Clemens Bieber … Abschied? Bitte nicht! - Deutsche Oper Berlin

Eine Würdigung von Curt A. Roesler

Clemens Bieber … Abschied? Bitte nicht!

Mit der Partie des Tamino verabschiedete sich Clemens Bieber am 8. Juni in den sogenannten Ruhestand. Doch auch nach Erreichen der offiziellen Altersgrenze wird Clemens Bieber der Deutschen Oper Berlin zum Glück weiter verbunden bleiben.

Mit der Partie des Tamino verabschiedet sich Clemens Bieber am 8. Juni in den sogenannten Ruhestand. Das ist nicht nur die Partie, die er an der Deutschen Oper Berlin wohl am häufigsten gesungen hat, sondern auch die, mit der er ein besonderes Erlebnis verbindet, das am Anfang seiner Berliner Zeit liegt: 1988 kam er von Saarbrücken in die damalige Viersektorenstadt, die Wiedervereinigung stand unmittelbar bevor, was aber keiner ahnte. Etwas durchlässiger war die Mauer schon geworden, zumindest in eine Richtung: Clemens Bieber wurde von der Komischen Oper als Gast für die Neuproduktion DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL, inszeniert von Harry Kupfer, engagiert. Die Proben fanden vom Sommer bis Dezember 1989 statt, die aufregende Zeit bekam er also täglich am Grenzübergang mit. Am 9. November sang er in der Deutschen Oper Berlin den Marquis von Châteauneuf in ZAR UND ZIMMERMANN. Nach der Vorstellung war die Stadt schon in heller Aufregung. Spontan entschieden sich das Ensemble, Chor und Orchester, am folgenden Sonntag, dem 12. November, für Besucher*innen aus der DDR eine Sondervorstellung der ZAUBERFLÖTE zu geben. Mit der 158. Vorstellung der ZAUBERFLÖTE in der Inszenierung von Peter Beauvais von 1978 erfüllte die Deutsche Oper Berlin somit erstmals ihre Bestimmung als Opernhaus für ganz Berlin und das war, so erinnert sich auch Clemens Bieber, auch zu spüren. Es war eine Stimmung, die man nicht vergisst. Zwei Jahre später inszenierte Günter Krämer DIE ZAUBERFLÖTE neu; in der Premiere sang ein anderer junger Tenor aus dem Ensemble, Peter Seiffert, aber Clemens Bieber übernahm auch in dieser Inszenierung bald den Tamino, den er seither ungezählte Male gesungen hat.

Clemens Bieber als Tamino © Kranichphoto
 

Seine erste Partie 1988 auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin war Fenton in einer Wiederaufnahme von FALSTAFF in der Inszenierung von Götz Friedrich aus dem Jahr 1977 – später sang er auch Dr. Cajus in dieser Produktion. Zahlreiche Inszenierungen von Götz Friedrich folgten bis zu dessen Tod im Jahr 2000. Ein besonderer Höhepunkt dabei war die MATTHÄUSPASSION in den Bühnenbildern von Günther Uecker. Die Partie des Evangelisten ist wie gemacht für Clemens Biebers Stimme und Stimmführung. Heute ist man gewohnt, den Text in der Oper mitlesen zu können, das war bei ihm nie notwendig, man versteht von ihm jedes Wort. Das zeichnet auch und gerade seine Wagner-Interpretationen aus, etwa David, den er in Berlin mit Götz Friedrich und in Bayreuth mit Christian Thielemann mehr als gründlich einstudiert hat. Parsifal und Lohengrin sang er vorwiegend an anderen Theatern, aber als Walther von der Vogelweide führt er bis heute das TANNHÄUSER-Ensemble an, und das ganz im Wortsinn. Sein Timbre gibt dem Gesang der Minnesänger sein eigenes Gepräge. Als 2008 die Proben für die aktuelle Inszenierung begannen, war das für ihn schon die achte Produktion des Werks. Nicht nur in der Vorgängerinszenierung von Götz Friedrich hatte er den Walther gesungen, auch schon mehrfach auf dem Grünen Hügel und dort u. a. unter der Musikalischen Leitung von Giuseppe Sinopoli.

