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Der lange Schatten der Tataren - Deutsche Oper Berlin

Essay von Marina Dawydowa

Der lange Schatten der Tataren

BORIS GODUNOW ist ein Stück über das russische Volk und seine Herrscher. Marina Dawydowa wirft einen Blick auf das Entstehen der russischen Autokratie

Boris Godunow
Dirigent: Kirill Karabits
Inszenierung: Richard Jones
Mit u. a. Sir Bryn Terfel, Burkhard Ulrich, Dong-Hwan Lee, Ante Jerkunica, Robert Watson, Matthew Newlin; Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Wiederaufnahme: 31. Januar 2019

In jedem Lehrbuch zur russischen Geschichte findet sich die Formulierung: „Der Weg von den Warägern zu den Griechen“. Sie ist leicht zu entschlüsseln. Die aristokratische Obrigkeit des Alten Russland [oder genauer: der Alten Rus] stammte vor allem von Skandinaviern ab, von den sogenannten Warägern. Sie lebten an der Ostseeküste und nutzten bereits am Ende des ersten Jahrtausends die Wolga und den Dnepr für engen Handel mit Byzanz. Im 9. und 10. Jahrhundert, als das russische Staatswesen gerade erst entstand, war das mächtige Imperium am Bosporus bereits eines der hoch entwickelten Länder der Erde, und sein Einfluss auf den jungen russischen Staat erwies sich als äußerst nützlich: Die Alte Rus war ein durchaus fortschrittliches Land, und die Orientierung nach Byzanz sowie die Einführung des Christentums als Staatsreligion im Jahr 988 verhinderten seine Abschottung gegenüber der westlichen Welt. Denn trotz der Kirchenspaltung von 1054 blieb der Kontakt zwischen der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche sehr eng. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts jedoch nahm die russische Geschichte einen grundlegend anderen Verlauf. Die Truppen des mongolischen Herrschers Batu Khan führten einen ausgedehnten Feldzug gegen Russland. Mit diesem Überfall begann das sogenannte tatarisch-mongolische Joch, das fast zweieinhalb Jahrhunderte andauerte. Ein Großteil des Landes wurde niedergebrannt und immer wieder ausgeraubt. Noch folgenreicher als die Zerstörung aber war die Ausprägung eines bestimmten politischen Machtbewusstseins in dem Teil des Landes, der lange Zeit unter der Mongolenherrschaft stand – das der absoluten autoritären Herrschaftsform.

Autoritäre Herrschaft nach asiatischem Muster
 

In den nordwestlichen Teilen des Landes, die nicht von der „Goldenen Horde“ besiegt werden konnten oder nach vergleichsweise kurzer Zeit wieder zurückerobert wurden [Pskow, Nowgorod, das Territorium des heutigen Litauen, die Ukraine, Weißrussland], konnte sich die autoritäre Herrschaftsform nicht durchsetzen. Die Bürger von Nowgorod und Pskow empfanden sich weiterhin als Subjekte der Politik, alle wichtigen Fragen wurden auf Volksversammlungen entschieden, der sogenannten Wetsche. Mitte des 15. Jahrhunderts, als die Mongolenherrschaft allmählich zu Ende ging, gehörten zu Russland jene Länder, die sich um das erstarkte Moskau gruppiert hatten, eine zuvor unbedeutende Siedlung im Zentrum des osteuropäischen Tafellands. Das Moskauer Großfürstentum hatte die russischen Fürstentümer im Kampf gegen die Unterdrücker vereint, nach dem Sieg über die Goldene Horde aber deren Herrschaftsform übernommen. Es wurden keinerlei gesellschaftliche Kontrollinstanzen zugelassen, wie sie beispielsweise das Byzantinische Reich kannte: dort gab es neben dem Kaiser, den traditionell das Volk wählte, noch einen unabhängigen Patriarchen und den Senat. Im Moskauer Großfürstentum verschwanden sämtliche Institutionen, die den Monarchen kontrollieren konnten, und es wurden alle Traditionen abgeschafft, die eine Äußerung des Volkswillens ermöglichten. Es verfestigte sich die Idee einer autoritären Herrschaftsform nach asiatischem Muster, wonach es nur einen Menschen gibt [den Zaren], der über alle bestimmt, während alle anderen [unabhängig von ihrer Herkunft] seine Sklaven sind.

