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Der Star aus der Spandauer Straße - Deutsche Oper Berlin

Ein Essay von Thomas Lackmann

Der Star aus der Spandauer Straße

Giacomo Meyerbeer, das „weltfreie“ Genie, und seine komplizierte Beziehungskiste mit Berlin

Thomas Lackmann ist Redakteur im Berlin-Ressort des Tagesspiegels. Er promovierte in katholischer Kirchengeschichte und verfasste mehrere Bücher, u. a. die Familienbiographie „Das Glück der Mendelssohns“ und „Jewrassic Park. Wie baut man [k]ein Jüdisches Museum in Berlin“. Er ist im Vorstand der Mendelssohn-Gesellschaft, die die Geschichte der Nachkommen Moses Mendelssohns erforscht.

Weil beim Auftritt eines Soldaten-Balletts echte Munition verwendet wurde und ein glimmender Gewehrpfropfen Kostümhaufen entflammte, war am 19. August 1843 mit den Kulissen der Königlichen Oper das ganze Gebäude abgebrannt. Für die Eröffnung des eilends wiederherzustellenden Musentempels legt Friedrich Wilhelm IV. seinem neuen Generalmusikdirektor, dessen Bühnen-Hits international Furore machen, den eigenhändigen Entwurf eines friderizianischen Singspiels vor. Giacomo Meyerbeer ist von diesem Plot wenig begeistert, stößt dann aber in den Annalen des Siebenjährigen Krieges auf eine Flöten-Session des Alten Fritz am Rand der Schlacht – und beauftragt seinen Erfolgs-Texter Eugène Scribe, unter strenger Geheimhaltung, daraus eine Story zu entwickeln. Dass ein jüdischer Tonsetzer, dessen auswärtige Triumphe nach Ansicht seiner Gegner Vaterlandslosigkeit beweisen, den großen König mit Hilfe des Erbfeindes verewigt, darf niemand wissen!

Die Öffentlichkeit vermutet als Autor der Festoper den Dichter Tieck, Alexander von Humboldt oder gar den Monarchen persönlich. Fürs Reimen des Librettos gewinnt Meyerbeer, der Vollender des Gesamtkunstwerks Grand Opéra, sogar seinen „Ratte“ genannten Kritikerfeind Ludwig Rellstab, der ihm oft undeutsche Oberflächlichkeit vorgeworfen hat.

Bei der Uraufführung von EIN FELDLAGER IN SCHLESIEN am 7. Dezember 1844 verhindern provinzielle Intrigen, dass die „schwedische Nachtigall“ Jenny Lind in der für sie angelegten Partie auftritt. Rezensenten bemängeln, Friedrich II. erscheine zu unheroisch, und er werde durch eine Zigeunerin gerettet! Das Werk sei nur „ein Kratzfuß gegen die königliche Loge“. Trotzdem dominiert diesmal verhaltene Zustimmung die Blätter: „Eine Kanone, mit vier Pferden bespannt, ansehnliche Reiterei, Fußvolk und Bagage ziehen über die Bühne, während in dem Finale, mit dem durchklingenden Dessauer Marsche, mehrere Militär-Chöre und eine dreifache Musikbande auf der Bühne mit vollem Orchester zusammenbrausen.“ Echter Jubel kommt allerdings erst in späteren Vorstellungen auf, wenn Jenny Lind die Zigeunerin Vielka gibt. Fortan wird das Stück gern Staatsgästen vorgeführt; der Komponist schätzt es nicht, bringt jedoch als Showbiz-Praktiker eine umgestrickte Wiener Fassung [VIELKA] und Fragmente des Materials für seine Zaren- Oper DER NORDSTERN in Paris und London auf die Bühne …

Das Menkenke um die einzige Berliner Opern-Uraufführung Jakob Meyer Beers, der sich seit Lehr- und Wanderjahren im Land des Belcanto Giacomo nannte, gehört zu seiner komplizierten Beziehungskiste mit der Heimatkommune. Als Erstgeborener des Zuckerfabrikanten Juda Jakob Beer hat Meyer, wie die Mama ihn rief, zwar 1791 in der Poststation Tasdorf das Licht der Mark Brandenburg erblickt, ist aber Original-Berliner. Hirtz Aaron Beer, ein Gründungspionier der hiesigen Jüdischen Gemeinde, ist sein Vorfahr; Liebmann Meyer Wulff, genannt „Crösus von Berlin“, sein Großvater mütterlicherseits. Mutter Amalie agiert als einflussreiche, großbürgerliche Salonière in der preußischen Hauptstadt. Bruder Wilhelm erwirbt Ansehen als Astronom und Abgeordneter; Michael, der Jüngste, erntet Ruhm als von Goethe gelobter Dichter. Der umtriebige Giacomo entflieht für 15 Jahre ohne Heimweh dem Mief der heimischen Musikszene, lässt sich aber 1826, bald nach Vaters Tod, durch eine flugs arrangierte Heirat mit Cousine Minna als Sippenoberhaupt in die Pflicht nehmen. Am Pariser Schwerpunkt seines Lebenswerkes residiert er weiterhin im Hotel; seine Frau, die oft auf Kur unterwegs ist, verpasst er häufig, überschüttet sie aber in fleißigen Briefen mit Beteuerungen [„Dein verliebter treuer Mohr“].

