Alles nur aus Liebe – Zu „Lady Macbeth von Mzensk“ - Deutsche Oper Berlin
Ein Essay von Jörg Königsdorf
Alles nur aus Liebe – Zu „Lady Macbeth von Mzensk“
Mit Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk” präsentiert die Deutsche Oper Berlin eines der Meisterwerke des 20. Jahrhunderts
Liest man lediglich die Handlung von Dmitrij Schostakowitschs bedeutendster Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, erscheint deren Titelfigur Katerina Lwowna nicht gerade als Sympathieträgerin. Mehr noch: Die Geschichte einer gelangweilten Kaufmannsfrau, die zuerst ihren Schwiegervater und dann ihren Ehemann ermordet und dafür verdientermaßen in die Verbannung nach Sibirien geschickt wird, ist auf den ersten Blick kaum operntauglich. Die lakonische, im mitleidlosen Stil einer Kriminalakte geschriebene Erzählung des russischen Schriftstellers Nikolai Leskow, der Schostakowitsch den Stoff entnahm, lässt zumindest nichts von den Zwiespälten und Tiefgründigkeiten erahnen, die normalerweise den Anknüpfungspunkt bilden, damit ein Komponist eine Handlung in Musik setzt.
Und doch entschied sich der 24-jährige Schostakowitsch, der seit der Uraufführung seiner ersten, schnell weltweit rezipierten ersten Sinfonie 1926 zum großen Hoffnungsträger unter den Komponisten der jungen Sowjetunion avanciert war, ohne langes Zögern für diesen Stoff, gerade weil er in der „Lady Macbeth“ die Chance sah, das Scheitern eines Menschen zu schildern, der nicht an eigener Verderbtheit, sondern an der Schlechtigkeit und Mitleidslosigkeit seiner Umwelt zugrunde geht. „Ich würde sagen, dass man die ‚Lady Macbeth‘ als tragisch-satirische Oper bezeichnen kann. Ungeachtet dessen, dass Katerina Lwowna zur Mörderin ihres Mannes und ihres Schwiegervaters wird, sympathisiere ich doch mit ihr. Ich versuche, dem ganzen Milieu, das sie umgibt, einen makabren, satirischen Charakter zu geben“, erklärte Schostakowitsch seine Absichten einige Monate vor der Uraufführung 1934. Dem entsprechend fühlt auch der Zuschauer der Oper vielmehr mit Katerina, als sich von ihr zu distanzieren: In Schostakowitschs Oper bildet vielmehr das emotional wie sexuell unerfüllte Dasein, in das die junge attraktive Katerina durch Mann und tyrannischen Schwiegervater gezwungen wird, den Ausgangspunkt und bis zu einem gewissen Grad auch eine Rechtfertigung ihrer Taten. Katerina handelt lediglich aus ihrer Liebe zum Arbeiter Sergej heraus, mit dem sie glaubt, endlich so etwas wie Lebensglück genießen zu können. Und letztlich sind es nicht die Entbehrungen der Verbannung, sondern die Zurückweisung durch Sergej, die sie den Entschluss fassen lässt, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Nicht das Individuum ist mithin schuld an seinem Schicksal, sondern die Gesellschaft, die es in eine ausweglose Lage treibt – das war im jungen sowjetischen Staat eigentlich eine Aussage, mit der sich der Komponist auf der Linie der politischen Ideologie fühlen konnte, zumal die alte, in „Lady Macbeth von Mzensk“ kritisierte Gesellschaft ja gerade erst durch die Revolution beseitigt worden war.
Umso entsetzter dürfte Schostakowitsch – auch angesichts des bis dahin unangefochtenen Erfolges seiner „Lady“ im In- und Ausland, gewesen sein, als er im Januar 1936 jenen berühmten Artikel „Chaos statt Musik“ in der Prawda lesen musste, in dem über sein Werk und auch über ihn als Künstler der Stab gebrochen wurde. Die traumatische Erfahrung dieser Ächtung, die in der damaligen Sowjetunion gleichzeitig akute Lebensgefahr bedeutete, überwand Schostakowitsch bis zu seinem Tod 1975 nicht. Gleichzeitig aber stellte das offizielle Verdammungsurteil aber auch eine Zäsur für seine Oper dar: Trotz einer späteren, entschärfenden Umarbeitung durch den Komponisten geriet die „Lady Macbeth von Mzensk“ nahezu in Vergessenheit: Erst Ende der siebziger Jahre, als Schostakowitschs Sinfonien längst weltweit gespielt wurden, entdeckte man diese Oper als eines der großen Meisterwerke des 20. Jahrhunderts wieder.
Zu denjenigen Dirigenten, die sich schon früh für die vergessene „Lady“ einsetzten, gehört auch Donald Runnicles, der dieses Werk von Beginn der achtziger Jahre an immer wieder dirigiert hat. Deshalb war es für ihn auch eine Selbstverständlichkeit, Schostakowitschs Meisterwerk wieder an die Deutsche Oper zu bringen. In der Inszenierung des norwegischen Regisseurs Ole Anders Tandberg, einer Koproduktion mit der Oper Oslo werden zwei der charismatischsten Sängerdarsteller unserer Zeit auf der Bühne stehen: die Titelpartie verkörpert Evelyn Herlitzius, während für die Partie von Katerinas Schwiegervater Boris der große britische Bass Sir John Tomlinson nach Berlin zurückkehrt.