„Wider das Vergessen“ - Deutsche Oper Berlin

„Wider das Vergessen“

Benedikt Leithner ist Solo-Pauker. Er hat Schicksale von jüdischen Orchestermusikern der Deutschen Oper Berlin im Nationalsozialismus nachgezeichnet. Im 2. Tischlereikonzert der Saison 2019/20 wird ihrer gedacht

2. Tischlereikonzert: Wider das Vergessen
Gedenkkonzert für Wladyslaw Waghalter, Max Rosenthal, Werner Lywen und Hans Kraus
Erinnerung in Wort, Bild und Musik an vier ehemaliger Mitglieder des Orchesters des Deutschen Opernhauses, die unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft vertrieben oder ermordet wurden.
13. Januar 2019

Direkt nach der Machtergreifung 1933 wurden acht Orchestermusiker entlassen. Auch Sänger*innen, Tänzer*innen, Bühnenarbeiter, sogar der Intendant und der Geschäftsführer mussten gehen. Ich habe nach ihren Geschichten gesucht, aber zunächst leider wenig gefunden. Die Fragen hingegen haben mich beschäftigt: Wer waren sie? Hatten sie Familien? Was ist aus ihnen geworden? Ich habe dann mehr als ein Jahr lang in Archiven recherchiert, um die Wege meiner Kollegen nachzuzeichnen.

Einer zum Beispiel war der jüdische Violinist und Konzertmeister Wladyslaw Waghalter. Er war schon 1912 bei der Eröffnungsvorstellung des Deutschen Opernhauses dabei, hatte ein Streichquartett gegründet, das „Waghalter-Quartett“. Nach seiner Kündigung musste Waghalter natürlich seine Familie versorgen, ein Briefwechsel gibt Zeugnis von seiner Not. Mit der neuen Intendanz der Deutschen Oper und dem Propagandaministerium musste er über die Höhe seiner Ruhegeldbezüge streiten. Anfangs wurde ihm noch erlaubt, an besonderen Abenden nach seiner Entlassung für jüdisches Publikum zu spielen. 1940 starb er in Berlin. Seine Frau und eine Tochter wurden deportiert und in Auschwitz ermordet.

Benedikt Leithner am Grab Wladyslaw Waghalters © Max Zerrahn
 
 

Grundlage der Entlassungen war das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das von den Nationalsozialisten 1933 erlassen wurde. Alle Musiker mussten sich sofort in der „Reichsmusikkammer“ melden – doch dazu mussten sie „arisch“ sein. Wer das nicht war, wurde aus sämtlichen kulturellen Einrichtungen entlassen. Einige Musiker der Deutschen Oper Berlin konnten sich anfangs noch wehren, weil sie oder ihre Väter im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft hatten.

Auch der Violinist Max Rosenthal, der seit 1913 im Orchester spielte, wurde entlassen. Er wurde mit seiner Frau und seiner elfjährigen Tochter nach Minsk deportiert, noch im Deportationszug musizierte er, so steht es im Tagebuch eines Mitreisenden: „Heute Abend herrliches Konzert mit Max Rosenthal“ steht da. In Minsk wurde die Familie ermordet.

Der Bratscher Werner Lywen war der meinen Funden nach Jüngste der Entlassenen. Er war in der Berliner Szene gut vernetzt, hatte in den Zwanzigern Kontakt zu dem Komponisten Paul Hindemith. Seit 1929 spielte er im Orchester der Deutschen Oper, bei seiner Entlassung war er 24 Jahre alt. Zwei Jahre später floh Lywen in die USA – und machte dort Karriere: Er spielte in New York mit Leonard Bernstein und wurde Konzertmeister. 2002 starb er in Los Angeles.

Bei unserem Gedenkkonzert WIDER DAS VERGESSEN spielen wir Werke, die mit den Verfolgten verbunden sind. Für Wladyslaw Waghalter spielen wir eine Sonate, die sein Bruder Ignatz für ihn komponiert hat. Für Max Rosenthal spielen wir ein Sextett von Erwin Schulhoff, ein jüdischer Komponist, der ebenfalls in einem KZ umgebracht wurde. Für Hans Kraus, der auch Mitglied des „Waghalter-Quartetts“ war, spielen wir ein Quartett von Haydn, das Kraus damals mit dem „Waghalter-Quartett“ aufgeführt hat. Für Werner Lywen spielen wir drei Tänze, eine Pastorale und den Königsmarsch aus „Die Geschichte vom Soldaten“ von Igor Strawinsky.   

Zwischen den Musikstücken liest die Schauspielerin Margarita Broich Originaltexte, die mit dem Leben der Musiker zu tun haben. Etwa eine Zeitungsrezension über ein Konzert oder einen Brief, in dem Werner Lywen den Intendanten um Versetzung von der Bratschengruppe zu den 1. Violinen bittet.

Nach einem Jahr Recherche fühle ich mich diesen Musikern sehr nah.

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