Clemens Bieber als Walther von der Vogelweide © Matthias Horn
 

Mozart, Wagner und Zeitgenössische Oper sind seit 1961 die Schwerpunkte des Repertoires an der Deutschen Oper Berlin und so ist es nicht verwunderlich, dass Clemens Bieber an zahlreichen Ur- und Erstaufführungen teilgenommen hat. Der Reigen der Uraufführungen begann mit Hans Werner Henze: DAS VERRATENE MEER 1990, setzte sich fort mit DESDEMONA UND IHRE SCHWESTERN von Siegfried Matthus (Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin und den Schwetzinger Festspielen) 1992, und war noch lange nicht zu Ende mit DREYFUS – DIE AFFÄRE von Jost Meier 1994. Nicht nur auf der großen Bühne, auch im Foyer und in der Tischlerei stellte er seine Stimme und sein Können in den Dienst der Gegenwart, so etwa in WIR AUS GLAS von Yasutaki Inamori 2018, einer Koproduktion mit der Münchner Biennale.

Wir aus Glas © Eike Walkenhorst
 

Zwei Erstaufführungen verdienen noch hervorgehoben zu werden, deren jeweilige Uraufführungen etwas weiter zurückliegen. Bei beiden hatte Berlin etwas nachzuholen, und beide wurden von einem der wichtigsten Regisseure inszeniert, die neben Götz Friedrich in seiner Zeit an der Deutschen Oper Berlin wirkten, Günter Krämer. Dass DIE SACHE MAKROPULOS von Leoš Janáček 1926 oder 1927 nicht in Berlin aufgeführt wurde, lag angeblich daran, dass sich Otto Klemperer und Erich Kleiber nicht einigen konnten, wem die Erstaufführung gehören sollte, aber bis 1990 hätte es viele Gelegenheiten gegeben, auch in der geteilten Stadt. Die Inszenierung setzte einen Schlusspunkt zu der »slawischen Trilogie« von Günter Krämer und Jiří Kout, die sie 1986 mit KATJA KABANOVA begonnen und 1988 mit LADY MACBETH VON MZENSK fortgesetzt hatten. Auch DIALOGE DER KARMELITERINNEN von Francis Poulenc mussten sehr lange warten, ehe sie in Berlin zu sehen waren. Paris, London, Wien und New York waren innerhalb von 5 Jahren nach der Uraufführung an der Mailänder Scala 1957 gefolgt, aber in Deutschland hatte es die Oper schwer und zumal in Berlin, wo man möglicherweise andere ästhetische Vorstellungen davon hatte, was zeitgemäße Kunst sei. Die Inszenierung gehört zu den bewegendsten an der Deutschen Oper Berlin in den vergangenen vierzig Jahren. Und Clemens Bieber zeigte darin eine Facette seiner Gesangskunst, die sonst nicht so oft gefordert war, ein ausgesprochen »französisches« Timbre.

Clemens Bieber in DIALOGE DER KARMELITERINNEN © Kranichphoto
 

Auch nach Erreichen der offiziellen Altersgrenze wird Clemens Bieber zum Glück der Deutschen Oper Berlin weiter verbunden bleiben – bereits vier Tage nach seiner Abschiedsvorstellung ist er in der Premiere der Neuproduktion der MEISTERSINGER VON NÜRNBERG zu erleben, in der kommenden Spielzeit wird er in den Aufführungen von ANTIKRIST, DAS WUNDER DER HELIANE und TRISTAN UND ISOLDE mitwirken.

Thomas Lehman als Luzifer, Clemens Bieber als Der Mund, der große Worte spricht
Clemens Bieber als Der Mund, der große Worte spricht in Langgaards ANTIKRIST © Thomas Aurin
 
 

Wir wünschen ihm alles Gute und natürlich gönnen wir ihm den wohlverdienten Ruhestand nach fast 35 sehr bewegten Jahren an diesem Haus.

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