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Der Prophet der neuen Welt - Deutsche Oper Berlin

Der Prophet der neuen Welt

„In dieser Zeit sah ich denn auch zum ersten Male den Propheten – den Propheten der neuen Welt: ich fühlte mich glücklich und erhoben, ließ alle wühlerischen Pläne fahren, die mir so gottlos erschienen, da doch das reine, edle, hochheilig Wahre und göttlich Menschliche schon so unmittelbar und warm in der seligen Gegenwart lebt.“ – So Richard Wagner in einem Brief aus dem Jahre 1850 über einen Vorstellungsbesuch von Meyerbeers „Le Prophète“ in der Pariser Opéra. Ein Jahr nach der Uraufführung begeisterte das Werk dort bereits in der 47. Vorstellung das Publikum. Die ironisch-übertriebene Lobeshymne verbirgt höchst unzulänglich eine für den ambitionierten Aufsteiger Wagner schwer zu verdauende Einsicht: dass um den Großmeister der Grand Opéra, Giacomo Meyerbeer, und dessen Werk so schnell nicht herumzukommen sei – vor allem nicht in der damaligen Hauptstadt der Oper, Paris.

Meyerbeer, dies lässt sich ohne Übertreibung sagen, war der erfolgreichste Opernkomponist seiner Generation. Lange bevor Wagners Musikdrama – das dem Einfluss Meyerbeers mehr verdankt, als der Meister je zuzugeben bereit war – auf dem Grünen Hügel eine eigene Pilgerstätte fand, feierte der Weltstar aus Berlin in Paris und überall scheinbar nicht mehr zu überbietende Erfolge. Als paradigmatisches Kunstwerk der Zukunft galt der französischen Kunstkritik nicht „Parsifal“, sondern „Le Prophète“. Dem Publikum wiederum erschien das Werk – zumal in Frankreich – als Spiegel der eigenen revolutionsgeschüttelten Epoche.

Meyerbeers Grand Opéra über den historischen Wiedertäuferkönig Jean de Leyde ist sorgfältig durchdachtes Ideentheater und massenpsychologisch geschultes Historienpanorama in Einem: die Geschichte einer politischen Radikalisierung als privater und öffentlicher Katastrophe. Als der despotische Graf Oberthal dem einfachen Gastwirt die Verlobte raubt, schließt Jean sich der protestantischen Sekte der Anabaptisten an. Als ihr Prophet soll er den Wiedertäufern die Massen zuführen. Doch Machtrausch und Maßlosigkeit untergraben die gesellschaftliche Utopie. „Wollt ihr die Herren eurer Herren sein?“ – mit dieser Frage stacheln die Wiedertäufer bereits zu Beginn der Oper die Landbevölkerung auf: nicht die klassenlose Gesellschaft, nicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sondern eben bloß eine Umkehrung der Machtverhältnisse treibt diese Herzen um. Macht – dies die Erkenntnis von Meyerbeers Opernschaffen – korrumpiert. Einzige Stimme der Vernunft sind die Frauen, die – wir sind im 19. Jahrhundert – Unpolitischen, Machtlosen dieser Welt; allen voran Jeans Mutter Fidès, die den betörten Sohn zur Umkehr ermahnt und absolute Vergebung bietet.

Daneben gibt es einiges anzuschauen: Der erste elektrische Lichteffekt in der Geschichte der Oper, die sogenannte „Prophetensonne“, eine aufwändige Tanznummer „auf dem Eis“ mit zu Schlittschuhen verkleideten Rollschuhen oder die spektakulären Bühnenbauten inklusive einstürzendem Palast erinnern geradezu an moderne Blockbuster. Dazu kommen anspruchsvolle Chorszenen, eine Spieldauer von viereinhalb Stunden ... Insofern dürfte es nicht nur Wagners Stänkereien geschuldet sein, dass Meyerbeers aufwändige „Große Opern“ in späteren Zeiten aus den Spielplänen verschwanden. Schade drum! Auch um die vielseitige Musik: ländliche Pastoralen, unheilschwangere Choräle, spektakuläre Finali, italienische Belcanto-Koloraturen und französische Deklamation – Meyerbeers transeuropäisches Handwerkszeug kennt keine Grenzen. Und eines sind seine Opern allemal: große Gesangsmusik, die er seinen Interpreten minutiös auf die Stimmen schrieb.

So nicht zuletzt Pauline Viardot-García, der Fidès der Uraufführung. Die Verpflichtung der vielleicht größten Mezzosopranistin des 19. Jahrhunderts machte der Komponist zur Bedingung der Erstaufführung. Mit Clémentine Margaine tritt nun an der Deutschen Oper Berlin eine würdige Kollegin die Nachfolge an. Ihre subtile Gestaltung und ihr weites Ausdrucksspektrum machen sie zu einer der gefragtesten Interpretinnen in Rollen wie Carmen, Dalila oder Marguerite („La Damnation de Faust“) von Paris bis New York. Den Titelhelden Jean gibt der amerikanische Tenor Gregory Kunde, der zuletzt u. a. in London als Manrico in „Il Trovatore“ oder als Andrea Chenier in Rom Erfolge feierte. Am Pult der Bismarckstraße steht ein weiteres Mal Enrique Mazzola. Zusammen mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin verhalf der Künstlerische Leiter des Orchestre National d'Ile de France bereits Meyerbeers „Dinorah“ und „Vasco da Gama“ zu gefeierten Aufführungen. Regie führt der französische Schauspieler, Regisseur, Intendant und Autor Olivier Py, der für sein politisches Engagement ebenso bekannt ist wie für seine suggestive, anspielungsreiche Bildersprache. Dies alles auf einer der größten Bühnen Europas, in einer in jüngerer Zeit unerhört kompletten Fassung von Meyerbeers Oper, die noch den letzten Schatz aus den Tiefen der Partiturarchive hebt: Grand Opéra wie es sich gehört.

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