Die Charakter-Kontraste dieses „Windbeutels“ und „Schwarzsehers“, wie ihn seine Mutter gern verspottet, erscheinen plastisch und irritierend in seiner Korrespondenz. Meyerbeer ist begeisterungsfähig, sorgfältig, zielstrebig bei der Durchsetzung aktueller Projekte; darüber hinaus vergesslich und faul. Er reagiert gegenüber Bittstellern großzügig und mitfühlend, ist selbst extrem empfindlich und eitel; sehnt sich – obgleich reich, hübsch, talentiert und bald supererfolgreich – unersättlich nach Anerkennung, lebt eigentlich bescheiden. Er prahlt als Jüngling vor Freunden mit erotischen Abenteuern wie der Verführung durch drei liebe Damen, die keine Jungfrauen gewesen; sein Tagebuch schweigt von solchen Dingen. Sein Begehren, positives Berliner Feedback wenigstens von fern zu erhalten, drängt ihn so stark, dass die Familie ihm journalistisches „Hundegebell“ vorenthält, um keine psychosomatischen Anfälle zu provozieren. Seine Liebeselogen springen unverhofft vom zarten Kompliment zur breiten Schilderung eigener Wehwehchen und Gebrechen. Ihn beuteln Komplexe und Selbstüberschätzung, wie das einem leidenschaftlichen Künstler und exzentrischen Berliner anstehen mag.

Berliner Wohnorte dieses europäischen Stars, der heute in seiner Stadt fast vergessen ist, markieren die lokale Verwurzelung seines Clans. Ab 1850 lebten Meyerbeers, soweit sie an der Spree weilten, Pariser Platz 6a im Schatten der Quadriga. Die Villa Beer, wo Mutter Amalia ab 1819 Hof hielt, lag in einem Teil des Tiergartens, Zuckerbusch genannt: „Am Exerzierplatz“, wo jetzt das Kanzleramt steht. Ab 1818 befand sich eine Zuckersiederei Vater Beers und seines Sohnes Wilhelm in der Friedrichstraße 138a. Anno 1789 war der Fabrikant aus Frankfurt /Oder zunächst ins Haus Heilige- Geist-Straße 4 eingezogen, die westlich der Spandauer Straße parallel verlief. Ab 1804 logierte die Familie im Block Spandauer Straße 72 / Ecke Papenstraße [heute: Karl-Liebknecht], wo zuvor Großvater Wulff gelebt hatte; der wechselte zur Königstraße 33 [heute: Rathausstraße] in ein Haus, das später Giacomo erbte. Auch die Salonière Rahel Levin, verheiratete Varnhagen, war in der Spandauer aufgewachsen; nahebei, an Nr. 68, hatten im Haus Moses Mendelssohns etliche Berliner Aufklärer ihre Adressen gehabt. In das Beersche Haus Nr. 72 kamen aufgeklärte Privatdozenten und Klavierlehrer für den jungen Meyer; hier wurde außerdem Zucker raffiniert und ab 1815 eine Reformsynagoge eingerichtet.

Das selbstbewusste Judentum des Kosmopoliten Giacomo erkennt die Nachwelt als ein Identitätsmerkmal – und als Projektionsfläche für seine Feinde. Nach dem Tod des Großvaters Wulff hatte der 21-Jährige gegenüber Mutter Amalie „das feierliche Versprechen“ abgelegt, „dass ich stets die Religion leben will, in welcher er starb“, da die Gewissheit, „dass seine Kinder den Glauben nie verlassen werden“, ihrem Vater das Totenbett versüßt hätten. Etwas gelitten hat diese Selbstgewissheit, als gegenüber Heinrich Heine, der sich dem paranoiden Prominenten für Schutzgeld als PR-Manager andient, im Jahr 1839 das Thema Judenfeindschaft zur Sprache kommt: „Was ist zu thun? … Nicht einmal das Bad der Taufe kann das Stückchen Vorhaut wieder wachsen machen, dass man uns am 8t. Tage unsres Lebens raubte; und wer nicht am 9t. Tage an der Operation verblutet, dem blutet sie das ganze Leben lang nach, bis nach dem Tode noch.“ Verkorkst wirkt das Verhältnis Meyerbeers mit Felix Mendelssohn Bartholdy. Während der getaufte Enkel des Juden Moses Mendelssohn seine persönliche Grand-Opéra- Abneigung musikalisch begründet, bleibt Meyerbeers rätselhafte Mendelssohn-Phobie unbegründet. Hat der hochbegabte Nicht-Wunderknabe die Kritik des Wunderkindes Felix, die Konversionswege und Karrieren der anderen großen Familie als Bedrohung erlebt? Dass angesichts solcher Rivalitäten ausgerechnet Heinrich, der skurrile vierte Beer-Bruder und Versager der Familie, durch seine Heirat mit Felix’ Cousine Betty Meyer zwischen beiden Dynastien Blutsbande herstellt, ist eine tragikomischen Pointe.

