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Die Summe seines Schaffens - Deutsche Oper Berlin

Die Summe seines Schaffens

Ottorino Respighi war einer der größten Komponisten von Instrumentalmusik Italiens. Aber er schrieb auch monumentale Opern. Endlich können wir mit LA FIAMMA sein größtes Werk erleben

Unlust: Die schob der Komponist Ottorino Respighi vor, um einen Termin nicht wahrnehmen zu müssen, für den Kollegen Vater und Mutter verkauft hätten. Er war bei Benito Mussolini im Palazzo Venezia in Rom eingeladen. Weit hatte er es nicht, er wohnte seit 1913 in der italienischen Hauptstadt. Respighi aber quengelte. »Er hat viel zu tun? Und ich habe ihm nichts zu sagen. Warum sollte ich hingehen? Nein, ich gehe nicht«, berichtet seine Frau Elsa. Sie musste ins Herz des faschistischen Machtapparats fahren, um ihren Mann zu entschuldigen.

Diese Geschichte findet sich in der Respighi-Biografie Elsas. Entstanden ist sie in den 50er Jahren, als der Stern Respighis zu sinken begann. Nicht zuletzt, weil Komponisten wie er, die im Faschismus Erfolge feierten, in Misskredit gerieten. Elsa erzählte die Anekdote, um ihren Mann gegen den Vorwurf der Kollaboration in Schutz zu nehmen. Sie tat das fortwährend bis zu ihrem Tod 1996 mit 102 Jahren. Den größten Teil seiner Reifejahre lebte Ottorino Respighi im Faschismus. Von der Staatsführung wurde er hofiert, geehrt. Nicht von ungefähr war Mussolini 1934 in Rom Gast der Uraufführung jener Oper, welche die Spielzeit 2024/25 der Deutschen Oper Berlin eröffnet: LA FIAMMA – Die Flamme. Erstmals zu hören war das Werk in Berlin 1936, im Jahr der olympischen Spiele. Doch Vorsicht vor einfachen Schlussfolgerungen. Der Applaus des Duce bei der umjubelten Premiere macht Respighi nicht automatisch zu einem faschistischen Künstler. Es ist viel komplizierter. Zum Glück.

Respighi wurde 1879 in Bologna geboren. Die Familie war kunstsinnig. Ein Wunderkind war er aber nicht. Er besuchte das Konservatorium, begann sich mit 15 Jahren mit Komposition zu beschäftigen. 1902/03 war er als Bratschist in St. Petersburg tätig und nahm Stunden bei Nikolai Rimski-Korsakow. Beide teilen das Faible für orientalische Sujets und Klänge. Respighi perfektionierte bei ihm seine Instrumentationstechnik, die zudem stark von Wagner, Strauss und Debussy beeinflusst ist. Heraus kam ein Sound, dem man heute attestiert: »Klingt ja wie Filmmusik«. Allzu lange war das ein Verdikt. Für eine kommende Respighi-Renaissance könnte es sich indes als Vorteil erweisen. Respighi komponierte auch scheinbar filmisch. Die berühmten Tondichtungen »Fontane di Roma« und »Pini di Roma« beschreiben Szenerien in Rom. In den »Impressione brasiliane« winden sich Giftschlangen, in den »Vetrate di chiesa« wird das Leben von Heiligen dargestellt. Doch muss man eines wissen: Viele Settings wurden nachträglich ersonnen. Da brüteten Respighi, Elsa und sein Librettist und Freund Claudio Guastalla Programme und Titel für Werke aus, die schon geschrieben waren. Das ist das Gegenteil von Filmmusik, aber marketingorientiert.

Wie alle Komponisten seiner Generation rang Respighi darum, die italienische Musik zukunftsfest zu machen. Dieser musikalische Nationalismus war länderübergreifend. Arnold Schönberg erklärte die Zwölftonmusik auch zu »einer Erfindung, die die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre sichert«. Die Italiener wollten sich vor allem von der Oper als maßgeblicher Kunstform verabschieden. Die Werke Puccinis waren gar als »internationalistisch« verpönt. Respighi machte sich den Furor einiger Kollegen nicht zu eigen; zur Fülle an Pamphleten, die das »Melodramma« verdammten und die Instrumentalmusik verklärten, trug er nichts bei. Musiktheorien waren ihm suspekt. Doch wollte er ernst genommen werden, musste er Instrumentalmusik schreiben.

