Christof Loy … Mein Seelenort: Das Café Bazar in Salzburg - Deutsche Oper Berlin

Christof Loy … Mein Seelenort: Das Café Bazar in Salzburg

Christof Loy kann besser nachdenken, wenn er unter Menschen ist. In einem Salzburger Kaffeehaus beobachtet der Regisseur das Treiben um ihn herum – und sinniert über seine Inszenierung von FRANCESCA DA RIMINI

Mein Seelenort ist der Wintergarten des Café Bazar in Salzburg. Mir ist wichtig, das so genau zu bestimmen, denn nur in dem Glasanbau, der an das Jugendstilgebäude des Cafés anschließt, fühle ich mich ganz im Hier und Jetzt. Im Gegensatz zu dem lichtdurchfluteten Wintergarten versprüht das Interieur des Hauptraums den traditionellen Charme der österreichischen Kaffeehauskultur, mit alter Holzvertäfelung sind ganz an den Wänden, klassischen Flechtstühlen, Marmortischen und den großen Lustern an der Decke. Mir gefällt die Vorstellung, mich dieser Tradition verbunden zu fühlen, sie aber dennoch zu durchschreiten und hinter mir zu lassen – um im Heute zu sein.

Ich komme am liebsten vormittags her, gegen 10:30 Uhr, und setze mich auf einen Platz, von dem aus ich meinen Blick durch die große Glasfront nach draußen richten kann. Das eigentliche Café, das historische Salzburg weiß ich in meinem Rücken; ich aber sitze in dem Teil des Gebäudes, der geradliniger, nüchterner, moderner eingerichtet ist, und kann, wenn ich den Blick hebe, von diesem Platz aus sogar das Museum der Moderne auf dem Mönchsberg etwa 60 Meter über der Altstadt erkennen. Im Wintergarten des Café Bazar bin ich mit der Zeit und der Geschichte verbunden, fühle mich beschützt durch das, was hinter mir ist, und blicke dennoch nach vorn, in die Gegenwart und Zukunft. Nur ein paar Meter von meinem Platz entfernt fließt die Salzach entlang, wir befinden uns direkt an der Promenade. Auch wenn ich den Fluss nicht hören kann, spüre ich die unablässige Bewegung des Wassers, stetig und sanft. Auch das zeigt mir: Es geht immer weiter, wir bleiben niemals stehen.

Das Café Bazar wurde bereits 1909 eröffnet und hat eine lange Tradition als Treffpunkt von Künstlern. Loys Lieblingsplatz befindet sich im modernen Glasanbau des alten Gebäudes © Christian Leopold
 

Die Atmosphäre hier empfinde ich als eine angenehme Form von gepflegter Unruhe, in genau dieser Umgebung kann ich mich wahnsinnig gut konzentrieren. Ich kann hier lesen, studieren, lernen, notieren, nachdenken – das alles funktioniert bei mir besser und fokussierter, wenn ich spüre, dass um mich herum Leben stattfindet. Das war schon immer so, seit ich mich erinnern kann, suche ich Orte auf, an denen ich Menschen beobachten kann, an denen sich ihre Stimmen zu einem vertrauten Hintergrundrauschen verbinden.

Auch das ist mir wichtig: Im Café Bazar läuft keine Musik, die Geräusche, die ich hier wahrnehme, sind ganz gegenwärtig, sie entstehen in diesem Moment an diesem Ort. Dass ich die Öffentlichkeit so gewohnt bin und genieße, hat wohl auch damit zu tun, dass ich keinen Führerschein habe. Ich habe nie diese besondere Situation einer einsamen Autofahrt erlebt, in der man vollständig von der Außenwelt abgeschottet und auf sich selbst zurückgeworfen ist.

Ich plane meine Besuche im Café Bazar nicht. Wenn ich mal einen Vormittag frei habe und dann auch noch die Sonne scheint, stellt sich mir gar nicht die Frage, was ich mit meiner Zeit anfangen könnte – ich gehe ganz automatisch ins Café und setze mich in den Wintergarten. Ich habe immer etwas zu lesen und meine Notizbücher dabei, eins, in das ich allgemeine Ideen und Gedanken notiere, und ein weiteres für das Stück, das ich gerade lerne. Der Begriff erscheint mir sehr treffend für das, was ich hier mit meinen Büchern und Notizen anstelle: Ich lerne meine Stücke.

Das österreichische Kaffeehaus hat seinen eigenen Biorhythmus, im Laufe eines Tages verändert sich seine Funktion – und damit auch die Stimmung der Gäste. Man trifft sich morgens an einem der großen Zeitungsständer, um sich über das Tages- und Weltgeschehen zu informieren. Mittags tritt man eher in einen Austausch miteinander, man diskutiert über das, was man morgens gelesen hat. Und ab dem frühen Abend verbindet sich das intellektuelle mit einem sinnlichen Vergnügen, es beginnt die Zeit des Genusses. Dass sich diese Formen der freien Zusammenkunft so entwickeln konnten, liegt wohl auch an der Besonderheit, dass man in einem österreichischen Kaffeehaus stundenlang mit einer oder zwei Tassen Kaffee verweilen kann, ohne von einem Kellner gestört zu werden. Ich bestelle meist einen »großen Braunen«, wie man es hier nennt, einen doppelten Espresso mit einem Schuss Milch.

Ein bisschen wie Opernarbeit: Mit der Tradition im Rücken (ganz hinten die Festung Hohensalzburg auf dem Festungsberg) entwickelt Christof Loy seine Inszenierungen © Christian Leopold
 

Wenn ich im Café Bazar über die Figuren meiner Stücke nachdenke, sie entwickele und sie in meinem Kopf langsam Form annehmen, dann geschieht das vor allem aus mir selbst heraus. Ich habe keine konkreten Vorbilder, an denen ich mich orientiere, sondern greife auf meine Erfahrungen zurück. Und diese entstehen für mich im Kontakt mit anderen Menschen, im Beobachten, Interagieren, sich Einfühlen. Wenn ich dann glaube, eine Figur bereits gut zu kennen, werde ich oft bei der ersten Probe noch einmal überrascht. Im Falle von FRANCESCA DA RIMINI, das wir nach der coronabedingten Live-Stream-Premiere endlich vor Publikum zeigen, ganz besonders. Zu Sara Jakubiak, die die Francesca singt, habe ich eine fast gespenstische Beziehung, sie entdeckt intuitiv Aspekte einer Figur, die mir verborgen blieben. Obwohl wir uns schon so lange kennen und extrem vertrauensvoll miteinander arbeiten, eine wirklich innige Verbindung haben, sind wir fast vorsichtig im privaten Austausch. So als wollten wir bestimmte Geheimnisse voreinander bewahren für die Dinge, die noch kommen. Als wir kürzlich DAS WUNDER DER HELIANE probten, wo als Hauptfigur ja Der Fremde auftritt, sagte sie plötzlich zu mir: »Christof, Du bist eigentlich mein Fremder.«

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