Zugleich sah man sich als orthodoxe Großmacht und entwickelte eine Art messianisches Sendungsbewusstsein. Zwei Ereignisse beförderten dies. 1453 eroberten die Türken Konstantinopel. Kurz zuvor war auf dem Florentiner Konzil eine Union zwischen der griechisch-orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche geschlossen worden, und der Patriarch von Konstantinopel hatte sich auf dieses Bündnis eingelassen, weil er sich dadurch eine Unterstützung des Westens im Kampf gegen die Türken erhoffte [vergeblich, wie sich herausstellen sollte]. Die russischen Bischöfe lehnten diese Union kategorisch ab, denn sie sahen darin eine Erniedrigung der orthodoxen Kirche. Vor dem Konzil waren die Moskauer Metropoliten stets vom Patriarchen von Konstantinopel bestimmt worden. 1448 verjagten die russischen Bischöfe das von Konstantinopel eingesetzte geistliche Oberhaupt, wählten ein eigenes und erklärten die vollständige Unabhängigkeit [Autokephalie] der russischen orthodoxen Kirche.

Die Argumente der russischen Bischöfe waren folgende. Das Byzantinische Reich gab es nicht mehr, seine Hauptstadt war gefallen. Schuld daran war in ihren Augen die Union mit der Katholischen Kirche. Es blieb nur noch eine wahrhaft orthodoxe Macht übrig – das Moskauer Großfürstentum. Und aus ihr würde das neue Byzanz werden. Sie allein würde den reinen Glauben verteidigen. „Moskau ist das Dritte Rom“ – hieß die Devise von Iwan III. [1440-1505], während dessen Regentschaft sich Moskau endgültig als Hauptstadt der russischen Fürstentümer etablierte. Durchaus symbolisch war in dieser Hinsicht seine Heirat mit Sofia Palaiologa, der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers Konstantin XI. Nicht von ungefähr übernahm Iwan III. auch das byzantinische Wappen, den Doppeladler, der seit dieser Zeit zum Wappen des russischen Staates wurde.

Unter der Herrschaft seines Sohnes Wassili III. verfestigte sich die Vorstellung von Moskau als Drittem Rom und der absoluten Macht des Monarchen. In einem Abkommen mit dem römischen Kaiser Maximilian I. wurde Wassili III. 1514 zum ersten Mal als „Zar von Russland“ bezeichnet, was ihn mit besonderem Stolz erfüllte. Wassili war zutiefst davon überzeugt, dass seine Macht durch nichts eingeschränkt werden dürfe. Seine Untertanen, die Bojaren, bezeichnete er nicht mehr als Diener, sondern als Hörige [sogenannte Smerds, die unterste soziale Schicht in Russland vor der Mongolenherrschaft]. Für Schmähungen seiner Person ließ er ihnen die Zunge abschneiden. Auch auf die russische Kirche nahm er keinerlei Rücksicht mehr.

