Antreten zum Auftritt! - Deutsche Oper Berlin

Was mich bewegt

Antreten zum Auftritt!

In vielen großen Opern – etwa in Verdis OTELLO und Bizets CARMEN – wimmelt es von Soldaten. Warum eigentlich? Chefdramaturg Jörg Königsdorf über Soldaten in Opern

Otello
Dramma lirico in vier Akten von Giuseppe Verdi
Musikalische Leitung: Paolo Arrivabeni
Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Mit: Russell Thomas, George Gagnidze, Attilio Glaser, Guanqun Yu u. a.
8., 14., 20. Juni 2019

 

Carmen
Oper in vier Akten von Georges Bizet
Musikalische Leitung: Jacques Lacombe
Inszenierung: Ole Anders Tandberg
Mit Ramona Zaharia, Meechot Marrero, Joseph Calleja, Samuel Dale Johnson u. a.
19., 22. Juni 2019

Auf den ersten Blick ist Berlins mutmaßlich größtes Uniformlager nicht gerade ein militärischer Ort. Und doch dürfte der Kostümfundus der Deutschen Oper Berlin jedes Kasernendepot aus dem Felde schlagen, was die schiere Menge und die Vielfalt der eingelagerten Uniformen betrifft. Mit den Tschakos, Waffenröcken und Patronengurten, die hier in allen Größen, Gattungen und Dienstgraden lagern, könnte man vermutlich eine ganze – wenngleich im kollektiven Erscheinungsbild etwas buntscheckige – Armee ausstaffieren.

Tatsächlich aber spiegelt diese Vielfalt das auffällige Interesse, das die Oper seit fast 200 Jahren am Soldatenstand hat: Von Gaetano Donizettis LA FILLE DU REGIMENT bis zu Benjamin Brittens BILLY BUDD und Bernd Alois Zimmermanns DIE SOLDATEN wird auf der Bühne befohlen und gehorcht. Und mehr noch: Nicht nur die Kollektive marschieren im Gleichschritt, auch die Protagonisten der großen Opern des 19. und 20. Jahrhunderts gehören erstaunlich oft dem Wehrstand an. Meyerbeers Vasco da Gama: ein ehrgeiziger Seeoffizier. Radames in AIDA: ein ausspionierter Heeresführer. Don José in Bizets CARMEN: ein desertierter Psychopath, und erst recht Otello, zumal in Verdis berühmtester Veroperung des Dramas: ein von Eifersucht zerfressener Feldherr. Und schon diese kurze Aufzählung zeigt, dass die Oper generell ein wenig schmeichelhaftes Bild dieses Berufsstandes entwirft, ja, ihn an exemplarischen Fällen geradezu demontiert.

Das ist umso bemerkenswerter, weil ausgerechnet die massenwirksamste Kunstform sich damit nicht nur der Erwartung des Publikums, sondern dem omnipräsenten Geist eines ganzen Jahrhunderts widersetzt. Denn wie keine zuvor war die Epoche Wagners und Verdis von einem Geist des Militarismus erfasst: Nie wurden mehr Denkmäler für gefallene Helden errichtet, mehr Straßen nach gewonnenen Schlachten benannt. Ganze Völker schienen von dem Gedanken beseelt, bei nächster Gelegenheit einen Krieg vom Zaun zu brechen und sich zur Ehre des Vaterlandes totschießen zu lassen. Schuld war die Französische Revolution, die den Gedanken unters Volk gebracht hatte, dass jeder ein Held sein könne, der sein Leben für das Vaterland ließe. Ein Konzept, mit dem die Armeen der Grande Nation ihren Gegner, zum Dienst gepressten Teufeln, genauso lange überlegen waren, bis diese auf den gleichen Gedanken kamen.

Tobias Kehrer und Charles Castronovo in CARMEN © Marcus Lieberenz
 

Gegen diesen Geist stellt sich die Oper, stellen sich Bizet, Verdi, Puccini und ihre Nachfolger. Und perfiderweise schreiben sie das Negativ-Image des Soldaten auch noch den Sängern mit der strahlkräftigsten Stimme auf den Leib: Fast immer sind es Tenöre, die hier die Antihelden geben müssen, statt sich im Glanz ihrer hohen C’s sonnen zu dürfen. In CARMEN wird die unheroische Realität des Soldatendaseins in bis dato unerhörtem Realismus gezeigt: In der Langeweile des Dienstschiebens und Bewachens, aus der Josés Alltag besteht, dürfte jeder Traum von Heldentaten schnell dahinsterben. Und dass Bizet vorführt, wie Josés Wille zur Pflicht gegenüber der erotischen Anziehungskraft einer Frau von zweifelhaftem Ruf schwindet, dürfte die Offiziere im Publikum bei der Uraufführung in Paris 1875, kaum vier Jahre nach Kriegsende, nicht amüsiert haben.

Womöglich noch verstörender ist in dieser Hinsicht Verdis Otello, der uns zunächst als Held entgegentritt: Ein Feldherr, der soeben gesiegt hat und mit vokaler Kraft beeindruckt. Und doch ist dieser Höhepunkt nur der Ausgangspunkt für einen Abstieg in vier Akten: Der Feldherr kann die eigene Eifersucht nicht besiegen und wird uns als ebenso leichtgläubig wie gewalttätig vorgeführt. Die Einsicht allerdings ist in beiden Fällen gleich: Da der Mensch kaum sich selbst in der Gewalt hat, ist es reichlich leichtsinnig, ihm eine Waffe anzuvertrauen. Und dem ist bis heute nichts hinzuzufügen.

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