14 Fragen an … Rodrigo Garull - Deutsche Oper Berlin
14 Fragen an … Rodrigo Garull
Der Tenor Rodrigo Garull spielt in FEDORA in einen Mann, der an einem dramatischen Wendepunkt in seinem Leben steht. Die Rolle hat viel mit ihm persönlich zu tun
Rodrigo Garull, wie bereiten Sie sich musikalisch auf Ihr Rollendebüt als Graf Loris Ipanoff vor?
Im Prinzip gehe ich immer gleich vor. Ich mache mir eine Playlist, suche eine Aufnahme, die mir gefällt, und die höre ich dann, sehr oft, immer wieder.
Welche Aufnahme haben Sie gehört?
Es gibt nicht so viele Aufnahmen von FEDORA, von daher war die Auswahl nicht so schwierig. Es gibt eine hervorragende Aufnahme, die ich sehr mag, mit Magda Olivero und Mario del Monaco. Und die habe ich ein Jahr lang gehört: beim Sport, beim Kochen, beim Autofahren, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs war. Irgendwann fange ich an, Phrasen zu singen. Und unter der Dusche dann größere Phrasen. Und irgendwann geht es ans echte Einstudieren: Ich lerne ganz diszipliniert Töne, Rhythmen und in diesem Fall sehr spezifisch den Text. Das Ziel ist immer, zu den Proben so zu erscheinen, dass die Partie im Körper sitzt und ich sie gemeinsam mit dem Regisseur, dem Dirigenten und dem Orchester vor Ort ausformulieren kann.
Und inhaltlich? Gibt es vielleicht sogar Filme, die Sie sich anschauen?
Ich bin vor zweieinhalb Jahren Vater geworden, dadurch kann ich mich bei weitem nicht mehr so in ein Rollenstudium fallen lassen wie früher, als ich ganze Biografien oder Romane gelesen habe. Ich musste bei dem Grafen Loris Ipanoff aber sofort an zwei Filmfiguren denken. Rhett Butler aus »Vom Winde verweht«, gespielt von Clark Gable. Und an die Figur, die Javier Bardem in »Eat, Pray, Love« spielt. Beide sind keine jugendlichen Liebhaber mehr, sondern erwachsene, reife Männer, die viel erlebt haben, zu ihren Gefühlen stehen – und plötzlich an einen katastrophalen Wendepunkt kommen, an dem sie alles verlieren.
Ist es das, was Sie an dem Grafen so fasziniert? Die Reife, das Erwachsene?
Das, und die intensiven Emotionen, die sich ja auch in der Musik wiederfinden. Es baut sich von Beginn an eine unglaubliche, fast explosive Spannung auf bis hin zu einem Punkt, wo der Graf quasi vor dem Abgrund steht und in eine Traurigkeit und Isolation fällt, der er nicht entkommen kann. Dies alles, die gesamte Entwicklung, ist superschön komponiert.
Gibt es einen bestimmten Moment, auf den wir achten sollten, wenn wir im Saal sitzen?
Ich mag das klagende Liebeslied im zweiten Akt sehr, »Amor ti vieta«, ein sehr schöner Moment, an dem sich die ganze Verzweiflung des Mannes schon ankündigt.
Wie fühlt es sich an, in die Schuhe von Enrico Caruso zu treten? Er feierte mit genau dieser Rolle 1898 seinen internationalen Durchbruch.
Carusos Durchbruch war ja auch deswegen international, weil er kurz danach seine erste Platte mit eben jener Arie aus FEDORA aufnahm. Damit wurde er zum ersten Popstar der Schallplattenwelt. Ich empfinde also eine Mischung aus Respekt, Motivation, Ansporn, Dankbarkeit und Stolz.
Es ist doch interessant, wie anders man sich heute als Künstler einem Part annähern kann, oder?
Unbedingt. Früher wurde ein Stück einmal aufgeführt und es gab dieses Stück erst wieder bei der nächsten Aufführung. Heute bleibt alles erhalten. Jeder Nachfahre kann auf die Vorgänger reagieren. Die meisten Opern haben wir alle bereits im Ohr, auch das Publikum. Das kann von Vorteil sein, denn man kann sich anders fallenlassen. Für uns Sänger wäre es natürlich dumm, die moderne Technologie nicht zu nutzen.
Was ist wichtiger? Die Erwartung zu bedienen oder das Alte neu zu interpretieren?
Ich versuche immer dem treu zu bleiben, was ein Komponist geschrieben hat. Gleichzeitig versuche ich, zwischen den Zeilen zu lesen, um herauszufinden, was er eigentlich wollte. Von diesen Lücken aus entwickle ich dann eine Idee, nehme mir kleine Freiheiten und versuche, etwas Interessantes anzubieten.
Und mit diesen Angeboten kommen sie zur Probe und treffen auf Ihren Regisseur, Christof Loy. Wie ist es, mit ihm zu arbeiten?
Genial. FEDORA ist mittlerweile die dritte Produktion mit ihm. Christof kreiert eine Leinwand, auf der sich die Farben der Musik und der Emotionen wunderbar entfalten können. Er geht dabei immer sehr elegant vor, präzise, stets von der Musik kommend. Und in diesem ästhetischen Rahmen fordert er die Künstler auf, wahrhaftig zu sein und in maximale Authentizität zu kommen.
FEDORA wird selten gespielt.
Leider.
Wem empfehlen Sie FEDORA?
Also FEDORA ist für alle, die in satten Klängen und großen Emotionen baden wollen. Eine Riesenwelle, die in einer Katharsis endet. Und dazu aber eine moderne Handlung, mit zwei Powerfrauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, sogar den Tod, denn sie sind keine Opfer, sondern Täter. Übrigens: Die Vorlagen für FEDORA und für TOSCA stammen von Victorien Sardou und in beiden Theaterstücken brillierte damals Sarah Bernhardt – als die Verkörperung einer modernen Frau. Der Fedora-Hut ist nach dem Hut benannt, den die Gräfin Romazoff seinerzeit im Theaterstück trug.
Ein letztes Mal zurück zum Grafen. Aus der Perspektive Ihrer Karriere betrachtet: Was bedeutet der Part für Sie?
Ein Zeichen der Reife. Wenn man anfängt, singt man viele junge, stürmische Liebhaber. Und nun komme ich in einer Phase der Männlichkeit an, die auch eine stimmliche Transformation bedeutet.
Wie manifestiert sich diese stimmliche Transformation? Was bedeutet das musikalisch?
Passend zum Charakter passiert beim Grafen viel in der Mitte. In der Partitur findet man keine Ausbrüche, die permanent zu den Bs und Cs gehen. Sondern hier ist das meiste zentral gelagert, der Komponist erwartet, dass sich der Sänger sicher in der tiefen Mittellage befindet und in den großen Passagen souverän mit dem Text spielt. Viele Stellen sind nur wegen des Textes wichtig, wie auch bei OTELLO übrigens. Und das ist die Großartigkeit, der ich mich nun gern und vermehrt stelle.
Ist dies auch der Grund, warum Sie Ihren Namen von Rodrigo Porras Garulo zu Rodrigo Garull geändert haben? Um eine Transformation zu manifestieren?
So ist es. Der neue Name ist klarer und markanter. Und er manifestiert eben diese Reifung, auch im Stimmlichen. Es geht um das, worüber wir am Anfang gesprochen haben: Vom jugendlichen Liebhaber zum Mann, der in seiner Mitte steht, bis hin zum Vater.