Moskau als drittes Rom
 

Zugleich dehnte sich das Moskauer Großfürstentum territorial weiter aus. 1480 hatte sich Iwan III. endgültig geweigert, den Khans der Goldenen Horde Tribut zu zahlen, darum gilt dieses Jahr offiziell als Ende der Mongolenherrschaft. Doch der Kampf gegen die Goldene Horde wurde durch den Konflikt zwischen dem Moskauer Großfürstentum und seinen westlichen Gebieten abgelöst, wobei Moskau allmählich die Rolle der Goldenen Horde übernahm. Exemplarisch dafür ist das Schicksal von Nowgorod und Pskow. Beide Städte hatten ihre Autonomie und die republikanische Regierungsform auch im 15. Jahrhundert noch bewahren können, doch schließlich wurden auch sie von Moskau erobert, womit sie ihre bürgerlichen Rechte endgültig verloren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Bojaren von Nowgorod und Pskow noch vor der Unterwerfung ihrer Städte durch Moskau abwechselnd in die neue Hauptstadt gereist waren, um sich beim Moskauer Großfürsten, den sie ihren „Landesherrn“ nannten, übereinander zu beschweren: ebenso hatten sich während der Mongolenherrschaft die einzelnen Landesfürsten verhalten, indem sie sich beim Khan der Goldenen Horde übereinander beklagten. Mit anderen Worten – der Moskauer Großfürst wurde quasi zum neuen „Khan“ und das Moskauer Großfürstentum war politisch von einer Art orthodoxem Messianismus mit mongolischem Anstrich bestimmt. Es empfand sich als Erbe des Byzantinischen Reiches, hatte aber zugleich viele Merkmale jener asiatischen Macht übernommen, der es einst unterworfen war.

Iwan IV. [1530-1584], Sohn des Großfürsten Wassili III. und als Iwan der Schreckliche in die Geschichte eingegangen, verkörpert diese Besonderheiten des russischen Absolutismus auf besonders markante Weise. Es mag paradox erscheinen, aber Iwan der Schreckliche begann seine Herrschaft als Reformator. Er berief als erster Regent in der russischen Geschichte eine Ständeversammlung ein, den sogenannten Semski sobor, vergleichbar mit einem westeuropäischen Parlament. Er führte eine Art Selbstverwaltung ein, die es den bäuerlichen Gemeinden erlaubte, ihre Vertreter und die Richter eigenständig zu wählen. Er versuchte also zunächst, das Erbe der Mongolenherrschaft zu überwinden und das Land auf polnisch-litauische Art zu reformieren. Aber sein Drang nach Reformen hielt nicht lange vor. Bereits in den sechziger Jahren wurden seine Umgestaltungen schrittweise zurückgenommen. Iwan schwor dem Geist seiner eigenen Reformen ab und führte den russischen Absolutismus ins wahrhaft Absurde.

In einem Land, das gerade die ersten Schritte in Richtung einer bürgerlichen Gesellschaft unternahm, installierte Iwan der Schreckliche einen eigenen, nur ihm unterstellten Machtbereich. Er erklärte die reichsten Gebiete zu seinem Eigentum und nannte diesen Teil des Landes „Opritschnina“, die restlichen Teile bezeichnete er als „Semschtschina“. In der Semschtschina blieben die Selbstverwaltung und das Bojarentum erhalten. Bojaren, die ihre Ländereien in der Opritschnina besaßen, wurden verjagt und in die Semschtschina umgesiedelt. Ihre Besitztümer gingen an den Zaren über, wer sich wehrte, wurde hingerichtet. Die Bojaren als Leibwache ersetzte Iwan der Schreckliche durch eine Armee von Freibeutern, die aus den verschiedensten Teilen der Gesellschaft kamen – Kosaken, niederer Adel mit zweifelhafter Vergangenheit, ausländische Söldner, einfache Kriminelle. Diese Leute wurden Opritschniki genannt. Sie plünderten und verwüsteten die Semschtschina, genauso wie es die tatarisch-mongolischen Horden mit Russland getan hatten. Sie vergewaltigten die Mädchen und Frauen, töteten die Männer. Als Iwan der Schreckliche zum Zaren gekrönt wurde, gab es in Russland zweihundert Bojarengeschlechter, als er starb, waren es noch fünfzehn. Das Land war völlig verwüstet. Das russische Volk ertrug die vielen Hinrichtungen und Grausamkeiten unter Iwan dem Schrecklichen und unternahm nicht einen Versuch, sich ihm zu widersetzen. Die vorangegangenen Jahrzehnte hatten in den Bürgern des Landes jegliches Selbstbewusstsein zerstört. Geblieben war nur Angst.

