Wanderlust ... Die vielen Stimmen der Stadt - Deutsche Oper Berlin
Was uns bewegt
Wanderlust ... Die vielen Stimmen der Stadt
Ein partizipatives Jugendprojekt in der Winterferien 2022 mit zwei Präsentationen am 11. und 12. Februar 2022
Wie klingt die Stadt? Was erzählen Gebäude? Wie verorte ich mich selbst in der urbanen Polyphonie der Stimmen? Die alltägliche Umgebung besonders bewusst und intensiv wahrzunehmen, war der Ausgangspunkt des partizipativen Jugendprojekts WANDERLUST. Und so zog die Gruppe der jugendlichen Teilnehmer*innen an einem Sonntag im Januar aus zu einem Stadtspaziergang von Neukölln bis Charlottenburg, vom Tempelhofer Feld bis zum Ernst-Reuter-Platz. Unter der Anleitung von Künstler*innen aus den Bereichen Musik, Text, Architektur und Video wurde gegangen, zugehört, beobachtet und dokumentiert. All die auf der sechsstündigen Wanderung gemachten Erlebnisse und Erfahrungen nahmen die Jugendlichen mit in die Workshops in der Tischlerei und kreierten aus ihnen Texte, Kompositionen und kleine Theaterstücke. Aus all diesen Fäden wurde schließlich ein musikalischer Abend geknüpft, der heute Abend in der Tischlerei zur Aufführung kommt. WANDERLUST ist ein Kaleidoskop aus Erfahrungen und Eindrücken, die so unterschiedlich sind, wie die Jugendlichen selbst. Jede ihrer Persönlichkeiten spiegelt sich in den künstlerischen Beiträgen, die mal alleine, mal in der Gruppe präsentiert werden, manchmal rein akustisch als Aufnahme erklingen. Doch auch und vor allem die städtische Umgebung kommt zu Gehör und zu Gesicht, denn dem Projekt liegt der Gedanke zugrunde, die Perspektive zu wechseln, Nicht-Menschliches als Akteur zu begreifen – und somit auch im Theater sprechen und klingen zu lassen. Und so erzählen an diesem Abend nicht nur Jugendliche, sondern auch Bäume und Vögel vom Leben in der Stadt, von der Verdrängung der Natur durch den Menschen, von unerwarteter Schönheit im Städtischen, vom Umgang mit der Pandemie und von einem Spaziergang, der lange in Erinnerung bleiben wird.

Ein Spaziergang mit allen Sinnen … Aus den Architektur-Workshops
Licia Soldavini & Mascha Fehse
Die Expedition, die von constructlab als Auftakt zum Wanderlust-Workshop konzipiert wurde, führte uns durch Landschaften mit unterschiedlicher Ausprägungen von Urbanität. Ziel war es, eines von vielen Porträts der Stadt Berlin zu komponieren. Wir stießen auf lokale Initiativen und Gartenkolonien, viele Straßen – eng, breit, gepflastert –, den Kanal, ehemalige Pferdeställe, Friedhöfe, einen mobilen Holzofen, die U-Bahn, postmoderne Türme, Parks mit freilaufenden und eingesperrten Tieren. Auf dem Weg begegneten wir verschiedenen Arten von Lebewesen, kleinen und großen, darunter mehrere Menschen, zum Teil in Begleitung von Hunden, Pflanzen und Bakterien. Einige gelten als einheimisch, andere als invasiv, einige als harmlos, andere als gefährlich, alle leben Seite an Seite, umgeben von statischen und beweglichen Objekten. Jede*r von ihnen erzeugt seine und ihre eigenen Klänge. In unterschiedlichen Rhythmen gehend, mal mit verbundenen Augen, mal mit Tonaufnahmegerät oder Kamera ausgestattet, entdeckten wir über unsere Sinne die Polyphonie des Zusammenlebens.