Zur Vorbereitung vertiefte er sich in Berge alter Musik. Diese Auseinandersetzung erklärt den Formenreichtum seiner Kompositionen und den Hang zu kurzen Werken. Selbst seine großen Tondichtungen sind wie barocke Suiten aus Stücken montiert. Mit den »Fontane di Roma« gelang ihm 1916 in Rom ein Achtungserfolg, der ein Jahr darauf unter Arturo Toscanini an der Mailänder Scala zu einem Triumph wurde. Respighi wurde schlagartig berühmt. Die neue italienische Musik war geboren. Mit den »Pini di Roma« von 1924 und den »Feste romane« von 1927 manifestierte sich sein Ruf. Diese Werke werden bis heute gespielt, alles andere hat es schwer. Besonders seine zehn Opern. Das liegt auch daran, dass sein Breitwandsound für heutige Ohren gar nicht so »italienisch« klingt. Vor hundert Jahren gab es an der Italianità keine Zweifel. Eine Schlüsselrolle spielten die alten Kirchentonarten sowie die Gregorianik. Für die Zeitgenossen war der Mönchsgesang die älteste und reinste Manifestation italienischer Musik.

Als Mussolini ab 1922 die Macht übernahm, war Respighi schon etabliert. Es findet sich von ihm keine Zeile, in der er den Faschismus preist. Kritik aber findet sich ebenso wenig. Respighi nahm auch Ehrungen, wie den Sitz in der Accademia d’Italia, an. Seine Nominierung war denkwürdig. Der Komponist Don Lorenzo Perosi empfahl ihn mit den Worten: »Ich schlage Maestro Respighi vor, denn er spricht sieben Sprachen und ist Vegetarier.« Pietro Mascagni, der versucht hatte, ihn als nicht linientreu zu verhindern, guckte konsterniert. Bei Mascagni fragt heute keiner nach seinen vielen Katzbuckeleien im Faschismus. Auf einen Hit wie CAVALLERIA RUSTICANA will man halt nicht verzichten. Vor den Schöpfern von Repertoirewerken geht die politisch korrekte Musikwelt seit jeher in die Knie.

Die Accademia, der etwa der Radiopionier Marconi oder der Literaturnobelpreisträger Pirandello angehörten, war keine Art Reichskulturkammer. Der Nationalsozialismus hatte den schlechten Geschmack seines Führers zum Maß aller künstlerischen Dinge erklärt und verfolgte alles, was Hitler missfiel. Der italienische Faschismus hingegen verlangte zwar Gefolgschaft, aber ihm waren Stil und Mittel, mit denen die Künstler zum Ruhm Italiens beitrugen, eher einerlei. Ein Motiv zur Emigration sah keiner der wichtigen Tonsetzer. Noch 1940 kam beim von den Faschisten gegründeten Maggio musicale fiorentino etwa »Volo di Notte« von Luigi Dallapiccola zur Aufführung. Ein Werk der Zwölftonmusik. Die galt unter den Nazis als »entartet«.

Erst ab 1938, als in Italien die deutschen Rassegesetze galten, fand bei einigen Künstlern ein Umdenken statt. Doch bei der Uraufführung der FIAMMA 1934 stand Respighi noch mit seinem jüdischen Librettisten Guastalla auf der Bühne und ließ sich mehr als zwei Dutzend Mal hervorrufen. Wie hätte er sich später zu Guastalla gestellt? Respighi starb 1936 unerwartet mit 57 Jahren.

LA FIAMMA ist also kein Vermächtnis, sondern die Summe seines Schaffens. Es ist eine Oper, wie sie eigentlich nicht mehr denkbar war: ein echtes Melodramma. Die ersten Takte des Dreiakters erinnern an TOSCA. Nach wenigen Augenblicken weiß der Hörer: Das geht gar nicht gut aus. Die Geschichte handelt von unglücklicher Heirat und unerlaubter Liebe vor dem Hintergrund der Hexenverfolgung. Das Werk wäre als Film ganz großes Kino. Gewaltigeres als der Schluss des 1. Aktes war seit TURANDOT nicht geschrieben worden. Die Oper spielt im 7. Jahrhundert im byzantinischen Ravenna, weil Respighi scharf darauf war, sich in dieser Epoche musikalisch auszutoben. Also wurde die Vorlage um schlappe 900 Jahre vordatiert. Das Orchester und der Chor sausen und brausen. Die Oper ist voller orientalischer Klänge, lateinischer Gesänge, veristischer Kantilenen und monteverdianischer Monodien. Der Ton ist düster, archaisch, immer ernst und hochdramatisch. Und das geht alles zusammen? Tut es.

Die Kritik feierte Respighi, er habe den Ruhm Italiens gemehrt. Doch was tat der Komponist? Verließ den Erfolgspfad sofort wieder. Seine nächste Oper LUCREZIA hat einen Akt, dauert eine Stunde und nennt sich »Istoria«, Geschichte. Das Geschehen auf der Bühne wird von einer Stimme aus dem Orchestergraben erzählt. Hat sich Respighi von sich selbst distanziert? Oder hielt er andere auf Distanz? Wahrscheinlich bestand er auf dem Recht des großen Künstlers, unabhängige Entscheidungen zu treffen.

Dr. Thomas Vitzthum ist politischer Korrespondent und Büroleiter des Hauptstadtbüros der Mediengruppe Bayern in Berlin. Er promovierte über den Nationalismus in der Musik Italiens während des Faschismus, im Speziellen bei Respighi.

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