapellmeister und auf zahlreichen Europatourneen die Tradition der Tanz- und Unterhaltungswalzer fortführt.

Johann Strauß [Vater] und seine drei Söhne Johann [„Schanni“], Josef [„Pepi“] und Eduard [„Edi“] dominierten zwischen den 1820er und den 1890er Jahren die Unterhaltungsmusik Wiens – trotz aller Unterschiedlichkeiten, persönlicher Verwerfungen und Querelen wurde die „Musikproduktion Strauß“ zum Inbegriff der gut gemachten Tanz- und Unterhaltungsmusik. Und besonders dem ältesten Sohn gelang es, sich im Lauf seiner langen Karriere immer wieder neu zu erfinden.

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