Die Kunst des Zuhörens … Aus den Musikworkshops
Evelyn Saylor & Felicity Mangan
Die Praxis des Zuhörens zog sich wie ein roter Faden durch die Expedition und durch die folgenden Workshops in der Tischlerei. Während der Expedition führten wir Hörübungen durch und versuchten, mithilfe von Aufnahmegeräten unsere alltägliche akustische Umgebung nicht als selbstverständlich wahrzunehmen, sondern sie auf die gleiche Weise zu hören, wie wir Musik hören. Wir nahmen die Geräusche auf und konnten so dem andauernden Umgebungsklang einen Rahmen setzen, indem wir die Aufnahmen durch einen Anfang und ein Ende eingrenzten. So holten wir die Außenwelt in den Konzertsaal und begannen, die Unterscheidungen zwischen Musik, Klang und Lärm zu dekonstruieren. Im Arbeitsprozess in der darauf folgenden Woche ließen wir uns auf die auf dem Spaziergang gemachten unmittelbaren Erfahrungen und die daraus resultierenden Impulse ein. Wir lernten kompositorische Techniken und erwarben Fertigkeiten in Mikrofonierung und Audioverarbeitung mit dem Computer. Als Instrumentalist*innen übten wir das Zuhören und Spielen als Einzelne und im Ensemble und fassten kollektive Entscheidungen als Komponist*innen und Interpret*innen unserer eigenen Musik und der Werke der anderen.

Ein Spaziergang durch die Sprache … Aus den SciFi-Workshops und der Schreibwerkstatt
Elisa Aseva & Kuku Schrapnell
Ausgehend von der gemeinsamen Expedition haben wir uns zusammen auf einen Spaziergang durch die Sprache begeben. Welche Situationen, Gebäude und Lebewesen waren besonders eindrücklich? Wie haben wir die urbane Umwelt ganz persönlich erlebt? Aus diesem Kaleidoskop von Eindrücken sind ebenso vielfältige Texte entstanden: Gedichte, Dialoge, kurze Erzählungen und kleine Essays. Und doch ist allen Texten die gemeinsame Erfahrung anzumerken. Immer wieder klopft die Stadt an und macht sich als übergeordneter Bezugspunkt bemerkbar. Schreiben ist oft auch eine sehr einsame Tätigkeit, bei der mal das Außen nach Innen gezogen, mal das Innen nach Außen geworfen wird. Deswegen haben wir ausgiebig mit gegenseitigem Feedback gearbeitet. Wie können die Texte auf die Bühne gebracht werden? Was fehlt ihnen vielleicht auch noch? Was war besonders? Dabei ging es auch immer um die Suche nach den richtigen ‚Special Effects‘. An welchem Rädchen können wir drehen, um die Wirklichkeit zu verfremden und dadurch unseren Blick darauf zu schärfen?

Die Flüchtigkeit des Augenblicks einfangen … Die Videos
Leonard Leesch
Im Umgang mit dem Medium Video ging es von Anfang an nicht darum, um jeden Preis Resultate zu erzielen, sondern in enger Verknüpfung zu Musik und Text Eindrücke von unserem Stadtspaziergang visuell und unmittelbar einzufangen. Es war allen Beteiligten eine große Freude, in einen gemeinsamen Austausch auf Augenhöhe zu treten. Konkret: Die Aufnahmen sind eine Mischung von gemeinsam Erlebtem aus dem ersten Sonntagsspaziergang kombiniert mit Archivmaterial vom Videokünstler Leonard Leesch. Die Videoproduktionen sind eine weitere Ebene des gemeinsamen Abends, eines von vielen Elementen, das wir als Gruppe nutzen, um uns auszudrücken. Andere Elemente sind Licht, Musik, die Texte aus dem Workshop, die Darstellung der erarbeiteten Ergebnisse oder das Spielen in der Gruppe.

Mitwirkende Jugendliche im Winter 2022 waren Lena-Anouk Bamberger, Louise Geddis, Johanna Heidemann, Cosima Kramer, Alissa Lewin, Aurelie Libowski, Luisa Lieb, Elizabeth Lügger, Sophia Menzer, Hannah Nollet, Olga Scherstnew, Felix Stähle, Hedy Veigel
Künstlerisches Team bestand aus Evelyn Saylor, Felicity Mangan [Musikworkshops], Elisa Aseva, Kuku Schrapnell [Sci-Fi Schreibworkshops], Licia Soldavini, Mascha Fehse [Constructlab – Architektur-Workshops / Stadtspaziergänge], Leonard Leesch [Video], Evi Nakou, Katja Wischniewski [Idee und Konzept], Carolin Müller-Dohle [Dramaturgie]
Das Projekt wurde unterstützt durch den Förderkreis der Deutschen Oper Berlin und wurde gefördert durch „Zur Bühne“, das Förderprogramm des Deutschen Bühnenvereins im Rahmen von „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ und ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Jungen Deutschen Oper, WeTeK und dem Jugendclubring Berlin