Während Meyerbeers Pariser Welterfolge die preußische Residenz verzögert erreichen und vom Publikum begeistert, von tümelnder Fachkritik à la Wagner zwiespältig aufgenommen werden, verknüpfen sich manche Randwerke des Musiktheater-Giganten mit seiner berlinischen Geschichte. Sein Bühnendebüt, das konventionelle Ballett „Viel Lärm um einen Kuß“ [1810], ein Vorgeplänkel künftiger französischer Kooperationen, ist bald wieder von den Brettern der Hofoper verschwunden. Sein in Abwesenheit des Sohnes durch elterliche Netzwerk-Aktivität zur Sing-Akademie-Aufführung gebrachtes Oratorium „Gott und die Natur“ [1811] zeigt den 19-Jährigen als Partner eines katholischen Librettisten, offen für interreligiös aufgeklärte Projekte, aber – beim Lesen der Rezensionen im fernen Mannheim – völlig unfähig, Kritik zu verarbeiten. Sein in Wien verfertigtes Patriotenspiel „Das Brandenburger Thor“ [1814], zu dem ein Rabbinersohn den Text liefert, kompensiert Gewissensbisse eines Ungedienten, der Napoleon nicht bekämpft hat; erst 1991 kommt es zur Uraufführung. Seine dritte italienische Arbeit EMMA VON ROXBURG, Meyerbeers erste Berliner Opernpremiere, wird 1820 kühl aufgenommen, wie ein fremdländischer, inhaltlsleerer Import.

Mit „Struensee“ [1846] schließlich, der Schauspielmusik zu einem lange verbotenen Historiendrama des verstorbenen Bruders Michael, endet sein Einsatz als Generalmusikdirektor: Bald darauf weicht er – vor dem als Konservatoriums-Gründer berufenen „Todtfeind“ Mendelssohn – zurück nach Paris.

Die von Galawagen der königlichen Familie begleitete Beerdigung findet am 9. Mai 1864 auf dem Friedhof Schönhauser Allee statt. Meyerbeers herrlichster Nachruf war schon lange davor erschienen, in einer Theaterzeitschrift, inspiriert durch DIE HUGENOTTEN. Diese Musik sei „mehr sozial als individuell“, hatte damals Heinrich Heine gelobt: „Die dankbare Gegenwart, die ihre inneren und äußeren Fehden, ihren Gemütszwiespalt und ihren Willenskampf, ihre Not und ihre Hoffnung in seiner Musik wiederfindet“, feiere hier „ihre eigene Begeisterung“. Plötzlich sei „Signor Giacomo“ wieder ein Deutscher geworden: habe sich „nicht an das alte, morsche, abgelebte Deutschland des engbrüstigen Spießbürgertums, sondern an das junge, großmütige, weltfreie Deutschland einer neuen Generation, die alle Fragen der Menschheit zu ihrer eigenen gemacht hat“, angeschlossen.

Heine nennt Meyerbeer ein „ängstliches Genie“. Vor 200 Jahren, im Siegesspurt der Befreiungskriege, bekannte dieser Zagende seinem aufgeklärten Lehrer Wolfssohn: Lieber schösse er sich eine Kugel in den Kopf, als ohne soldatische Verdienste nach Berlin zurückzukehren! 1815 fühlt er sich, nach einem antriebslosen Pariser Jahr, am Ende. Er vegetiere nur. Eben flackere ein kreatives Fünkchen auf, „wird es nicht bald wieder erlöschen? Und ich bin erst 25 Jahre alt!! Welch fürchterliche Perspektive!!“ Dann erlebt er den Massentaumel der Metropole: „Abends auf den Boulevards spazieren gegangen, welches jetzt das Interessanteste aller Theater ist.“ Er leiht sich in der Bibliothek eine Schrift des Berliner Gelehrten Engel „Über die musikalische Malerei“. Setzt eigene Gedanken zur Orchester-Nachahmung von Realität dagegen. „Alles ist Musik! Alles ist Theater! Es geht ohne echte Patronen. Oper ist schöner als Krieg.“