In diesem Zustand befand sich Russland, als Boris Godunow die Herrschaft übernahm. Sein Schicksal wird in unserer Dramatik ähnlich behandelt, wie das Schicksal Richard III. in der englischen Dramatik. Der historische Richard und jener Bösewicht aus Shakespeares Theaterstücken haben wenig miteinander gemein. Auch Boris Godunow wird in Puschkins Tragödie [und dementsprechend auch in Mussorgskis Oper] vor allem als Mörder von Dimitri dargestellt, des Sohns von Iwan dem Schrecklichen. Dabei ist keineswegs erwiesen, dass Boris Godunow an der Verschwörung gegen den minderjährigen Zarensohn beteiligt war, und viele namhafte Historiker sind davon überzeugt, dass ihn keinerlei Schuld trifft.

Ein aufgeklärter Zar
 

 

In Wirklichkeit war Boris Godunow einer der aufgeklärtesten und tatkräftigsten Monarchen Russlands. Formal dauerte seine Herrschaft nur sieben Jahre [von 1598 bis 1605], tatsächlich aber regierte er erheblich länger, denn er war zum Vormund von Fjodor I. [1557-1598] bestimmt worden, dem geistig zurückgebliebenen Sohn Iwans des Schrecklichen. Unter Boris Godunow wurden so viele Städte und Festungsanlagen gebaut wie nie zuvor. Moskau erlebte unerhörte Modernisierungen, wie zum Beispiel den Einbau der ersten Wasserleitung im Kreml. Während seiner Regentschaft begann eine Annäherung Russlands an den Westen, die von Iwan dem Schrecklichen praktisch gestoppt worden war.

Welch ein Paradoxon: Iwan der Schreckliche, auf dessen Konto unzählige Morde gehen, ist im Bewusstsein des Volkes bis heute der große Zar, Boris Godunow hingegen gilt als blutiger Kindermörder. Das Gerücht über sein angebliches Verbrechen kam 1601 auf, als es nach verfrüht einsetzendem Frost eine große Hungersnot im Land gab.

An dieser Stelle ist wichtig daran zu erinnern, dass Boris Godunow kein Blutsverwandter von Iwan dem Schrecklichen war. Er war kein Thronerbe, sondern zum Zaren gewählt worden. Darum hielt ihn das Volk nicht für einen „vollwertigen“ Monarchen, denn zu dieser Zeit hatte sich in Russland schon der Gedanke verfestigt, dass nur ein „gebürtiger“ Zar Gottes Segen haben kann. Daraus erklärt sich auch der Erfolg von Grigori Otrepjew, jenes entlaufenen Mönchs, der sich als Zarensohn ausgab und als „falscher Dimitri“ in die Geschichte eingegangen ist. Ihm folgte noch eine ganze Reihe ähnlicher Abenteurer. Diese Anmaßung eines falschen Titels [es gab in Russland bis ins 20. Jahrhundert hinein noch einige solcher Fälle] ist ein Phänomen, das die Idee des Absolutismus mit asiatischem Anstrich besonders sinnfällig macht. Über Jahrhunderte hinweg hat das Volk, wenn es mit seinen Herrschern unzufrieden war, sich nicht für Instanzen eingesetzt, die den Zaren kontrollieren könnten, es hat immer nur für den guten [sprich: echten] Zaren gekämpft und gegen den schlechten [sprich: unechten]. Der Monarch ist der alleinige Herrscher über das Land, alles hängt allein von ihm ab – dieser Gedanke hat sich im Bewusstsein des russischen Volkes festgesetzt, seit sich das Moskauer Großfürstentum an der Goldenen Horde orientierte. Und in gewisser Hinsicht lebt er bis heute weiter.

Ersterschienen in der Beilage der Deutschen Oper Berlin zum Berliner Tagesspiegel

Marina Dawydowa ist Theaterkritikerin, -historikerin und -produzentin. Sie war Theaterkritikerin der Zeitung „Iswestja“ und ist Chefredakteurin der Zeitschrift „TEATR“, künstlerische Leiterin des Moskauer Net-Festivals und war Programmdirektorin der Wiener Festwochen 2016. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Stanislawski-Preis für die beste Buchpublikation.

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